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«Günstige Arbeitskräfte»

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Bis 1981 konnten im Kanton Freiburg Menschen, die nicht in die geltende gesellschaftliche Norm passten, in Anstalten wie Bellechasse gesperrt werden. Wie neue Berichte der Unabhängigen Expertenkommission (UEK) Administrative Versorgungen zeigen, haben diese Menschen damals auch in Firmen der Region gearbeitet: In der Micarna in Courtepin, in der Selecta in Muntelier und in der Saia in Murten. Die Studie, über die der «SonntagsBlick» Ende Juni als erste Zeitung berichtete, untersuchte fünf Haftanstalten der Schweiz und einen Zeitraum von beinahe 100 Jahren (siehe Kasten unten rechts). Eine davon ist Bellechasse.

Am Bericht mitgearbeitet hat auch die Historikerin Alix Heiniger. Sie untersuchte die ökonomischen Aspekte der Strafanstalten Bellechasse und deren Auswirkungen auf die Internierten. Anfangs musste sich Bellechasse selber finanzieren: durch die Arbeit der Insassen und durch die Beteiligung der Angehörigen an den Unterbringungskosten. Erst im Lauf der Jahre wurde diese Praxis durch eine verstärkte finanzielle Beteiligung des Kantons abgelöst. 1920 belief sich der Anteil der Arbeit der Internierten am Einkommen von Bellechasse laut der Studie auf 99,4 Prozent. 1980 waren es noch 45,8 Prozent.

Mechanisierung des Betriebs

Die Studie zeigt: Bellechasse hat in der Region eine wichtige wirtschaftliche Rolle gespielt: «Bellechasse war damals, wie auch heute noch, der zweitgrösste Landwirtschaftsbetrieb der Schweiz», sagt Alix Heiniger. Die Anstalt habe dessen Produkte an viele kleine Unternehmen wie Hotels, Restaurants oder Sportvereine geliefert. Zudem habe Bellechasse auf Nachfrage auch Personal für Arbeitgeber in der Region zur Verfügung gestellt. Diese Praxis sei durch die Modernisierung des Landwirtschaftsbetriebs in den 1950er-Jahren entstanden: «Der damalige Direktor Max Rentsch mechanisierte den Gutsbetrieb und steigerte so die Produktivität. Deshalb benötigte Bellechasse weniger Arbeitskräfte für die Landwirtschaft, und der Direktor konnte Internierte und Häftlinge anderen Arbeiten zuteilen, auch in externen Unternehmen.»

Für die Eisenbahn

Alix Heiniger konnte anhand der Quellen von Bellechasse aufzeigen, dass Internierte auch in den Unternehmen Micarna, Saia und Selecta gearbeitet haben. Wie viele es über die Jahre waren und wie viel die Unternehmen für die Arbeitskräfte bezahlten, bleibt offen: «Es liegen keine Arbeitsverträge vor.» Es gibt nur einzelne Belege: Der Jahresbericht 1978 von Bellechasse besagt, dass zehn Männer bei der Micarna arbeiteten. Belegt ist auch, «dass die Firmen Bellechasse kontaktierten, weil sie wussten, dass es dort günstige Arbeitskräfte gab».

Zwischen 1951 und 1952 wurden laut der Studie Männer in Firmen in Galmiz, Murten, Muntelier, Sugiez und bei den Freiburger Eisenbahnen zum Bauen eingesetzt. Politische und gewerkschaftliche Vertreter betrachteten dies als unlauteren Wettbewerb: Der Freiburger Innenminister wies in einem Schreiben an seinen Kollegen des Justizministeriums darauf hin, dass Internierte weniger kosteten als andere Mitarbeiter. Direktor Max Rentsch fegte die Kritik weg und antwortete seinem Aufsichtsminister: «Ich glaube, dass die Firma unsere Männer angemessen bezahlt hat, wenn man bedenkt, dass es sich um Verwaltungsinternierte handelt, welche ihren Lebensunterhalt selber grösstenteils nur schwer bestreiten können. Unsere Häftlinge haben die Italiener ersetzt, und ohne sie hätten die Bauarbeiten nicht rechtzeitig abgeschlossen werden können.»

Bis 1971 waren in Bellechasse auch Frauen untergebracht. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung war offensichtlich: Frauen erledigten Haushaltsarbeiten, was die Selbstfinanzierung der Anstalt begünstigte, da so keine externen Arbeiterinnen hinzugezogen werden mussten. 1917 hielt es die Direktion von Bellechasse für mühsam, Männer in diesen Aufgaben zu beschäftigen, für die sie «keine Eignung haben». Frauen könnten auf diese Weise «eine praktische Haushaltsausbildung» erhalten.

In den 1950er-Jahren wandte sich ein Basler Unternehmen an die Direktion von Bellechasse: «Die ausländische Konkurrenz und die immer knapper und teurer werdenden Schweizer Arbeitskräfte zwingen mich, nach neuen Quellen zu suchen. Ich dachte, du könntest mir vielleicht helfen.» Er wollte, dass Frauen sich des Drahts, der den Korken von Schaumweinen hält, annehmen, weil «ihre Hände dünner und flexibler sind als jene der Männer». Der Basler erwähnt nicht, dass die Löhne der Frauen weit unter jenen der Männer lagen. Im Archiv ist laut der Studie nichts zu einer Realisierung des Projekts zu finden. «Das zeigt, dass sich die Unternehmer, die sich an Bellechasse wandten, eine Senkung der Produktionskosten durch die Beschäftigung einer sehr kostengünstigen Belegschaft versprachen», so Alix Heiniger. «Wie Rentschs Bemerkung zu den Italienern zeigt, galten die Arbeitskräfte von Bellechasse als preiswert.»

Auch heute ein Thema

Alix Heiniger spricht von «Arbeit unter Zwang». Ob die Menschen die Wahl hatten, intern oder extern zu arbeiten, sei nicht bekannt. «Die Landarbeit war ziemlich hart», sagt sie, «die Möglichkeit, extern zu arbeiten, wurde nur vertrauenswürdigen Internierten zugestanden.» Berichte von Internierten in Bellechasse zeigten, «dass die zugewiesenen Arbeiten oft anstrengend, repetitiv, monoton und wenig lehrreich waren».

Die Historikerin war während ihrer Arbeit überrascht darüber, wie die Menschen damals gelebt haben und wie stark der finanzielle Druck von aussen war. «Die Bedingungen waren sehr schlecht, besonders in den 1930er-Jahren.» Es gelte nicht zu vergessen, «dass bis heute die Kostenfrage im Massnahmenvollzug eine wichtige Rolle spielt.»

Zur Publikation

Frauen hatten es schwerer als Männer

Der Bundesrat hat 2014 eine Unabhängige Expertenkommission (UEK) eingesetzt. Die UEK untersucht das Thema der Administrativen Versorgungen und anderer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen in der Schweiz bis 1981. Anfang Juli hat die UEK drei neue Publikationen veröffentlicht: Band 7 bis Band 9. Band 8 trägt den Titel «Alltag unter Zwang – Zwischen Anstaltsinternierung und Entlassung» und befasst sich in Kapitel 6 auch mit wirtschaftlichen Aspekten der Strafanstalten (siehe Haupttext). Im ersten Teil befasst sich Band 8 mit den eingewiesenen Personengruppen im Wandel der Zeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat beispielsweise «Alkoholismus» als Grund für eine administrative Einweisung in den Hintergrund, und die Einweisung von Jugendlichen, die neue Lebensentwürfe ausprobierten, nahm zu. Der zweite Teil der Studie stellt den Alltag der Internierten ins Zentrum. Bis 1981 war die Einweisung der «Nacherziehung» verpflichtet. Zentrales Instrument dabei war die «Arbeitserziehung». Frauen sahen sich oft mit verschärften Bedingungen konfrontiert. Im dritten Teil der Studie werden Verfahren untersucht: Das Argument der «Nacherziehung» diente den Gesetzgebern zur Rechtfertigung langer Internierungszeiten, die noch verlängert werden konnten – im Gegensatz zu strafrechtlichen Verurteilungen, bei denen das Strafmass zu Beginn festgesetzt wurde.

emu

 

Sämtliche Publikationen der UEK sind auf ihrer Homepage als E-Books abrufbar: www.uek-administrative-versorgungen.ch

Stellungnahmen

Micarna spricht von Integrationsangebot

Mit der Beschäftigung von Insassen der Strafanstalt Bellechasse habe die Micarna «Menschen mittels Brücken- und Integrationsangeboten den Wiedereinstieg in die Berufswelt vereinfachen und den Betroffenen einen gesellschaftlichen Austausch ermöglichen» wollen, schreibt das Unternehmen auf Anfrage. Die Aufgaben der Insassen seien mit jenen von ungelernten Arbeitskräften vergleichbar gewesen.

Für die Auswahl und die Aufsicht der Insassen sei die Strafanstalt verantwortlich gewesen. «Die Häftlinge wurden stets von einem Wärter zu ihrer Arbeit begleitet, machten keine Probleme und pflegten einen guten Austausch mit den regulären Mitarbeitenden.» Über die Hintergründe der Inhaftierung habe die Micarna als Käuferin von Produkten und Dienstleistungen keine Kenntnisse. Es könne nicht ihre Aufgabe sein, dies abzuklären. Das Unternehmen müsse sich auf die Integrität von sozialen Institutionen und kantonalen Behörden verlassen dürfen.

Den Häftlingen sei ein Taschengeld bezahlt worden. Der finanzielle Umfang für die Micarna sei vergleichbar mit den regulären Lohnkosten von ungelernten Mitarbeitenden gewesen. Die Abrechnung des Lohns sei über die Strafanstalt erfolgt. «Welchen Lohnanteil die Häftlinge anschliessend von der kantonalen Institution erhalten haben, entzieht sich der Kenntnis der Micarna.»

Das Unternehmen begrüsse, dass sich Gesellschaften mit der eigenen Geschichte auseinandersetzten. Es sei jedoch nicht Aufgabe der Unternehmen, gesellschaftspolitische Entwicklungen der Schweizer Geschichte aufzuarbeiten oder Entschädigungszahlungen zu debattieren.

Die Selecta, Vertreiberin von Verkaufsautomaten, kann die damaligen Vorgänge um die Insassen von Bellechasse nicht mehr genau rekonstruieren. Diese hätten bis Ende der 80er-Jahre in der Automatenproduktion gearbeitet. Um mehr zu erfahren, sei das Unternehmen auf die Informationen der Expertenkommission angewiesen.

Die Geschichte der 1920 gegründeten Saia AG ist geprägt von Übernahmen und Fusionen. Ein direktes Nachfolgeunternehmen liess sich nicht ausmachen.

jmw

 

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