Stärken und Schwächen kennen
Professorin Andrea Schenker-Wicki über die Kunst sich selbst zu managen
Wer Erfolg haben, hohe Zufriedenheit und damit grosse Lebensqualität erreichen will, muss lernen, sich selbst zu managen: Anlässlich der Abschlussfeier am Lehrerseminar sprach Professorin Andrea Schenker darüber. Die FN haben sich mit ihr unterhalten.
Mit ANDREA SCHENKER-WICKI
sprach IRMGARD LEHMANN
Selbstmanagement – Welches ist der erste Schritt dahin?
Das Wichtigste ist das Kennenlernen der eigenen Person beziehungsweise der eigenen Stärken und Schwächen. Die meisten Menschen glauben zwar zu wissen, in welchen Dingen sie gut und in welchen Dingen sie schlecht sind, aber häufig liegen sie dabei falsch.
Was ist der Grund?
Sie sind sich der Ergebnisse ihres Handelns zu wenig bewusst und verfügenin vielen Fällen über ein mangelndes Selbstvertrauen.
Um dieses zu stärken empfehlen Sie die Feedback-Analyse. Wie sieht die aus?
Sobald Sie etwas Entscheidendes unternehmen, notieren Sie, mit welchen Auswirkungen Sie rechnen. Nach einer bestimmten Zeit vergleichen Sie die tatsächlichen Ereignisse mit Ihren Notizen, und Sie sehen, dass vieles anders ist.
Haben Sie ein Beispiel?
Sie fahren ganz alleine eine weite Strecke mit dem Auto, was für Sie sehr ungewohnt ist. Im Vorfeld malen Sie sich aus, was auf der Fahrt alles passieren könnte. In Tat und Wahrheit stellen Sie aber fest, dass Sie Ihr Ziel ohne Probleme erreicht haben.
Die Methode besteht also darin zu lernen, sich selber richtig einzuschätzen?
So ist es. Darin liegt übrigens der Schlüssel zum Glück, wie verschiedene Studien aus der Glücksforschung gezeigt haben. Die Feedback-Analyse ist allerdings nichts Neues. Sie wurde zum Beispiel sowohl von Calvin als auch von Ignatius von Loyola konsequent angewandt und sie hatten Erfolg damit. Sowohl die calvinistische Kirche als auch der Jesuitenorden (von Ignatius gegründet) beherrschten eine Zeit lang ganz Europa.
Die Konzentration auf das Wesentliche ist für Sie ebenfalls eine wichtige Komponente. Inwiefern?
Die Konzentration auf das Wesentliche fällt uns heute besonders schwer, da wir über eine bis anhin nicht gekannte Fülle von Möglichkeiten verfügen, wie wir unser Leben gestalten können.
Die Konzentration auf die Arbeit ist jedoch eine wichtige Voraussetzung für einen nachhaltigen Erfolg. Es hat sich übrigens gezeigt, dass vier bis fünf Stunden maximale Konzentration pro Tag das obere Limit darstellen, ohne dass eine Person längerfristig an Erschöpfung leidet.
Doch nicht nur den Stärken und Schwächen sollte man auf die Spur kommen, sondern auch den eigenen Bedürfnissen. Ein Aspekt, den Sie besonders betonen. Warum?
Das Kennenlernen der eigenen Bedürfnisse ist ein zweiter Schritt auf dem Weg zum Selbstmanagement. Es ist wichtig, dass jeder Mensch seinen Lebenssinn findet und in sozialen Netzen, sprich in der Familie und der Gesellschaft, gut verankert ist.
In der Kunst, in der Politik, in der Wirtschaft oder im Spitzensport finden wir zwar immer wieder Persönlichkeiten, die sich während einer bestimmten Zeit praktisch ausschliesslich auf eine ganz bestimmte Aufgabe konzentrieren.
Eine solch extreme Konzentration auf eine einzige Aufgabe kann zwar kurzfristig durchaus erfolgreich sein, längerfristig ist sie jedoch gefährlich. Einerseits werden Entscheidungen nur aufgrund eines beschränkten Erfahrungshintergrundes getroffen und andererseits gefährden sich solche Persönlichkeiten selbst: Fällt die Aufgabe weg oder erleidet die Karriere einen Knick, können schwerste Defizite entstehen, die sich nicht selten in Depressionen äussern oder sogar zum Suizid führen.
Die Zeit für Entspannung und Erholung, kurzum für freudige Momente, muss also genauso eingeplant sein wie die Zeit für Beruf und Arbeit?
Bestimmt. Denn all jene, welche diese Bedürfnisse auf die Dauer vernachlässigen, werden anfällig für Burnout und fühlen sich konstant müde und freudlos.
Nicht zuletzt sollten einem aber auch die eigenen Wertvorstellungen sowie die eigene Arbeitsweise bewusst werden. Warum ist für Sie dieser (dritte) Schritt auf dem Weg zum Selbstmanagement so wichtig?
Weil das Wissen hierüber meine Leistung beeinflusst und insofern auch meine Zufriedenheit. Wo gehöre ich hin und wo gehöre ich auf keinen Fall hin, wie und wann lerne ich am effizientesten? Kann ich gut kooperieren oder bin ich eher ein Einzelgänger? Kann ich besser beraten als entscheiden? Diese Fragen sollte man für sich beantworten und sie auch den Menschen im eigenen Umfeld stellen.
Im Grossen und Ganzen glaubt man sich doch zu kennen. Sie aber sagen, dass dies nur bedingt der Fall ist.
Die meisten Menschen wissen nicht, wo sie hingehören, bis sie die Zwanzig deutlich überschritten haben. Aus diesem Grund sollten sich junge Menschen vermehrt die Frage nach den Stärken und Schwächen, nach den Wertvorstellungen und ihrer ganz persönlichen Arbeitsweise stellen. Wer annähernd weiss, dass er in einer grossen Organisation nicht arbeiten kann, sollte dort auch keine Stelle annehmen, und jemand, der nicht gerne Entscheidungen fällt, sollte nicht eine Position einnehmen, wo dies täglich von ihm verlangt wird.
Aber wer landet schon mit 30 Jahren da, wo er landen möchte? Viele Fähigkeiten entwickeln sich ja erst im Laufe eines Lebens und zwar auch auf Grund von vorangegangenen Tätigkeiten. Die Konsumentenschützerin Simonetta Sommaruga beispielsweise war einst Pianistin.
Aber Menschen, die sich kennen, lassen sich leichter auf Chancen ein und können sich entwickeln. Wer weiss, wo er hinpasst und wo nicht, kann – selbst wenn er nicht zu den Hochbegabten zählt, aber ansonsten fleissig und sozial kompetent ist – Herausragendes leisten.
Andrea Schenker, sind Sie selber dank des Rezeptes «Selbstmanagement» so schnell «gross» geworden? Keine Einbrüche, nichts? Oder hatten Sie nebst Talent auch viel Glück?
Selbstverständlich gab es Einbrüche in meinem Leben, und die wird es sicherlich weiterhin geben, das ist der Lauf der Dinge. Ob ich gross geworden bin oder nicht, darüber müssen andere entscheiden. Ich halte mich jedenfalls nicht für gross, sondern für ganz normal. Ich bin einfach meinen Lebensweg gegangen und hatte das Glück, einen liebevollen Ehemann zu haben, der mich immer wieder ermuntert und unterstützt. Zum Thema Glück kann ich sagen, dass ich eine ganze Menge davon habe.
Und wie stand es mit den Ruhepausen in Ihrem Leben? Eine wohl berechtigte Frage bei dem ellenlangen Curriculum.
Die Ruhepausen kamen tatsächlich häufig viel zu kurz, was ich leider zugeben muss. Dies hat in meinem Fall vor einigen Jahren zu einer schweren Krankheit geführt, die ich gottlob heute überstanden habe. In den schwierigen und verzweifelten Momenten, die ich damals durchlebte, wurde mir schmerzlich bewusst, was ich mir selbst und meiner Familie mit meinem Lebensstil angetan hatte. Daraus habe ich gelernt, wie wichtig eine gesunde