Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on print

Trikoloren auf dem Bahnhofplatz

Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on print

Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

Wir schreiben den 16. März 1915. An diesem Dienstag, kurz nach zwei Uhr nachmittags, wehen Trikoloren auf dem Bahnhofplatz Freiburg. Die Leute rufen «Vive la France». Über 1000 Stadtfreiburger warten auf einen Zug mit französischen Kriegsgefangenen. Sie wollen den Soldaten sogenannte «Liebesgaben» überreichen: Nahrung, Medikamente, Wein, Tabak. Dies haben sie in den letzten Wochen schon öfters getan.

Doch der Zug mit den Internierten hält diesmal nicht an. Er fährt einfach durch. Die Bundesbehörden haben einige Tage zuvor beschlossen, dass die Internierten-Züge nicht mehr in Freiburg halten dürfen. Die französischen Flaggen und die «Vive la France»-Rufe lösten grosses Unbehagen aus. De Sprachenfrage war konfliktträchtig wie nie zuvor, und die Regierung fürchtete sich vor Unruhen. Der erste Kriegswinter hatte der Schweiz bereits arg zugesetzt – und ein Ende des Krieges war nicht abzusehen. Öffentliche Aufmärsche und Demonstrationen waren deshalb das Letzte, was man brauchen konnte.

«A bas les boches!»

Als der Zug mit den internierten Soldaten an diesem Dienstagnachmittag in Freiburg durchfährt, beginnt die Menge zu schreien und zu pfeifen. Seit einem Tag schon kursiert das Gerücht, wonach deutsche Professoren der Universität Freiburg den entsprechenden Bundesbeschluss veranlasst hätten. In der Menge keimt Wut: Auf Deutschland, auf die vielen deutschlandfreundlichen Deutschschweizer, auf die von Deutschschweizern dominierte Schweiz. Und jetzt dürfen die welschen Stadtfreiburger den Franzosen nicht einmal mehr Liebesgaben darbringen! Das wollen sie sich nicht bieten lassen: Die Versammlung auf dem Bahnhofplatz nimmt schlagartig gewalttätige Züge an. Die Menge zieht grölend ins Perolles-Quartier, wo sie vor dem Haus des deutschen Musikprofessors Peter Wagner stehen bleibt. Dieser wird bedroht und flüchtet unter Pfiffen in sein Haus. Einige werfen mit Steinen die Fensterscheiben ein. Die Meute ruft: «A bas les boches! Vive la France!» («Nieder mit den dreckigen Deutschen! Es lebe Frankreich!»)

Auch andere ausländische oder Deutschschweizer Professoren werden bedroht: Einem wird eine deutsche Pickelhaube auf seinen Gartenzaun gemalt. Andere finden Morddrohungen an ihrer Haustüre. Auf der Strasse werden Professoren angegangen – diese retten sich in Wirtshäuser. Die Lage spitzt sich weiter zu: Plötzlich werden sogar Deutschfreiburger auf offener Strasse bedroht und beschimpft – die Freiburger Nachrichten melden zig solche Fälle in der Stadt. In der Lausannegasse wird die Marseillaise gesungen. Die Stadt ist im Ausnahmezustand.

Angst vor Germanisierung

Hier lohnt es sich, das Rad der Zeit um sieben Monate zurückzudrehen: Im August 1914 bricht der Erste Weltkrieg aus. Zwar ist die Schweiz nicht direkt involviert, doch sie bekommt den Krieg ebenso zu spüren wie die Krieg führenden Mächte. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung hat mit dem ersten Kriegswinter bereits merklich zugenommen. Vor allem in der Romandie. Denn der Bundesrat und General Ulrich Wille, ein grosser Verfechter des Preussentums, sind Deutschland sehr zugeneigt. Trotz proklamierter Neutralität befürchten die Romands eine zunehmende Germanisierung der Schweiz und orientieren sich vermehrt an der französischen Kultur und Sprache. Dass die Freiburger den französischen Internierten plötzlich keine Liebesgaben mehr geben dürfen, bringt das Fass zum Überlaufen. Die Behörden intervenieren rasch: Das eidgenössische Militärdepartement lässt den Freiburger Bahnhof sperren, wenn ein Zug mit Kriegsgefangenen durchfährt. Das Tragen von fremdländischen nationalen Abzeichen ist fortan strafbar.

Dies zeigt Wirkung: In Freiburg geht es schon bald wieder leiser zu und her.In der Schweiz schlägt der Fall Freiburg hohe Wellen: Zeitungen von Genf bis St. Gallen streiten sich über die Schuld und die Konsequenzen. Während sich die «La Liberté» zurückhaltend äussert und die Vorfälle diskret verurteilt, poltern die Freiburger Nachrichten lauthals gegen die Aufrührer und fordern eine sofortige, harte Bestrafung. Die Zeitung «Le Fribourgeois» wiederum bezichtigt die Freiburger Nachrichten der Hetzerei: Mit ihren Artikeln würden sie die Deutschschweiz zu Unrecht gegen die Romands aufbringen. Die Freiburger Nachrichten gehen zum Gegenangriff über und werfen dem «Fribourgeois» Neutralitätsfeindlichkeit vor. Sie schreiben: «Unseres Erachtens hat man noch zu wenig auf den Hauptschuldigen an der ganzen Geschichte hingewiesen: den einseitigen Fanatismus gewisser Blätter.»

Die gegenseitigen Schuldzuweisungen gehen noch einen Monat lang so weiter. Der Staatsrat greift in die mediale Schlammschlacht ein: Er fordert das Freiburger Pressekontrollbüro auf, die Zeitungen künftig besser im Zaum zu halten. Denn die Freiburger Zeitungen – auch die Freiburger Nachrichten – hätten in ihren Schilderungen massiv übertrieben und seien für die Eskalation mitverantwortlich.

Proteste und Meutereien

Der Freiburger Krawall bleibt nicht ohne Folgen: Wenige Tage später verfasst der Bundesrat ein Rundschreiben an die Kantone. Er fordert darin die Stände auf, bei öffentlichen Aufmärschen in Zukunft «mit rücksichtsloser Strenge einzuschreiten». Der Bundesrat weiss nur allzu genau: Die Lage ist ernst geworden. Die Märzkrawalle in Freiburg sind nur ein erstes Symptom für die wachsende Unzufriedenheit der Schweizer Bevölkerung.

Und tatsächlich: Der Tumult in Freiburg ist längst nicht der einzige und auch nicht der gravierendste Vorfall an dem sich während des Ersten Weltkrieges Spannungen entladen. In der Romandie protestiert man mehrmals energisch gegen die Deutschfreundlichkeit der Regierung und der Armee. Im Militär wird die Unzufriedenheit augenfällig: Die Militärjustiz bestraft während der Kriegsjahre 40 Meutereien und 1500 Fälle von schwerwiegendem Ungehorsam. Hinzu kommen Tausende kleinere Disziplinarfälle. Künstler und Sozialisten protestieren gegen das Militär. Die Arbeiterschaft leidet Hunger. All dies zusammen mündet letztlich im Landesstreik vom November 1918: Die Schweiz steht für kurze Zeit still – und befindet sich am Rand des Kollapses. Der Freiburger Krawall drei Jahre zuvor ist da längst vergessen.

Meistgelesen

Mehr zum Thema