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Trotz der Auswirkungen der Corona-Pandemie: «Armut ist noch immer ein Tabu»

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Die Pandemie hat gezeigt, wie schnell Personen unter die Armutsgrenze fallen können, sagt Aline Masé von der Caritas im Interview.

Aline Masé beschäftigt sich als Leiterin der Fachstelle Sozialpolitik bei der Caritas mit dem Thema Armut.

Aline Masé, zu Beginn der Pandemie sorgten lange Schlangen vor Lebensmittelabgabestellen in Freiburg, Zürich und Genf für Aufsehen. Haben diese Bilder Sie überrascht?

Ich habe damit gerechnet, dass bei vielen Personen das Geld nicht mehr ausreichen wird, um den Lebensalltag zu bestreiten. Schockiert hat mich allerdings, dass das so schnell gegangen ist. Ich war zudem überrascht zu sehen, wie viele Menschen keinen Zugang zu staatlichen Unterstützungsangeboten haben oder diese nicht nutzen wollen. Dass so viele Leute Angst haben, beim Staat Hilfe zu beantragen, finde ich beunruhigend.

Welche Schwierigkeiten erlebten die von Armut betroffenen oder gefährdeten Personen?

Wer vorher schon wenig finanzielle Mittel hatte, um durchs Leben zu kommen, kam eher in eine Situation, in der das Geld für gewisse Ausgaben fehlte. Familien benötigten wegen des Homeschoolings für alle Kinder einen Laptop. Jedoch konnten sie diese plötzlichen Ausgaben nicht stemmen. Es gab sogar Eltern, die vor einem leeren Kühlschrank standen und nicht wussten, was sie ihren Kindern zu essen geben sollen. Wer im Service arbeitete, bekam zwar Kurzarbeitsentschädigung. Aber die Trinkgelder machen hier einen wichtigen Teil des Einkommens aus. Und die waren vollkommen weggefallen. Diese Einnahmen fehlten dann im Budget der Betroffenen. Personen aus den Grenzregionen konnten ihre Einkäufe nicht mehr im Ausland erledigen, wo es günstiger ist. Selbstständigen fehlte die Kundschaft, auch wenn sie ihr Geschäft öffnen durften. Ich denke da an Coiffeure, Besitzerinnen von kleinen Läden oder Taxifahrer. Das Einkommen war weg, die Fixkosten hingegen blieben.

Was waren die Folgen?

Die soziale Ungleichheit in der Schweiz hat sich durch die Pandemie verstärkt. Kurzarbeit gab es häufiger in Jobs mit tiefem Einkommen und bedeutete häufig eine Einkommenseinbusse von 20 Prozent. Personen mit einem geringeren Einkommen haben auch stärker auf ihr Erspartes zurückgreifen müssen als Haushalte mit einem höheren Einkommen, wie verschiedene Untersuchungen zeigen.

Aline Masé, Leiterin Fachstelle Sozialpolitik bei der Caritas.
zvg

Sind die Hilfsangebote von Bund und Kantonen ausreichend?

In der Pandemie sind schnelle und gute Massnahmen ergriffen worden. Zum Beispiel hat die Kurzarbeit viele Entlassungen verhindert. Die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengelder wurde verlängert, sodass wenig Leute ausgesteuert wurden. Auf staatlicher Seite hat man sich auch sehr bemüht, wenn man gesehen hat, dass es Lücken gibt. Dann hat man nachjustiert oder Massnahmen auf zusätzliche Gruppen ausgedehnt. Die Hilfe war und ist aber nicht immer ausreichend und kam teilweise zu langsam. Wenn innerhalb von Tagen das Geld fehlt, um Rechnungen zu bezahlen, der Staat aber einen Monat braucht, um Anträge zu genehmigen, dann ist das einfach zu lang. Ich gehe zudem davon aus, dass nach dem Ende der Hilfsmassnahmen die Entlassungen und Aussteuerungen verzögert folgen werden und dass einige Selbstständige aufgeben müssen.

Mit welchen Massnahmen könnte man generell der Armut in der Schweiz entgegenwirken?

Armut ist ein strukturelles Problem. Finanzielle Unterstützung für die Betroffenen ist wichtig, reicht aber nicht. Wir müssen auch die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen ändern. Und das in unterschiedlichen Politikbereichen. Der Bildungsbereich ist sehr wichtig – von frühkindlicher Bildung bis zur Weiterbildung im Erwachsenenalter. Alle Kinder müssen Zugang zu frühkindlicher Bildung, also zu einer Kita haben, denn diese ist ganz entscheidend für die Chancengleichheit. Diese Angebote müssen auch für Familien mit wenig Einkommen oder für Personen, die Schicht arbeiten, offenstehen. Zudem müssen auch Personen mit geringer Qualifikation Zugang zu Weiterbildung haben. Sie werden mit der Digitalisierung noch mehr Mühe haben, eine Stelle zu finden. Heute können sich vor allem Personen weiterbilden, die bereits gut qualifiziert sind.

Wie sieht es mit der Sozialhilfe aus?

Auch dort sind Anpassungen notwendig. Die Höhe der Leistungen reicht heute nicht mehr aus, um die Existenz zu sichern. Und in vielen Kantonen muss die Sozialhilfe zurückgezahlt werden, wenn man nicht mehr von ihr abhängig ist. Das ist für viele Betroffene ein Problem und erschwert die Ablösung. Dann haben sie ein bisschen mehr Geld, müssen die Schulden abzahlen und kommen häufig in eine Schuldenspirale.
Und schliesslich verzichten immer mehr Personen, die nicht Schweizer Bürger sind, auf die Sozialhilfe, obwohl sie darauf Anrecht hätten. Heute kann nämlich auch eine Niederlassungsbewilligung entzogen werden, wenn man Sozialhilfe bezieht.

Gibt es weitere Massnahmen, die aus Ihrer Sicht notwendig sind?

Es braucht zum Beispiel auch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Viele Eltern, die gerne mehr arbeiten würden, können es nicht, weil sie keine Betreuung haben oder diese viel zu viel kosten würde.
Es sind wie gesagt ganz unterschiedliche Sachen, die man verändern müsste, und sie betreffen viele Politikbereiche und alle Staatsebenen. Deshalb braucht es eine umfassende Armutsstrategie, mit der Bund, Kantone und Gemeinden an einem Strick ziehen.

Haben Betroffene Hemmungen, Hilfe zu suchen?

Absolut. Wir beobachten sehr stark, dass von Armut betroffene Menschen sich aus der Gesellschaft zurückziehen. Da spielt die finanzielle Komponente eine Rolle: Diese Menschen können sich einen Kaffee im Restaurant nicht leisten, geschweige denn einen Kinobesuch. Sie sind auch weniger mobil, weil sie kein Geld für den ÖV oder ein Auto haben. Kinder können nicht zu Geburtstagsfesten von Klassenkameraden gehen, weil das Geld für ein Geschenk fehlt. Und der Vereinsbeitrag für eine kreative oder sportliche Betätigung ist ebenfalls zu teuer. Die Freizeitgestaltung der Kinder richtet sich also nach den finanziellen Möglichkeiten der Eltern und nicht nach ihren Interessen und Fähigkeiten.

Ziehen sich von Armut betroffene Personen auch zurück, weil sie sich für ihre Lage schämen?

Ja, denn Armut ist noch immer ein Tabu und wird oft als selbst verschuldet angesehen. Wie bereits gesagt ist Armut jedoch ein strukturelles Problem, das sich auch über Generationen vererbt. Die Pandemie hat die Armut bei uns sichtbarer gemacht. Und man hat auch gesehen, wie schnell es gehen kann, dass Personen unter die Armutsgrenze fallen und sich in einer existenziellen Notsituation befinden.

Zahlen und Fakten

8,7 Prozent der Bevölkerung sind von Armut betroffen

Gemäss dem Bundesamt für Statistik (BFS) waren 8,7 Prozent der Bevölkerung in der Schweiz beziehungsweise rund 735’000 Personen im Jahr 2019 von Einkommensarmut betroffen. Aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor.

Rund 155’000 Personen erzielten trotz Erwerbsarbeit kein Einkommen über der Armutsgrenze. Diese wird von den Richtlinien der Konferenz für Sozialhilfe abgeleitet und lag für das Jahr 2019 bei 2279 Franken im Monat für eine Einzelperson und 3976 Franken für zwei Erwachsene mit zwei Kindern.

Besonders häufig betroffen von finanziellen Schwierigkeiten waren gemäss dem BFS ausländische Personen, Personen in Einelternhaushalten, Personen ohne nachobligatorische Ausbildung und Personen in Haushalten ohne Arbeitsmarktteilnahme. jmw

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