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«Sich anpassen und Folge leisten»

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Beat Hayoz, für die kürzlich erschienene Jubiläumspublikation des Sensler Museums «40x Seiselann» haben Sie sich mit verschiedensten Facetten des Sensebezirks beschäftigt. Dabei sind Sie auch über das Jahr 1919 gestolpert. Aus welchem Grund?

Im Dezember 1919 wurde mit Jean-Marie Musy erstmals ein Freiburger in den Bundesrat gewählt. Bei seiner Rückkehr im Sonderzug aus Bern wurde der frisch gekürte Bundesrat auch in Düdingen empfangen. In seiner Rede an die Düdinger verkündete Musy: «Das Sensebezirk ist ein gutes Bezirk, weil es immer hat gemacht, was die hohe Regierung hat gewollt.»

 

 Wie interpretieren Sie diese Aussage Musys?

Sie ist ein typisches Beispiel für die vorherrschende Grundhaltung in jener Zeit: Der Sensebezirk wurde in erster Linie als Empfänger von Freiburger Befehlen verstanden. Auch von vielen Senslern, welche die ihnen auferlegte Dienerrolle ohne aufzubegehren annahmen. Nicht auffallen, sich anpassen, Folge leisten–das waren Eigenschaften, welche die Sensler noch über Jahrzehnte hinweg prägen sollten.

 

 Gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts denn gar keine Anzeichen, die auf eine gewisse Aufbruchsstimmung im Bezirk hindeuteten?

Doch, die gab es: Es kam zu einer kleinen Frühindustrialisierung und in Düdingen eröffneten eine Ziegelei und eine Milchsiederei. 1893 entstand der Deutsche Geschichtsforschende Verein des Kantons Freiburg und 1916 wurde mit Franz Boschung ein erster Sensler als Nationalrat vereidigt. Aber solche Ereignisse blieben eher die Ausnahme. So dauerte es bis 1936, ehe es zu einem ersten Sensler Staatsrat kam. Und erst 1960 zieht ein Sensler in den Ständerat ein.

 

 Welches waren die Gründe, die dazu beigetragen haben, dass sich die Situation nicht früher wandelte?

 In gesellschaftlichen Fragen gab eine starke Kirche den Takt an, und die tolerierte keinen grossen Widerwillen. Weiter war mit der katholisch-konservativen Partei lange Zeit nur eine Vereinigung in der Politiklandschaft des Sensebezirks aktiv. In der Schule lernten jene Sensler, denen das Privileg einer Schulbildung zukam, zuallererst einmal zu gehorchen. Diese drei Kontrollinstanzen funktionierten so gut, dass nur wenig Raum für andere Ideen oder neue Denkweisen blieb. Schliesslich wurde das «Angepasstsein» von der Wiege bis zur Bahre eingeimpft. Hinzu kommt, dass Freiburg auch nach der Gründung des Sensebezirks im Jahr 1848 der kulturelle, politische und wirtschaftliche Mittelpunkt für die Sensler blieb. Ein Abhängigkeitsverhältnis, das schon für die Bewohner der Alten Landschaft galt und über Jahrhunderte gewachsen ist. Aus diesem Grund wehrten sich die Sensler zu Beginn auch gegen den neuen Hauptort Tafers.

 

 Welche Entwicklungen haben schliesslich dazu beigetragen, dass die Sensler ein grösseres Selbstbewusstsein zu entwickeln begannen?

Neue Ideen und Entwicklungen wurden nicht selten durch Personen wie Joseph Alois Tschopp oder Joseph Beck von Aussen nach Deutschfreiburg getragen. Denn die Schulbildung innerhalb des Sensebezirks war damals nicht sehr ausgereift. Erst 1922 gelang es im dritten Anlauf, in Tafers eine Sekundarschule für Knaben zu gründen, und nur die wenigsten Sensler besuchten eine weiterführende Schule. Das waren Rückstände, die zuerst einmal aufgeholt werden mussten. Und das war gar nicht so einfach, denn man darf nicht vergessen, dass der Blick über die eigenen Gemeindegrenzen hinaus vielen Menschen unvertraut war. Auf der einen Seite war da die Sprache und auf der anderen die Konfession, welche die Sensler von ihren Nachbarn abgrenzte.

 

 Und eine permanente Armut, welche die Situation zusätzlich verschärfte.

Eine grosse Armut, wie wir sie uns heute kaum mehr vorstellen können. Der Sensebezirk war das Armenhaus des Kantons, und wer täglich um sein Überleben kämpfen musste, hatte kaum Zeit und Ressourcen, um sich darüber Gedanken zu machen, wie er sich in seinem Umfeld besser einbringen könnte. Diese Armut war es denn auch, welche viele Sensler ihr Glück in der Ferne suchen liess. Obwohl der Abschied von der Heimat über Jahrzehnte hinweg als allerletzter Ausweg galt.

 

 Welches Jahrzehnt darf als Wendepunkt für den Sensebezirk verstanden werden?

In den 1960er-Jahren begann sich die Situation allmählich zu ändern. Der eigentliche Durchbruch erfolgte dann aber in den 1970er-Jahren. Das zeigt sich auch in einigen Zahlen: So wurde 1971 etwa das Frauenstimmrecht im Sensebezirk angenommen, nachdem es 1959 lediglich 12,5 Prozent Zuspruch erhalten hatte. Der Einfluss der Kirche wurde zunehmend kritisch hinterfragt, die Sekundarschulen waren zu einem festen Bestandteil der Schulbildung geworden und die christlich-soziale Partei sowie die Sozialdemokraten belebten die Politik des Bezirks neu. 1979 wurde mit Otto Piller sogar ein SP-Mann zum Ständerat gewählt: Etwas, das fünfzehn Jahre zuvor noch völlig undenkbar gewesen wäre.

 

 Wenn wir heute–rund 100 Jahre nach Jean-Marie Musy–einen Freiburger Bundesrat in Düdingen empfangen würden, wofür könnte dieser die Sensler Ihrer Meinung nach am meisten loben?

Sie setzen sich dafür ein, dass die beiden grossen Kulturen in unserem Kanton nebeneinander bestehen können, ohne dass dabei etwas verloren geht. Das zeigt sich momentan sehr schön in der Diskussion rund um das Schulwesen. Heute haben die Sensler ein gesundes Selbstbewusstsein und nehmen mit einem berechtigten Stolz auch eine starke Stellung innerhalb des Kantons ein. Und der Sensebezirk darf dafür gerühmt werden, dass in ihm mehrere Meinungen Platz finden. Er hat eine weitgehend intakte Landschaft bewahrt und sich gleichzeitig vor Veränderungen nicht verschlossen. Und so ist es ihm auch gelungen, sich von einem überangepassten zu einem selbstbewussten, initiativen und fortschrittlichen Bezirk zu entwickeln.

Von 1 bis 24: ImFN-Adventskalendersteht jeweils die Zahl auf dem Törchen im Mittelpunkt.

Zur Person

Musy sympathisierte mit den Nazis

Jean-Marie Musy wurde am 10.April 1876 in Albeuve im Greyerzbezirk geboren. Er studierte an der Universität in Freiburg Rechtswissenschaften. Im Dezember 1911 wurde der Anwalt erst in den Grossen Rat und noch im gleichen Monat in den Staatsrat gewählt, wo er die Kantonsfinanzen sanierte. Am 11.Dezember 1919 wurde Musy als Nationalrat der katholisch-konservativen Partei–einer Vorgängerin der CVP–zum ersten Freiburger Bundesrat ernannt. Dort war er als Zoll- und Finanzminister tätig und bekleidete zweimal das Amt des Bundespräsidenten, ehe er 1934 aus dem Bundesrat zurücktrat. Während des Zweiten Weltkrieges zeigte er sich offen als Anhänger der Achsenmächte und pflegte Verbindungen zu führenden Nationalsozialisten. Diese nutzte er 1945, um 1200 jüdischen Deportierten die Einreise in die Schweiz zu ermöglichen. Jean-Marie Musy starb am 19.April 1952 in Freiburg.mz

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