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«Missbrauch bleibt lebenslang präsent»

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Alle zwei Wochen trifft sich eine Gruppe von Erwachsenen in einer Wohnung in Düdingen zu einer Gesprächsrunde. Die meisten kennen sich nicht so gut, doch verbindet sie alle etwas sehr Persönliches: Sie sind als Kind Opfer eines sexuellen Missbrauchs geworden. «Wir sprechen nicht jedes Mal explizit über das Erlebte, sondern auch über das allgemeine Wohlbefinden. Niemand muss etwas erzählen», sagt Lizeth Käser, Co-Präsidentin des Vereins Horizont (siehe Kasten) und Leiterin der Gesprächsgruppen. Denn jede Geschichte sei anders, und alle Teilnehmer seien in einem unterschiedlichen Stadium des Verarbeitungsprozesses. So könne es gut sein, dass jemand regelmässig zu den Treffen komme, aber Monate lang nichts zum Gespräch beitrage. «Das ist vollkommen in Ordnung», so die Gesprächsleiterin. «Das wichtigste Anliegen ist es, das Gefühl zu bekommen, nicht allein zu sein.»

Gefühle kommen wieder hoch

«Ein Missbrauch bleibt ein Leben lang präsent», sagt sie. Ein solches Trauma könne man nicht vergessen, «aber man kann lernen, damit umzugehen». Lizeth Käser weiss, wovon sie spricht. Die 56-Jährige ist als elfjähriges Mädchen von einem Lehrer missbraucht worden. Sie sei heute so weit, zu sagen, dass sie den Vorfall weitgehend verarbeitet habe. «Doch manchmal kommt er auf seltsame Weise wieder zum Vorschein.» Sie erzählt, dass sie in einer Alltagssituation plötzlich ganz seltsam reagiere, vollkommen unlogisch und übertrieben. «Es geht dann nicht um den Vorfall an sich, sondern um eine Emotion, die auf einmal wieder in mir hochkommt.» Sie habe gelernt, damit zu leben, und vor allem wisse sie heute mit dem Gefühl von Scham und Schuld umzugehen. «Viele Opfer haben ihr Leben lang das Gefühl, schuld am Missbrauch zu sein.»

Kleine Gruppen

Mit Leuten zu sprechen, die das Gleiche erlebt haben, sei hilfreich, so Lizeth Käser. Manche kommen nur einmal in die Gesprächsrunde, andere ein paar Monate, und wieder andere sind schon seit Jahren dabei. Die Gesprächsgruppen sind bewusst klein gehalten, das ist sogar in den Statuten so festgehalten. «Es soll in einem familiär-freundschaftlichen Rahmen sein.» Steigt die Zahl der Interessenten auf mehr als sieben, wird eine weitere Gesprächsrunde eröffnet.

Lizeth Käser ist überzeugt, dass es in der Region Deutschfreiburg viele Missbrauchsopfer gibt, die nie Hilfe gesucht haben. Zahlen gibt es keine. In der Schweiz werden gemäss einer Statistik jährlich 365 Anzeigen wegen sexuellen Missbrauchs eingereicht. «Doch es sind sicher noch viel mehr Menschen betroffen. Die Dunkelziffer ist sehr hoch.»

Für viele sei die Hemmschwelle, fachliche Hilfe zu suchen oder sich an eine Selbsthilfegruppe zu wenden, zu hoch. «Missbrauch ist leider immer noch ein Tabuthema in der Gesellschaft.» Selbst innerhalb der Familie des Opfers. Das hat sie selbst auch erlebt: Als sie der Mutter vom Missbrauch erzählte, winkte diese ab und sagte ihr, sie solle doch kein Drama daraus machen. Also hat sie geschwiegen. Das bedauert sie heute. «Ich wäre heute eine andere Mutter, wenn ich damals Hilfe bekommen hätte. Es hat mein ganzes Leben, oft auch unbewusst, beeinflusst.» Deshalb ist ihr wichtigster Rat: «Nicht schweigen!»

Unterschiedliche Hintergründe

Wie gut ein Opfer einen Missbrauch verarbeiten könne, hänge von verschiedenen Faktoren ab, sagt Lizeth Käser. Vom Zeitpunkt des Missbrauchs zum Beispiel: Kinder, denen dieses schreckliche Erlebnis zwischen vier und neun Jahren widerfahren ist, leiden in der Regel stärker. «Weil ihr ganzes späteres Leben darauf basiert.» Wer als Jugendlicher missbraucht werde, reagiere anders. «Sie hatten vielleicht vorher eine gute Kindheit, die ihnen einen Boden gibt. Der Missbrauch ist dann aber stärker präsent, weil es einem älteren Kind bewusster ist, dass etwas falsch läuft.»

Auch die Art des Missbrauchs – vom eigenen Vater im Bett oder ausserhalb des Elternhauses – spielten eine Rolle, ebenso die übrigen Lebensumstände: Ob das Opfer zum Beispiel Mitglied einer intakten Familie ist oder ob es aus zerrütteten Verhältnissen kommt. «Missbrauch kommt überall vor», betont Lizeth Käser, «auch in sogenannt perfekten Familien.»

Jubiläum

Anonyme Runden unter Gleichgesinnten

«Horizont» wurde vor 20 Jahren als erste deutschsprachige Selbsthilfegruppe für Frauen gegründet, die in ihrer Kindheit sexuell missbraucht worden sind. Seit 2003 nimmt der Verein auch Männer in die Gesprächsrunden auf. Diese finden alle zwei Wochen in einer vom Verein eigens zu diesem Zweck gemieteten Wohnung im Raum Düdingen statt und dauern etwa zweieinhalb Stunden. Die Anonymität der Teilnehmerinnen und Teilnehmer bleibt gewahrt. Bevor ein neues Mitglied in die offene Runde kommt, führt die Gesprächsleiterin Lizeth Käser mit ihm ein Eintrittsgespräch, um zu prüfen, ob er oder sie «gruppentauglich» ist.

Finanziert über Spenden

Ab Januar 2019 soll eine französischsprachige Gruppe eröffnet werden, sofern der Bedarf da ist, wie Lizeth Käser ausführt. Der Verein finanziert sich vor allem über Spenden von Privatpersonen, Gemeinden und Kirchen sowie Beiträgen der Loterie Romande. Das ermöglicht es ihm, die Gesprächsrunden kostenlos anbieten zu können. Stellt ein Teilnehmer fest, dass es ihm in der Runde nicht gefällt, hilft der Verein Selbsthilfe Horizont ihm mit einer Liste weiterer Anlaufstellen weiter: Opferhilfestellen, Ärzte, Therapeuten oder andere Gesprächsgruppen. Die Leiterinnen der Gesprächsgruppen werden regelmässig von einem Supervisor betreut.

im

Weitere Informationen: www.selbsthilfe-horizont.ch

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