Das Bild mit den drei Medaillengewinnerinnen kam einem bekannt vor. In der Mitte stand Sandra Izbasa, die alte und neue Europameisterin. Eingerahmt wurde die Rumänin von der zweitklassierten Deutschen Oxana Tschussowitina – und einer Schweizerin! Nur hiess diese Schweizerin nicht wie vor einem Jahr in Berlin Ariella Kaeslin – sondern Giulia Steingruber. «Endlich», entfuhr es der 18-jährigen Ostschweizerin. Endlich hatte auch sie ihre erste Medaille an einem Grossanlass. Endlich? Mit 18? Steingruber hatte sich eben schon einmal eine solche Chance geboten.
Sicherheitsvariante beim Tschussowitina
In Berlin hielt sie der Nervenprobe als Newcomerin und überraschender Qualifikationssiegerin allerdings noch nicht stand und stürzte. Nervös war Steingruber auch jetzt, trotz dem Plus an Erfahrung. Weil sie im Gerätefinal als Letzte an die Reihe kam, zog sich die Mitfavoritin nach der Präsentation der acht Teilnehmerinnen noch einmal in die Trainingshalle zurück. «Ich wollte nicht, dass Giulia ihre Hauptrivalinnen sieht und dann zu viel rechnet», sagte Jordanov. Steingruber hielt die zuvor aufgewärmte Muskulatur auf Temperatur, tigerte und turnte ein bisschen herum und schielte dann doch ab und zu auf den kleinen Bildschirm, auf dem das Wettkampfgeschehen übertragen wurde.
Die totale Anspannung begann Körper und Geist erst allmählich zu entweichen, als der Tschussowitina trotz leichten Standproblemen gut gelang. Dem Paradesprung liess Steingruber wie in der Qualifikation und wie erwartet einen Tsukahara mit einer Schraube folgen. Das entsprach der Sicherheitsvariante. Beim Einturnen hatte Steingruber die Option mit einer zusätzlichen halben Schraube noch zweimal versucht – ohne die Sprünge zu stehen. Erst da teilte ihr der Cheftrainer mit, was für ihn schon tags zuvor klar gewesen war: kein unnötiges Risiko. «Giulia war so darauf erpicht, es mit anderthalb Schrauben zu probieren, dass ich sie beim Einturnen machen liess.»
Gold lag ausser Reichweite
Nach getaner Arbeit räumte Steingruber ein: «So sicher beherrsche ich den erschwerten Tsukahara noch nicht, ich weiss nicht, ob es geklappt hätte. Es war deshalb bestimmt die richtige Strategie.» 59 Tausendstel trennten sie in der Endabrechnung von Qualifikationssiegerin Tschussowitina, die mit 36 ihre 17. EM-, WM- oder Olympia-Medaille gewann. 0,259 Punkte fehlten auf Izbasa, die im Vergleich zur Qualifikation eine halbe Schraube und damit 0,5 Punkte Schwierigkeitswert draufpackte.
Gold lag für Steingruber unter diesen Umständen ausser Reichweite, Silber vergab sie, weil selbst der einfachere Tsukahara nicht wunschgemäss glückte. «Mit dem Resultat bin ich zufrieden, mit der Leistung nicht», sagte darum der Coach. Steingruber brauchte das nicht weiter zu kümmern. Sie schien der Podestplatz selig zu machen, obwohl die Emotionen keineswegs aus ihr herausbrachen: Steingruber erleichtert statt euphorisiert. Klar hatte sich der Verband bemüht, keinen Medaillendruck aufzubauen. Doch den machte sich die Athletin selber. Und Medien und Öffentlichkeit erwarteten auch nichts anderes als einen Podestplatz.Si
Holte sich beim Sprung EM-Bronze: Giulia Steingruber.Bild Keystone
Kunstturnen
Die letzten elf Schweizer Medaillen
2011 EM Bronze Sprung
Ariella Kaeslin
2009 WM Silber Sprung
Ariella Kaeslin
2009 EM Gold Sprung
Ariella Kaeslin
2009 EM Bronze Mehrkampf
Ariella Kaeslin
2006 EM Bronze Reck
Christoph Schärer
2004 EM Bronze Reck
Christoph Schärer
1999 WM Bronze Sprung
Dieter Rehm
1996 EM Gold Pauschen
Donghua Li
1996 WM Silber Pauschen
Donghua Li
1996 OS Gold Pauschen
Donghua Li
1995 OS Gold Pauschen
Donghua Li