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«Sie leben in meiner Erinnerung»

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Der Freiburger Theologe Othmar Keel glaubt nicht daran, dass er nach seinem Tod im Jenseits seinen verstorbenen Angehörigen wieder begegnen wird. Den FN sagte er, was ihm stattdessen Trost bietet und warum jeder Mensch in seinem Umfeld Gutes tun sollte.

Othmar Keel, an Allerheiligen und Allerseelen gedenken viele Menschen ihrer Verstorbenen. Wie tun Sie das als Theologe?

Ich denke mehr als sonst an die verstorbenen Menschen, die mir nahestanden: an meine Eltern, an gute Freunde und speziell an meinen Bruder, zu dem ich ein enges Verhältnis hatte. Und ich denke an mein eigenes Ableben und an das Jenseits.

Ein Jenseits, von dem Sie gerne sagen, dass es gar nicht existiere …

Ich glaube auf jeden Fall nicht an ein Jenseits, von dem die Verstorbenen etwas mitbekommen. Der Tod ist ein ewiger Schlaf, mit allen Vor- und Nachteilen: Man ist nicht mehr mit dem Elend der Welt konfrontiert, aber auch nicht mit den Freuden des ­Lebens.

Sie sind Theologe und Alttestamentler. Da scheint es umso erstaunlicher, dass Sie nicht an ein Jenseits im biblischen Sinn glauben. Wie kam es dazu?

Die älteren Schichten der Bibel kennen, was vielleicht erstaunt, kein Jenseits. Ein solches wird im Judentum erst im 2. Jahrhundert v. Chr. konzipiert und ist noch zur Zeit Jesu umstritten. Man wird alt und lebenssatt zu seinen Vorfahren versammelt. Das wars dann. Als junger Theologe vertrat ich die logisch konstruierte, aber abgehobene offizielle Theologie, die ich in den Vorlesungen hörte.

Davon sind Sie aber abgekommen?

Ich hatte in den frühen Sechzigerjahren in der Freiburger Altstadt eine Begegnung, die mir die Augen geöffnet hat: Während meiner Studienzeit habe ich als Mitglied der Vinzenz-Konferenz der Familie eines invaliden Bauarbeiters jede Woche Milch- und Brotbons gebracht. Als der Mann eines Tages über seine Invalidität klagte, versuchte ich, ihn mit dem Gedanken zu trösten, Gott werde ihn im Jenseits für seine Leiden entschädigen. Er antwortete mir, er könne nicht an Gott glauben. Ich fragte, warum. Und er sagte: Wegen all der Ungerechtigkeiten in der Welt.

Die traditionelle christliche Lehre sagt dazu, Gott wolle das Böse nicht, er lasse es nur zu, um die menschliche Freiheit zu gewährleisten.

Ja, diese Ansicht vertrat ich als junger Theologe auch gegenüber dem Bauarbeiter. Da sagte er: Sehen Sie die Kinder, die da draussen auf dem Klein-St.-Johann-Platz spielen? Stellen Sie sich vor, ein Pitbull würde sie angreifen, und ich unternähme nichts. Ich würde sagen: Ich habe es nicht gewollt, ich toleriere es nur. Ich wäre doch ein Schuft! Dieses Argument war so einleuchtend, dass ich der offiziellen Lehre nichts mehr abgewinnen konnte. Mein abstraktes theologisches Denken fiel beim Zusammenprall mit der Realität und mit der Logik in sich zusammen. Das abgehobene theologische Denken hält der Realität oft nicht stand.

War diese Erkenntnis für Sie ein Schock oder eine Befreiung?

Es war eine Befreiung hin zur Realität und weg von den abstrakten Formeln, an denen ich mich nun nicht mehr orientieren musste. Wir müssen wissen, dass alles von uns abhängt, wenn sich in der Welt etwas ändern soll. Ein Sprichwort lautet: «Gott hat keine anderen Hände als die unseren.» Dieses wird in Predigten oft zitiert, obwohl es einem praktischen Atheismus gleichkommt.

Warum tut es das?

Wenn Gott nur durch meine Hände Gutes wirken kann, dann kann er vieles nicht. Es wäre ja denkbar, dass er die Dinge ohne menschliches Zutun zum Guten arrangiert. Aber Tatsache ist, dass es Überschwemmungen, Dürren, Hungersnöte und Kriege gibt. Da scheint es mir Gott gegenüber pietätvoller, nicht an ihn zu glauben, als ihn als Verbrecher zu sehen, der das alles duldet oder gar verursacht.

Wenn Gut und Böse nicht von Gott kommen, woher kommen sie dann?

Das Gute und das Böse sind Teil der Natur, der Evolution. Bei der Evolution spielen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit keine Rolle.

Und Verbrechen wie jene von Hitler oder Stalin bleiben ungesühnt, da es ja kein Jenseits gibt, in dem sie ihre gerechte Strafe ereilen könnte …

Ja, das ist ein schrecklicher Gedanke. Aber wäre es für die Millionen Opfer von Hitler, Stalin oder Pol Pot und ihren zahlreichen Helfern wirklich eine Genugtuung, zu wissen, dass diese Verbrecher der Menschheit ewig leiden müssten? Oder wäre es für sie nicht befriedigender, sich schlicht als Teil einer grossen, allgemeinen Ungerechtigkeit zu sehen?

Die Welt ist also einfach ungerecht?

Sie ist nicht gerecht und nicht ungerecht, sie ist einfach, wie sie ist. Das ist wieder die Priorität der Realität gegenüber der abgehobenen Theorie, die ein Produkt des Wunschdenkens ist: Wir wissen doch alle aus Erfahrung, dass auch ein noch so starker Wunsch keine Folgen hat. Ich kann noch so lange wünschen und darum beten, dass die junge Mutter von drei Kindern nicht an Krebs sterbe, dass die Kriege in Syrien oder im Jemen aufhörten oder dass es die Hungersnöte im Südsudan, in Äthiopien oder in Somalia nicht geben möge – das ändert alles nichts. Aber wir können im Kleinen Gutes tun, ganz im Sinne von Erich Kästner, der sagte: «Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es.»

Ist das nicht eine furchtbar ­belastende Verantwortung?

Wir sind ja nicht für die Welt verantwortlich. Aber wir sollten uns in dem überschaubaren Feld, in dem wir leben, möglichst auf die Seite des Guten schlagen. In jedem Menschen gibt es ein Potenzial zum Guten wie zum Bösen. Das hat nichts mit Gott zu tun, sondern mit den Umständen, die das eine oder das andere mobilisieren. Die meisten Menschen haben ja das Bedürfnis, Gutes zu tun, zum Beispiel zu helfen, wenn sie Not sehen. Aber es machen auch viele bei Schlechtem mit, und sei es nur aus Selbsterhaltungstrieb. Dieser ist fundamental, und es haben etwa auch in der Nazi-Zeit viele bei verbrecherischen Aktionen mitgemacht, weil sie sich und die Ihrigen nicht einer tödlichen Bedrohung aussetzen wollten.

Bedingen Gut und Böse sich also gegenseitig? Braucht es das Böse, damit wir das Gute erkennen und schätzen können?

Es ist bestimmt so, dass man das Gute erst dann richtig schätzt, wenn man das Böse kennenlernt. Darum schauen auch alle hin, wenn irgendwo ein Unglück passiert: Man hat Mitleid und ist gleichzeitig erleichtert, dass es einen nicht selbst getroffen hat. Krimis sind wohl so beliebt, weil das Böse für Spannung sorgt und am Ende das Gute siegt. In der Realität ist das bei vielen schweren Verbrechen leider nicht so. Eine rein gute Welt wäre womöglich langweilig – und doch halte ich es für zynisch, aus diesem Grund all das Grauenhafte zu akzeptieren, gewissermassen als Salz in der Suppe.

Das führt zurück zur Frage nach dem Jenseits: Für viele ist der Gedanke daran tröstlich. Wir hoffen, dass wir nach dem Tod im Jenseits unseren Lieben wieder begegnen …

Ja, das wäre schön, und ich hätte das auch gerne, aber ich glaube es nicht. Tröstlich ist für mich, dass meine verstorbenen Angehörigen in meiner Erinnerung leben: Ich weiss genau, was meine Eltern oder mein Bruder zu diesem oder jenem Thema sagen würden, ob sie gut fänden, was ich tue, oder nicht.

Aber Sie werden sie nie ­wiedersehen …

Nein! Das Gute daran, dass wir unseren Verwandten, Freunden und Bekannten nach dem Tod nicht mehr begegnen, ist, dass es uns motiviert, die Beziehungen zu ihnen im Hier und Jetzt so gut und so intensiv wie möglich zu gestalten. Gerade die Beschränkung auf das Hier und Jetzt verleiht unserem Tun eine höhere Bedeutung.

Ist das nicht etwas gar rational und hindert die Menschen kreativ zu sein?

Bestimmt hat der Glaube zu gewaltigen architektonischen oder musikalischen Grosstaten geführt. Aber der Glaube ist nicht eine Voraussetzung, um kreativ zu sein. Ein Jahrhundertgenie wie Pablo Picasso oder ein höchst kreativer Schriftsteller wie Bertold Brecht glaubten weder an Gott noch an das Jenseits und waren doch extrem kreativ.

Sie plädieren also dafür, Trost und Sinnhaftigkeit im Hier und Jetzt zu suchen, anstatt auf das Jenseits zu warten?

Ja. Ich persönlich finde Trost und Freude auf Spaziergängen, wenn ich eine attraktive Frau sehe, beim Hören von klassischer Musik, bei einem guten Essen oder wenn ich Zeit mit meinen Lieben verbringe. All das ist viel intensiver, wenn man weiss, dass man es nur einmal hier auf Erden hat.

Alles, was Sie sagen, können Sie ja auch nur glauben, nicht wissen …

Das stimmt, aber es kommt darauf an, wie sehr unser Glauben durch unsere Erfahrungen gedeckt ist. Unser Glaube sollte möglichst wenig von Wunschdenken bestimmt sein.

Sie wissen also auch nicht, ob es Gott nicht vielleicht doch gibt.

Angesichts unserer Erfahrung mit den Dimensionen des Universums sind wir im Verhältnis zu Gott bestenfalls Ameisen, und wir wissen von ihm nur, was Ameisen von Menschen wissen. Wahrscheinlich so gut wie nichts! Nicht einmal, dass es Menschen gibt. Wenn es Gott gibt, muss er ganz anders sein, als wir ihn uns vorstellen.

«Es scheint mir Gott gegenüber pietätvoller, nicht an ihn zu glauben, als ihn als Verbrecher zu sehen, der das alles duldet oder gar verursacht.»

Zur Person

Professor und Museumsgründer

Othmar Keel ist katholischer Theologe, Bibel- und Religionswissenschaftler und Ägyptologe. Er wurde 1937 in Einsiedeln geboren und studierte in Zürich, Freiburg, Jerusalem, Rom und Chicago. 1967 promovierte er in Theologie an der Universität Freiburg. Von 1969 bis 2002 war er Professor für Altes Testament und Biblische Umwelt an der Universität Freiburg. An der Universität gründete er eine Sammlung altorientalischer Kunst, aus der das Bibel- und Orientmuseum hervorging. Er erhielt den theologischen Ehrendoktor der Universitäten Lund in Schweden, Genf und Bochum und 2005 den mit 100 000 Franken dotierten Schweizerischen Wissenschaftspreis. Keel ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er ist der Bruder des 2011 verstorbenen Diogenes-Verlegers Daniel Keel und der Patenonkel von Bundesrätin Simonetta Sommaruga.

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