Diese Woche feiert die Schweiz das Ja zum Frauenstimmrecht vor 50 Jahren. Doch davor gab es bereits 1959 eine Abstimmung über das Frauenstimmrecht, die aber mit einem Nein endete. Darüber hat die Freiburger Autorin Clare O’Dea einen Roman geschrieben.
Es war der 1. Februar 1959, als die Männer Nein sagten: Nein zum Frauenstimmrecht, Nein zu einer politischen Partizipation der Hälfte der Schweizer Bevölkerung. Und es ist an diesem 1. Februar 1959, an dem sich die Handlung des neuen Romans der Freiburger Autorin Clare O’Dea abspielt.
Vier Frauen stehen im Zentrum von «Der Tag, an dem die Männer Nein sagten»: Vreni, die Bauersfrau aus dem Freiburger Hinterland, ihre Tochter Margrit, die in der Stadt eine Stelle als Bürofräulein gefunden hat, Esther, eine Jenische, deren Sohn ihr weggenommen wurde, und Beatrice, die in der Spitalverwaltung arbeitet und für das Frauenstimmrecht kämpft. Die Verbindung zwischen ihnen stellt der Bub Ruedi dar, der auf Vrenis Hof arbeitet. Clare O’Dea erzählt in lebendigen Worten, wie die vier unterschiedlichen Frauen diesen Tag erleben.
Den Alltag zeigen
«Ich will mit dem Buch zeigen, wie die Frauen damals lebten und arbeiteten», erzählt Clare O’Dea den FN. «Denn sie arbeiteten und trugen ihren Teil zur Gesellschaft bei. Auch wenn die harte Arbeit der Bauersfrau nicht bezahlt oder besonders anerkannt worden ist.» Die Frauen trugen ihren Teil bei, aber politisch aktiv durften sie nicht sein. Das zeigt auch der folgende Ausschnitt aus dem Buch:
“Das Fett brutzelte in der Bratpfanne. Vreni gab die geraffelte Masse in die Pfanne und griff zum Tischlappen. Sie entsorgte die Kartoffelschalen in den Abfalleimer. Obwohl die Tage allmählich länger wurden, dauerte es immer noch eine lange Stunde, bis es hell wurde, und die Schwärze der Nacht drückte gegen die dampfbeschlagenen Fensterscheiben. Wie viele Wintermorgen hatte sie schon hier mit Backen, Putzen, Kochtöpfe-Schrubben verbracht? Tausende.”
Clare O’Dea kommt ursprünglich aus Irland und kam vor rund fünfzehn Jahren der Liebe wegen nach Freiburg. «Als ich erfahren habe, dass es das Frauenstimmrecht in der Schweiz erst seit 1971 gibt, war ich schockiert», sagt sie. Sie habe an ihre Schwiegermutter gedacht: 1971 hatte sie ihr drittes Kind geboren, durfte aber nicht abstimmen. «Sie wurde vom Staat wie ein Kind behandelt, obwohl sie eine erwachsene Frau war.»
Nicht gleichberechtigt
Man habe den Frauen damals gesagt, sie machten zu Hause eine so wichtige Arbeit, da müssten sie sich nicht auch noch mit Politik herumschlagen. Genau das zeige aber, dass Frauen nicht als gleichberechtigt wahrgenommen wurden, sagt Clare O’Dea.
Die Ungleichheit zeigt sich in ihrem Roman unter anderem bei Margrit, der Tochter Vrenis. Sie arbeitet in einem Büro, wird aber nicht als gleichwertig wie ihre männliche Kollegen angesehen – und sogar belästigt.
“Es war sein Geburtstag, und er brachte zwei Flaschen Weisswein und sechs Gläser mit zur Arbeit. Alles schön in einen speziellen Korb gepackt. Er sagte, wir könnten alle früher aufhören, und er rief mich in sein Büro, damit ich ihm bei der Vorbereitung des Apéros helfe. Als wir das Tischtuch und die Gläser bereitlegten, packte er mich an den Hüften, um an mir vorbeizukommen, er kam zu nahe an mich heran, und solche Sachen. Nichts Aussergewöhnliches. Ich liess es über mich ergehen.”
Männliche Gesellschaft
In Clare O’Deas Heimatland Irland gibt es das Stimmrecht für Frauen seit der Republikgründung 1922. «Die Gründer der Republik waren Revolutionäre, und auch Frauen waren beteiligt, weshalb das Frauenstimmrecht damals eingeführt wurde», erklärt die Autorin.
Es sei aber eine Illusion zu glauben, dass Frauen in Irland in der Mitte des 20. Jahrhunderts besser gestellt gewesen seien als in der Schweiz. «Es war ein sehr männlicher, von der katholischen Kirche dominierter Staat. Es gab fast keine Frauen, die politisierten.»Wie in der Schweiz wurden auch in Irland ledige Frauen, die schwanger wurden, diskriminiert, kriminalisiert, abgeschoben. Allerdings in noch schwerwiegender Weise als in der Schweiz, wie Enthüllungen in den letzten Jahren zeigten. Wie schwierig dieses Thema ist, zeigt die Autorin im Roman am Beispiel der Jenischen Esther:
“Sie will, dass ich geduldig bin. Sie realisiert nicht, was für eine Qual es jeden Tag ist, nicht zu wissen, wie es ihm geht oder ob jemand lieb zu ihm ist. Sie versteht nicht, wie gross meine Liebe für Ruedi ist und wie es sich anfühlt, ihm diese nicht geben zu dürfen. Ich weiss, dass er ein nach Liebe ausgehungertes Kind ist. Vor allem wollte ich nie, dass er diesen Schmerz erleiden muss.”
Ausgeschlossen gefühlt
Wie es ist, nicht politisch mitbestimmen zu können, weiss Clare O’Dea aus eigener Erfahrung. Als sie in die Schweiz kam, verlor sie ihr Recht, in Irland an Abstimmungen und Wahlen teilnehmen zu können. Denn anders als in der Schweiz ist das Wahlrecht in Irland für im Ausland lebende Staatsbürgerinnen und -bürger stark eingeschränkt. Erst als sie 2015 das Schweizer Bürgerrecht erlangte, konnte Clare O’Dea wieder abstimmen und wählen.
In jenen zehn Jahren, in denen sie ohne Bürgerrecht in der Schweiz lebte, habe es sie gestört, dass sie nicht mitbestimmen konnte. «Ich fühlte mich in Diskussionen, wie wenn ich weniger Autorität hätte, mitzureden», sagt sie. «Es war für mich enorm befriedigend, als ich hier abstimmen und wählen konnte.» Im Roman ist es die Frauenrechtlerin Beatrice, die sich genau wie die Autorin daran stört, nicht mitbestimmen zu können:
“Aber es ist die Unsichtbarkeit von Frauen, die mich am meisten stört. Um Himmels Willen, lies Zeitungen, hör Radio, schau dir Museen, Galerien, Aushängeschilder, das Bundeshaus an. Ich würde beinahe vorziehen, ich hätte es nie gemerkt und mich nie darum gekümmert, weil meine Empörung nichts nützt. Ich hätte mir eine Menge Bitterkeit erspart.”
Warum aber hat Clare O’Dea ihr Buch nicht über das historische Datum 1971 geschrieben, das jetzt gefeiert wird, sondern über die gescheiterte Abstimmung von 1959? «Für mich birgt 1959 mehr dramatisches Potenzial. Und ich finde die Zeit der 1950erJahre faszinierend», sagt sie. Die 1950er seien zwar lange her, lebten in der Erinnerung aber noch stark. Ihre Eltern seien damals Teenager gewesen und hätten ihr von jener Zeit erzählt. In diesem Jahrzehnt erschien zudem das Buch «Frauen im Laufgitter» der Schweizer Frauenrechtlerin Iris von Roten. «Dieses Buch hat mich sehr inspiriert und war einer der Gründe, warum ich den Roman geschrieben habe.»
Das Ende ihres Buches verweist dann auf die Abstimmung von 1971: Mit dem Verdingbub Ruedi, der die Verbindung zwischen den vier Frauen ist, und jener Generation angehört, die 1971 den Frauen endlich politische Rechte gibt.
Vor 50 Jahren, am 7. Februar 1971, haben die Schweizer Männer dem Frauenstimmrecht zugestimmt. Aus diesem Anlass publizieren die FN eine Serie von Artikeln.
Buch wurde in alle drei Landessprachen übersetzt
Clare O’Dea hat ihr Buch mit Originaltitel «Voting Day» in ihrer Muttersprache Englisch geschrieben. Mit der Unterstützung des Freiburger Unternehmens The Fundraising Company hat sie das Buch in die drei Landessprachen Deutsch, Französisch und Italienisch übersetzt. «Das Buch ist für mich so schweizerisch, dass ich das unbedingt wollte», sagt sie. Der deutsche Titel lautet «Der Tag, an dem die Männer Nein sagten». Clare O’Dea brachte mithilfe des Unternehmens das Buch im Eigenverlag heraus, arbeitet beim Vertrieb aber mit einem Verlag zusammen. Das Buch ist in OnlineShops von gängigen Buchhandlungen erhältlich und über www.bergli.ch.
Clare O’Dea: «Der Tag, an dem die Männer Nein sagten». Übersetzt von Barbara Traber. ISBN 978-2-9701445-1-9
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