Autor: frank stettler
Gespannt durfte man auf den ersten Auftritt von Viktor Röthlin seit seinem sechsten Rang beim olympischen Marathon von Peking sein. Das Schweizer Leichtathletik-Aushängeschild enttäuschte nicht und zeigte sich in den Strassen von Bulle bereits wieder in einer blendenden Verfassung. Der Läufer vom STV Alpnach lief die 8000 m mit einem Kilometerschnitt von beachtlichen 2:54 Minuten. Dies reichte Röthlin allemal, um 5000-m-Spezialist Philipp Bandi – einen weiteren Peking-Fahrer – hinter sich zu lassen und sich die «Krone» des besten Schweizers zu holen. Bandi ging die erste Rennhälte zwar schneller an als sein prominenter Kontrahent, konnte dafür am Ende nicht mehr zusetzen. «Ich lief aggressiv los und schlug gleich ein hohes Tempo an», gab Bandi zu Protokoll, «aber am Ende fehlte mir dann die Kraft, um Viktors Angriff zu kontern.»
Den Rekord im Visier
Viktor Röthlin seinerseits war insbesondere mit seiner Zeit von 23:15 Minuten zufrieden. «Nach meinem Marathon-Rekordlauf in Tokio (Anm. der Red.: 2:07:23 im vergangenen Februar) absolvierte ich mein erstes Strassenrennen in Luzern. Damals schaffte ich kaum einen Kilometerschnitt von unter drei Minuten.» Momentan bereitet er sich wieder für einen Marathon im Frühjahr vor, wo er seine Rekordzeit angreifen will. Wo dies sein wird, darf er nicht preisgeben – der Veranstalter hat ihm einen «Maulkorb» angelegt. Um seinen Rekord zu knacken, arbeitet er im Training momentan an der Tempofestigkeit im hohen Bereich. Rückblickend kann Viktor Röthlin, der als grosse Schweizer Medaillenhoffnung an die Olympischen Spiele nach Peking reiste, mit seinem sechsten Rang gut leben. «Heute kann ich sagen, dass ich keine Medaille verloren, sondern einen sechsten Rang gewonnen habe. Ich hätte in der Vorbereitunsphase nichts besser machen können. Nur wenn ich ganz kritisch mit mir selbst bin, finde ich einen kleinen Makel. Aber ob ich ohne meinen mentalen Hänger zwischen Kilometer 30 und 35 wirklich schneller gewesen wäre, weiss niemand», so Röthlin, der aber gleichwohl zugibt, «dass ich nach Peking nicht solche Glücksgefühle wie nach Göteborg oder Tokio verspüre».
Der Sieg in Bulle ging an Abraham Tadese (Eri), welcher in einem eindrücklichen Schlussspurt Simon Tesfaye (Eri) und Tolossa Chengere (Äth) noch überholte. «Wer am besten trainiert ist, hat eben die meisten Kraftreserven im Sprint», erklärte der in Uster wohnhafte Flüchtling trocken. «Für mich ist der Sieg keine Überraschung. Jeder, der hier angetreten ist, wollte schliesslich gewinnen.»
Erneut Worku vor Fischer
Im Rennen der Frauen über 6000 Meter konnte die Äthiopierin Tsige Worku wie bereits vor Jahresfrist Sabine Fischer vom LC Rapperswil-Jona auf den zweiten Platz verweisen. «Ich wollte in diesem Jahr unbedingt gewinnen», erklärte Fischer, die im Jahr 2000 an den Olympischen Spielen in Sydney dabei war. «Obwohl ich zuletzt erkältet war, habe ich mich doch besser gefühlt als vor einem Jahr. Deshalb bin ich trotz des zweiten Rangs ein Stück weit enttäuscht.» Worku habe sie immer wieder in den engen Kurven distanziert. «Am Ende fehlte mir dann die Kraft, um dieses Handicap wettzumachen», so die Primarlehrerin.