«Sehr froh für alle Beteiligten»
Nationale Pisa-Studie zeigt grosse Unterschiede – Französischfreiburg auf Rang eins
Während in Bern, Genf oder dem Tessin die nationale Pisa-Studie lange Gesichter hervorgerufen hat, gibt es in Freiburg strahlende Gewinner – aber nur im französischsprachigen Kantonsteil.
Von CHRISTIAN SCHMUTZ
«Ich bin sehr froh. Nicht für mich, sondern für die Schulen, die Lehrpersonen und alle Beteiligten», sagte Erziehungsdirektorin Isabelle Chassot gestern Nachmittag. Rund 1300 Schülerinnen und Schüler aus zehn französischsprachigen Orientierungsstufen des Kantons Freiburg hatten im Mai 2003 die nationale Version des internationalen Pisa-Tests absolviert.
Im «Programm for International Student Assessment», oder kurz «Pisa», wurden in allen OECD-Ländern die Leistungen in Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften und Problemlösen getestet. Die Schweizer 15-Jährigen lagen überall über dem internationalen Durchschnitt. Die Schweiz veranlasste eine Zweitstudie bei Neuntklässlern. Freiburg war dabei einer der Kantone, der auch den Schweizer Schnitt weit übertraf. Damit seien die ausgezeichneten Ergebnisse vom Jahr 2000 bestätigt worden, sagte Chassot.
In den Bereichen Problemlösen (547 Punkte), Naturwissenschaften (533) und Mathematik (553) liegt Welschfreiburg an der nationalen Spitze. In der Mathematik liegen die Ergebnisse in den Progymnasialklassen auf 601 Punkten (500 ist der Durchschnitt), in den Sekundarklassen immer noch auf 534 (über dem Westschweizer Schnitt von 528) und in den Realklassen auf 486 Punkten, nahe am OECD-Schnitt.
Vor allem in Realklassen beeinflussten Herkunft und Familiensprache die Mathematikergebnisse. Sonst aber sei der Einfluss der Herkunft auf die Schulleistungen relativ gering. Insgesamt sei das freiburgische Schulsystem in der Lage, alle Schülerinnen und Schüler unabhängig von ihrer sozialen und kulturellen Herkunft auf ein vergleichsweise hohes Niveau zu bringen, freute sich Isabelle Chassot.
Beim Lesen waren die Vergleichszahlen viel weniger hoch als beim Rechnen. «Die Bemühungen im Bereich der Leseförderung müssen weitergehen», war der Medienmitteilung des Kantons zu entnehmen. «Lesen bleibt unsere Priorität», sagte Chassot. Aber der Prozentsatz der Schülerinnen und Schüler mit sehr schwachen Lesekompetenzen liege nur bei acht Prozent. In anderen Westschweizer Kantonen betrage dieser zwischen 14 und 18 Prozent.
«Die Freiburger Schule lässt viele Schülerinnen und Schüler solide Kompetenzen entwickeln und anwenden», fasste sie zusammen. Die Anpassungen seien gemacht, um den Herausforderungen der heutigen Gesellschaft zu entsprechen. Die guten Ergebnisse zeigten auch die gute Arbeit der Lehrpersonen, die Bildungsbereitschaft der Kinder und das Vertrauen aller in die Schule als Institution.
Positives Bildungsklima als Grund
Und da war Isabelle Chassot bei den Gründen angelangt, warum Französischfreiburg zuoberst auf dem Treppchen stand. Es gebe keine endgültigen Antworten, winkte die Staatsrätin ab. Um dann aber doch drei Gründe zu nennen, die möglicherweise das Niveau der Schülerinnen und Schüler beeinflusst hätten.
Freiburger und Walliser Kinder würden von der 1. bis zur 9. Klasse insgesamt mehr Stunden die Schulbank drücken als andere. Es gebe in diesen beiden Kantonen weniger
Migrantenkinder und die Gesellschaft präsentiere sich homogener als anderswo. Schliesslich gebe es in Freiburg ein positives Bildungsklima rund um die Schule.
Alle Beteiligten würden die Bestrebungen für eine gute Schule und eine möglichst gute Basis für die berufliche Zukunft der Schüler unterstützen.
Deutschfreiburg vielleicht 2006
Sie gehe davon aus, dass die Ergebnisse für Deutschfreiburg ähnlich gut ausfallen würden, sagte Isabelle Chassot. Die Rahmenbedingungen seien nämlich vergleichbar mit Französischfreiburg, dem Ober- und dem Unterwallis.
Für Deutschfreiburg sei die Studie aus Kostengründen nicht durchgeführt worden. Der französischsprachige Kantonsteil habe finanziell von der Zusammenarbeit aller Erziehungsdirektoren der Romandie profitiert. Für Deutschfreiburg hätte der Kanton die ganzen Studienkosten selbst bezahlen müssen. Dies hätte eine schlechte Kosten-Nutzen-Bilanz ergeben.
«Dass das Wallis aber zwei Studien in Auftrag gegeben hat, stimmte mich nachdenklich», gestand Isabelle Chassot gegenüber den FN. Sie hoffe, dass nun Druck auf die vielen Deutschschweizer Kantone ausgeübt werde, die nicht mitgemacht hätten. So würden die Kosten für alle reduziert und für alle beteiligten Kantone würde es billiger. Vielleicht sei dies bereits 2006 der Fall, sagte Chassot.
Reto Furter, Vorsteher des Amts für deutschsprachigen obligatorischen Unterricht, bedauerte, dass für Deutschfreiburg keine Vergleichszahlen erhoben werden konnten. Aber schon nur einige wenige Vergleichszahlen hätten 70 000 Franken gekostet. chs
Nationaler Pisa-Bericht
Neuntklässler aus allen Westschweizer Kantonen, aus Bern, Zürich, Aargau, Thurgau, St. Gallen, Tessin sowie aus dem Fürstentum Liechtenstein wurden für den zweiten nationalen Pisa-Bericht in Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften und Problemlösung getestet. Die Projektleitung lag beim Bundesamt für Statistik.
Klar über dem schweizerischen Schnitt lagen Französischfreiburg, St. Gallen, Thurgau, Wallis (deutsch und franz.) und Aargau. Jura, Liechtenstein und Zürich lagen im Mittelwert der Schweiz. Neuenburg, Bern (deutsch und franz.), Waadt, Tessin und Genf darunter.
Die Leistungsunterschiede zwischen den Sprachregionen waren nach Einschätzung von Hans-Ulrich Stöckling, Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz, eher klein. Während sich die Mathematik-Leistungen überall über dem internationalen Durchschnitt bewegen, lag der Schwachpunkt in allen Kantonen in der Lesekompetenz. Über die Ursachen der kantonalen Unterschiede konnte die Studie nur mutmassen. Das schlechte Abschneiden von Genf wurde mit dem hohen Ausländeranteil in Verbindung gebracht. Im Tessin wurde auf das etwas tiefere Alter der Neuntklässler hingeweisen. Die Leistungsergebnisse liessen auch keine Schlüsse zu, welches Schulmodell das beste sei. Unter den besten Kantonen fanden sich solche mit kooperativ wie auch mit selektiv orientiertem Schulsystem.
Für die Erziehungsdirektoren wie für den Lehrerverband war die mangelnde Ursachenangabe der Hauptschwachpunkt. Die Erklärungsansätze der Studie brächten nur wenig für die konkrete Bildungsarbeit, kritisieren die Lehrer. Einige Kantone wollen nun die aufgedeckten Defizite angehen: Bern prüft eine Aufstockung der Mathe-Stunden, St. Gallen sieht Handlungsbedarf beim Leseunterricht. sda
Bravo
Fribourg!
Von CHRISTOPH NUSSBAUMER
Die Freiburger Neuntklässlerinnen und Neuntklässler gehören in Mathematik und Lesen landesweit zu den Besten. Das ist schön. Die positiven Resultate sind Anerkennung und Bestätigung für all jene, die sich im Kanton für eine qualitativ gute Schulbildung einsetzen. Auch kritische Stimmen, wonach die Pisa-Studie nur wenige aussagekräftige Kausalitäten zu Tage fördere, sollen die Freude in Freiburg nicht schmälern.
«Bravo Fribourg!» muss es jedoch der Präzision halber heissen. Denn in der Pisa-Studie haben sich ausschliesslich französischsprachige Schülerinnen und Schüler Lorbeeren verdient. Die deutschsprachigen Schulklassen wurden nicht in die Detailu