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Schattenboxen mit fremden Richtern und Grundrechten

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Sie beide sind Juristen. Wie kommen Sie im Berufsalltag mit internationalem Völkerrecht in Kontakt?

Nicolas Kolly (SVP): Die Personenfreizügigkeit kommt in Fällen zur Anwendung, die ich bearbeite. Die Prinzipien der Europäischen Menschenrechtskonvention sind direkt anwendbar in der Rechtsprechung des Bundes und somit täglich auch bei den Freiburger Gerichten.

Hatten Sie im Berufsalltag schon den Eindruck, in eine Konfliktsituation zwischen Bundesrecht und Völkerrecht zu geraten?

Kolly: Das kommt immer häufiger vor. Da ich viel Strafrecht anwende, betrifft es in meinem Bereich vor allem die Ausschaffung krimineller Ausländer.

Bernadette Hänni (SP): Während meiner Tätigkeit beim Gericht vor allem beim Arbeitsrecht war ich nicht oft mit Fragen des Völkerrechts konfrontiert. Später habe ich mich sehr eng mit der europäischen Hochschulreform, der Bologna-Reform, beschäftigt. Zudem habe ich miterlebt, wie schwierig es für Bundesrat Johann Schneider Ammann war, die Freihandelsabkommen abzuschliessen.

Waren Sie je mit Konflikten zwischen Völkerrecht und Bundesrecht konfrontiert?

Hänni: Ich erkannte einfach, wie viel Mühe und Energie beim Bundesrat dahintersteckt, überhaupt so weit zu kommen.

Konflikte zwischen Völkerrecht und Bundesrecht: Ausnahmen oder eher die Regel?

Hänni: Die Kollisionen zwischen Völkerrecht und Verfassungs- oder Gesetzesrecht gibt es in allen Ländern. Das Bundesgericht hat bis jetzt diese Auslegung immer in einer Art und Weise vorgenommen, die sowohl dem Schweizer als auch dem Völkerrecht möglichst entspricht. Seit die SVP aber Initiativen lanciert, die das Völkerrecht verletzen, gibt es diese Kollisionen. Das ist relativ neu.

Kolly: Auf der Ebene des politischen Rechts kommen solche Konflikte häufiger vor. Wenn Initiativen einmal angenommen sind, kann oder will man sie nicht umsetzen. Die Bevölkerung hat bis jetzt nie darüber befunden, ob nationales oder internationales Recht höher zu werten ist. Sogar die Bundesverfassung besagt, dass das Bundesgericht das Bundesrecht und auch das Völkerrecht anwenden muss. Aber was ist, wenn es zwischen diesen zu einem Konflikt kommt? Das Bundesgericht hat bei einigen Urteilen die Priorität dem internationalen Recht eingeräumt. Die SVP ist der Meinung, dass dies nicht korrekt ist.

Hat das Bundesgericht dem Völkerrecht tatsächlich den Vorrang gegeben?

Hänni: Völkerrechtliche Verträge, denen die Schweiz beigetreten ist, sind demokratisch abgestützt. Solches Völkerrecht ist Schweizer Recht geworden. Es kann also nicht sein, dass das Bundesgericht Völkerrecht gegen das Verfassungsrecht anwendet. Bisher hat es eine sehr konsensuelle Rechtsprechung gefunden, die beiden Seiten möglichst pragmatisch recht gibt.

Ist es auch aus Ihrer Sicht so, dass Völkerrecht zu einem grossen Teil Bundesrecht geworden ist?

Kolly: Nehmen wir die Personenfreizügigkeit: Das Volk hat sie akzeptiert. Aber wenn sich das Volk später bewusst wird, dass ein Abkommen mehr Probleme als Vorteile bringt und deshalb eine gegenteilige Meinung annimmt, dann muss das Abkommen verworfen werden.

Hänni: Sie kritisieren «fremde Richter». Aber bei der Ausschaffungsinitiative waren es das Parlament und der Bundesrat, welche die Auslegung vorgenommen haben. Zur Durchsetzungsinitiative der SVP hat das Volk ganz klar gesagt, dass es keine rigide Anwendung der Initiativen will, ohne dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit Rechnung zu tragen. Also genau das, was das Bundesgericht bisher getan hat.

Ist die Selbstbestimmungsini­tiative eine Reaktion auf die Masseneinwanderungs- und die Ausschaffungsinitiative?

Kolly: Nicht nur. Es gibt auch andere Abstimmungen. Zum Beispiel die Alpeninitiative oder die Pädophileninitiative, die beide sehr umstritten umgesetzt wurden. Es ist eher eine Frage des Prinzips: Wie sieht man die Demokratie in der Zukunft? Mit dem Lancieren der Initiative ist die SVP ein Risiko eingegangen: Wenn sie verworfen wird, so werden in Zukunft auch andere Initiativen nur teilweise umgesetzt.

Hänni: Die Mutterschaftsversicherung brauchte 60 Jahre, bis sie umgesetzt wurde, die Alpeninitiative ist nach 30 Jahren immer noch nicht umgesetzt. Da habe ich nie etwas vonseiten der SVP gehört. Im Übrigen ist die SVP jetzt daran, eine Initiative zur Abschaffung des Freizügigkeitsabkommens zu lancieren. Das ist wenigstens eine ehrliche und klare Initiative. Was in der Selbstbestimmungsinitiative steht, versteht das Volk überhaupt nicht.

Ist die Initiative für Sie zu 100 Prozent klar?

Kolly: Ja, für mich ist sie absolut klar. Wenn man von der Abschiebung krimineller Ausländer spricht, so ist das sehr einfach. Bei der Selbstbestimmungsinitiative ist es tatsächlich weniger einfach. Aber ich denke, dass die grosse Mehrheit unserer Bürger fähig ist, die Initiative zu verstehen. Es ist aber schwierig für sie, das ganze Ausmass zu sehen, das der Entscheid für sie im Alltag bedeutet.

Hänni: Der Initiativtext enthält viele offene Fragen. Zum Beispiel spricht man in einem Artikel von völkerrechtlichen Verpflichtungen, im anderen von völkerrechtlichen Verträgen. Wer bestimmt, wann ein Widerspruch vorhanden ist? Erst im Falle einer Verletzung? Wann ist der Punkt gekommen, wo die Schweiz Verträge kündigen muss? Wer kündigt?

Kolly: Ein Verfassungsartikel kann nicht alle Fälle regeln, die auftreten können. Hier geht es aber um das Prinzip, dass die Bundesverfassung die oberste Quelle des schweizerischen Grundrechts ist. Dieses Prinzip lernen alle Schweizer Schüler im Staatskundeunterricht, wird aber von den Gerichten nicht so angewendet. Deshalb geben wir eine Richtung vor, die sie im Falle der Annahme der Initiative befolgen müssen. Es gibt nicht viele internationale Abkommen, die im Konflikt mit Schweizer Recht stehen: kleinere Fälle des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs, die Personenfreizügigkeit und vielleicht einige wirtschaftliche Abkommen.

Im Initiativtext steht, dass man alle Abkommen aus der Vergangenheit und in Zukunft auf Widersprüche untersuchen muss. Schafft man da nicht einen riesigen Verwaltungsaufwand?

Kolly: Es ist nicht das Ziel der Initianten, eine solche Arbeit zu leisten, sondern vorzusehen, was die Leitlinie in Konfliktfällen ist, die auftreten werden. Niemand in der SVP ist der Meinung, dass nun 5000 Wirtschaftsabkommen rückwirkend untersucht werden sollen. Aber wenn es Konflikte sind, wo es wirklich knistert, wo Parteien so weit gehen, Initiativen zu lancieren, da muss das Prinzip der Selbstbestimmung zum Zug kommen.

Hänni: Schon heute steht in der Bundesverfassung, dass künftige Verträge nicht abgeschlossen werden dürfen, wenn sie mit dem Verfassungsrecht als höchster Quelle des Rechts in Konflikt stehen. Die Ausschaffungsinitiative steht in Konflikt mit der Europäischen Menschenrechtskonvention. Da nimmt man einen Bruch mit einem für die Europäische Union so wichtigen Vertragswerk in Kauf.

Wird die Europäische Menschenrechtskonvention bei einem Ja nun in der Schweiz ausser Kraft gesetzt?

Kolly: Nein, absolut nicht. Der Europäische Gerichtshof hat viele Urteile gefällt, die für die Schweiz positiv sind. Aber er hat keine demokratische Legitimierung, da er dem Schweizer Volk nie zur Genehmigung vorgelegt wurde. In der Schweiz wacht das Bundesgericht über die Anwendung der Gesetze. Wenn diese schlecht formuliert sind, ändert das Parlament sie. Das ist in Strassburg nicht der Fall. Die Richter haben dort die Rolle des Gesetzgebers eingenommen. Man überträgt 46 Richtern, die zum Teil durch nicht sehr demokratische Machthaber wie Herr Orban, Herr Putin oder Herr Erdogan eingesetzt wurden, die Kompetenz, durch ihre Rechtsprechung Regeln aufzustellen, welche die Schweiz buchstabengetreu befolgt. Viele andere Länder gehen nicht so weit.

Hänni: Aber das geht doch nicht, dass wir die Europäische Menschenrechtskonvention nicht anwenden, obwohl wir zu diesem Vertragswerk Ja gesagt haben. Sie gehört zum Schweizer Recht und ist demokratisch legitimiert. Deren Grundrechtskatalog ist in die Bundesverfassung übernommen worden.

In dieser Debatte ist die Stabilität für die Wirtschaft oft ein Thema. Ist diese gefährdet?

Kolly: Ich glaube nicht mehr an die Vertreter der Wirtschaft. Die Wirtschaftswelt ist keine Freundin der Volksrechte. Schon in der Vergangenheit wurden alle SVP-Initiativen mit denselben Argumenten bekämpft. Es ist immer die gleiche Leier. Unsere Wirtschaft ist nicht in Gefahr. Es könnte höchstens für gewisse Landwirtschaftsabkommen Folgen haben, die sich am Freihandel und dem Verbot von Subventionen orientieren.

Hänni: Unsere KMU betreiben Handel über die Grenzen hinaus in einer globalisierten Welt. Sie sind darauf angewiesen, dass wir eine verlässliche Partnerin sind. Ohne gemeinsame Regeln hätten wir etwa im Kampf gegen die Klimaveränderung einen schweren Stand.

Kann die Schweiz bei einem Ja am 25. November noch als Hüterin der Menschenrechte auftreten?

Kolly: Davon bin ich überzeugt. Die Menschenrechte als Ganzes sind nicht betroffen. Also auch nicht das Verbot der von Folter, Menschenhandel, Todesstrafe. Die Bundesverfassung geht weiter als die Europäische Menschenrechtskonvention. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Schweizer die Menschenrechte abschaffen wollen.

Hänni: Dann frage ich mich, warum es denn diese Initiative braucht, wenn alles so bleibt wie bisher. Die SVP ist doch frustriert, weil ihre Initiativen nicht buchstabengetreu umgesetzt worden sind und das Volk mit der Ablehnung der Durchsetzungsinitiative gezeigt hat, dass es die Umsetzung nicht so will wie die SVP. Ich glaube, dass die SVP mit diesen Initiativen bloss versucht, ihre Wähler bei Stange zu halten.

Dient die Initiative dem Wahlkampf?

Kolly: Wenn die SVP ihre Wählerschaft hätte mobilisieren wollen, dann nicht mit diesem Thema, bei dem die Leute Mühe haben, die Auswirkungen auf ihren Alltag zu verstehen. Aber es ist die wichtigste Abstimmung seit der Abstimmung über den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum 1992. Es geht um das Funktionieren der direkten Demokratie.

Hänni: Wenn Sie sagen, es sei die wichtigste Abstimmung, so sage ich: Es ist eine sehr gefährlichste Abstimmung.

Zur Person

Erst Privatrecht, dann öffentliches Recht

Bernadette Hänni aus Murten sitzt für die SP-Fraktion im Grossen Rat. Sie ist dort Vizepräsidentin der Kommission für auswärtige Angelegenheiten. Die 64-Jährige ist ausgebildete Lehrerin und bildete sich danach zur Juristin mit einem Lizentiat der Universität Freiburg aus. Zuerst befasste sie sich beruflich mit Privatrecht: Arbeitsrecht, Vormundschaftsrecht und Kinderrecht. Danach wechselte sie zum Bund, wo sie im Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation arbeitete. Ihr jetziger Arbeitgeber ist die AHV.

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Zur Person

Anwalt und Präsident der Justizkommission

Nicolas Kolly ist SVP-Grossrat aus Essert. Im Grossen Rat präsidiert Kolly die Justizkommission sowie die Kommission zum Gesetz über die Organisation der öffentlichen Spitäler. Er ist zudem Mitglied der Kommission, die sich mit dem Bericht über den kantonalen Richtplan auseinandersetzt. Der 32-Jährige hat in Freiburg Recht studiert und mit dem Master 2014 abgeschlossen. Er absolvierte danach ein Anwaltspraktikum und erlangte das Patent 2017. Seither arbeit Kolly als Anwalt in Freiburg. Er ist auch Untersuchungsrichter bei der Militärjustiz.

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Abstimmung

Selbstbestimmung oder Vertragsbruch?

Die von der SVP lancierte Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter» oder Selbstbestimmungsinitiative will die Bundesverfassung ergänzen und verlangt insbesondere Folgendes: Die Bundesverfassung geniesst generell Vorrang gegenüber dem Völkerrecht, ausser bei zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts wie dem Folter- und dem Sklavereiverbot.

Schweizer Gerichte und Verwaltungsbehörden dürften demnach einen internationalen Vertrag nicht anwenden, wenn er der Verfassung widerspricht. Kommt es zu einem derartigen Widerspruch, müssten die Behörden für eine Anpassung der völkerrechtlichen Verpflichtungen sorgen oder nötigenfalls den internationalen Vertrag kündigen. Diese Bestimmung müsste auch auf alle bereits bestehenden internationalen Verträge angewandt werden.

Der Bundesrat und das Parlament empfehlen, diese Volksinitiative abzulehnen. Gemäss dem Bundesrat schaffen Verträge mit anderen Ländern Verlässlichkeit und Stabilität für die Bevölkerung und die Wirtschaft. Die Initiative setze dies aber aufs Spiel. Sie könne als Aufforderung zum Vertragsbruch verstanden werden. Der Bundesrat betont in seiner Botschaft, dass die Schweiz sich Verträge nicht aufzwingen lasse, sondern heute schon selbst bestimme, welchen Vertrag sie abschliesst und welchen nicht.

Für die Landesregierung stellt die Initiative einen zu starren Mechanismus dar, der immer wieder zu endlosen Diskussionen führen würde, da es für jede Anpassung eines auch noch so kleinen Vertragspunkts die Zustimmung der Vertragspartner brauche. So werde das Erfolgsmodell Schweiz gefährdet.

Das Initiativkomitee hingegen erachtet es als zentral, dass Volksentscheide auch respektiert und umgesetzt werden. Internationale Gremien und Behörden würden den Geltungsbereich von Verträgen laufend ausweiten, und Politiker und Gerichte würden Schweizer Volksentscheide in der Folge nicht mehr oder nur teilweise umsetzen. Als Beispiel erwähnt das Komitee die Zuwanderung. Die Initiative schaffe somit Rechtssicherheit und Selbstbestimmung für die Schweiz.

Für die Initiative hat die SVP die Ja-Parole herausgegeben. Ein Nein empfehlen die Mutterparteien von FDP, CVP, SP, Grüne, BDP, GLP und CSP.

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