Schweizer Leichtathletik im Hoch

Am vergangenen Wochenende fanden die Schweizer Meisterschaften der Leichtathleten im Zürcher Letzigrund statt und begannen mit einem Feuerwerk von Mujinga Kambundji. Mit der Weltklasse-Zeit von 10,89 Sekunden über 100 m holte sie nicht nur überlegen den Schweizer Meistertitel, sondern entriss Ajla Del Ponte wieder den nationalen Rekord um eine hundertstel Sekunde. Da verkamen selbst die Sprünge und der Meistertitel von Simon Ehammer – 10-Kämpfer und aktuell einer der weltbesten Weitspringer (8,45 Meter in Götzis dieses Jahr waren gleichbedeutend mit Schweizer Rekord) – zur Randnotiz. Gleichermassen hochstehend begann der zweite Tag im Letzigrund. Über 1500 m lieferten sich die Steeple-Spezialistin Chiara Scherrer, welche eine Woche zuvor den Schweizer Rekord von Fabienne Schlumpf unterbot, und 800-Meter-Läuferin Lore Hoffmann ein packendes Duell. Der 800-Meter-Lauf wurde dadurch eine Solo-Vorstellung für die 18-jährige Freiburgerin und amtierende U20-Europameisterin Audrey Werro. Den stimmungsvollen Schlusspunkt setzten die Hürdensprints: angeführt von Noemi Zbären, die im Halbfinal und im Final über 100 m Hürden unter 13 Sekunden blieb, und Jason Joseph, der eine phänomenale Schweizer Saisonbestzeit von 13,25 Sekunden über 110 m Hürden aufstellte.

Schon nur mit dieser Auflistung an Personen und Leistungen wird deutlich, dass die Schweizer Leichtathletik sich aktuell auf einem sehr hohen Niveau bewegt. Auch andere Zahlen wie die steigende Anzahl an Qualifizierten für internationale Grossanlässe bei den Aktiven und in den Nachwuchskategorien oder die drei WM-Medaillen in der Halle dieses Jahr (Gold für Kambundji über 100 m und zweimal Silber für Ehammer im Mehrkampf sowie Loïc Gasch im Hochsprung) bestätigen das Allzeithoch. Doch weshalb sind die Schweizer Leichtathletinnen und Leichtathleten momentan wieder international konkurrenzfähig, nachdem man mit den Karriereenden von Werner Günthör, André Bucher, Anita Weyermann und Viktor Röthlin schon das Schlimmste befürchten musste?

Der wichtigste Grund sind sicherlich die Heim-Europameisterschaften in Zürich 2014. Zur Vorbereitung darauf lancierte der Schweizer Leichtathletik Verband Swiss Athletics das Swiss-Starters-Projekt (Nationalkader mit gezielter Unterstützung und Förderung) sowie den UBS Kids Cup als Leichtathletikanlass für Kinder und Jugendliche. Beide Projekte existieren nach wie vor und garantieren den nachhaltigen Erfolg der Schweizer Leichtathletik. Heutige Leistungsträgerinnen und -träger wie Ehammer oder die Stabhochspringerin Angelica Moser wurden durch den UBS Kids Cup für die Leichtathletik begeistert und sind seit einigen Jahren sogenannte Swiss Starters.

Und da ist natürlich der legendäre regnerische Abend des 15. August 2014, als ein bis damals nur Leichtathletikinsidern bekannter Kariem Hussein über die 400 m Hürden EM-Gold holte (bei Gänsehautbedarf einfach das entsprechende Video mit Livekommentar auf SRF nachschauen). Diese Goldmedaille führte richtiggehend zu einer «Golden Generation» mit Lea Sprunger, Tadesse Abraham, Selina Büchel, Alex Wilson, Kambundji und Hussein. Wilson und Hussein sorgten letztes Jahr mit ihren Doping-Geschichten leider nicht für ruhmreiche Schlagzeilen. Die Schweizer Leichtathletik ist jedoch glücklicherweise aktuell an der Spitze so breit aufgestellt, dass auch solche Fehltritte kompensiert werden können. Vom 15.–21. August schweift deshalb der helvetische Blick ins Olympia-Stadion nach München, wo hoffentlich die Ausbeute von vier Schweizer EM-Medaillen vor vier Jahren in Berlin übertroffen werden kann.

Der Heitenrieder Läufer und ausgebildete Betriebsökonom Andreas Kempf arbeitet im HR bei SMG Swiss Marketplace Group. Der ehemalige Schweizer Meister über die 5000 m hat 2016 an der Leichtathletik-EM mit der Schweiz Team-Gold im Halbmarathon gewonnen und hält die Freiburger Rekorde über die Halbmarathon- sowie Marathondistanz.