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Ukrainische Filmemacherin: «Das Leben ist stärker als der Präsident von Russland» 

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Mit «Klondike» steht am Internationalen Filmfestival Freiburg ein Film auf dem Programm, der mit dem russischen Krieg in der Ukraine traurige Aktualität erhält. Die FN sprachen mit der Regisseurin und Drehbuchautorin Maryna Er Gorbach. «Klondike» ist heute im Kino Arena zum letzten Mal zu sehen.

17. Juli 2014. Eine Linienmaschine der Malaysia-Airlines befindet sich auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur. Unweit von Donezk in der Ostukraine stürzt das Flugzeug ab. Alle 298 Insassen kommen ums Leben. Nach Erkenntnissen der technischen Untersuchung wurde das Flugzeug durch eine aus Russland stammende Flugabwehrrakete abgeschossen. Laut der internationalen Strafermittlung stammte die Rakete von der in Kursk stationierten 53. Luftabwehrbrigade der russischen Streitkräfte. Von dort aus wurde die Lenkwaffe in die Ukraine zu einem von prorussischen Rebellen kontrollierten Feld transportiert und abgefeuert. Der Raketenwerfer wurde noch am selben Tag zurück nach Russland gebracht.

Dies ist die Zeit, in welcher der Film «Klondike» von Maryna Er Gorbach spielt. Im Gebiet an der Grenze zwischen der Ukraine und Russland kämpfen prorussische Milizen und reguläre russische Truppen gegen ukrainische Streitkräfte und Freiwilligenmilizen. Das Dorf, in dem das Ehepaar Tolik und Irka einen kleinen Bauernhof betreibt, wird besetzt. Dabei wird eine Wand ihres Hauses zerstört. Tolik will seine schwangere Frau in unbesetztes ukrainisches Gebiet evakuieren. Irka aber weigert sich standhaft, ihr Zuhause zu verlassen. Die Lebensbedingungen werden immer schwieriger. Und mit dem Absturz der Malaysia-Airline steht die Familie plötzlich im Mittelpunkt einer internationalen Flugzeugkatastrophe. 

Maryna Er Gorbach, Sie haben in einem Interview gesagt, dass Sie mit dem Film «Klondike» dazu aufrufen wollen, nie aufzugeben und immer aufzustehen, um für den Frieden zu kämpfen. Der Film feierte im Januar am Sundance Film Festival Premiere und nur einen Monat später startete Russland seinen Angriffskrieg auf die Ukraine. Hätten Sie sich je vorstellen können, dass die Geschichte diesen schlimmen Lauf nimmt?

Als Frau und Mutter von zwei Kindern einen Antikriegsfilm zu drehen, ist eine sehr grosse Herausforderung. Sich mit all seinen Gedanken und seiner ganzen Seele mit Krieg zu befassen, braucht eine starke Motivation. Es nimmt dein ganzes Leben in Beschlag – dein Familienleben, dein persönliche Leben und deine ganze Psyche. Wenn ich nicht verstanden hätte, dass die Ukraine in grosser Gefahr ist, hätte ich dafür nicht fünf Jahre meines Lebens eingesetzt.

Ihre Angst war also schon 2014 sehr gross?

Ich hatte grosse Angst, dass die Ukraine in grosser Gefahr sein wird, wenn die Urheber des Flugzeugabschusses nicht bestraft werden, wenn Russland für die Besetzung der Ostukraine nicht bestraft wird, wenn es im Grenzgebiet der Ukraine zu Russland jeden Tag Tote gibt – und dies in den Medien nicht existiert. Als Filmkritiker beim Sundance Film Festival in grossen internationalen Zeitungen von einem «Film über den Krieg in der Ukraine», und nicht von einem Konflikt schrieben, feierte dies die ukrainische Filmcommunity als eine persönliche Auszeichnung. Damit haben wir unser Ziel erreicht. Denn vorher wurde der Krieg als lokaler Konflikt angeschaut, nach dem Motto: «Das ist euer Business, löst das Problem in eurem Land.» Aber wenn Streitkräfte eines Landes Waffen in ein anderes Land bringen und dieses bombardieren, ist es nicht mehr ein lokaler Konflikt. 

Bisher hat aber noch kein internationales Gericht Russland für den Abschuss des Flugzeugs verurteilt. Und erst vor zehn Tagen haben die Niederlande gemeinsam mit Australien bei der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation ein Verfahren gegen Russland wegen des Abschusses des Passagierflugzeugs eingeleitet. Zu spät?

Ja, absolut. Ich habe mich umfassend mit dem Thema befasst, und es gibt genug Beweismaterial, welches erlauben würden, die Verantwortlichen beim Namen zu nennen, um Russland dafür zu sanktionieren, dass es die Region Donbass besetzt hat und den Tod vieler Zivilisten verantwortet.

Der Westen trägt somit eine Mitschuld an der heutigen Eskalation?

Ich glaube, es geht nicht darum, nach Schuldigen zu suchen. Auch innerhalb der Ukraine gab es Leute, die den Krieg bloss als Grenzkonflikt gesehen haben. Es geht vielmehr darum, zu fragen, wie geholfen werden kann. Denn Europa ist in Gefahr, weil die Ukraine mitten in Europa liegt.

Tut die Staatengemeinschaft denn genug, um den Krieg zu beenden? Was sagen Ihre Freunden und Ihre Familie, die noch in der Ukraine sind?

Wissen Sie, das sind einfache Menschen. Das Einzige, was sie wollen, ist, in ihren Häusern in Frieden leben zu dürfen. Nicht mehr. Aber sie leben unter ständigem Bombenbeschuss, und solange das nicht aufhört, ist nichts genug.

In Ihrem Film zeigen Sie verschiedene Arten, wie Menschen mit Aggression und Unterdrückung umgehen. Auf der einen Seite steht der Bruder der Protagonistin Irka, der aktiven Widerstand gegen die prorussischen Rebellen leistet. Auf der anderen Seite steht ihr Ehemann Tolik, der bereit ist, Kompromisse mit den Rebellen einzugehen, um seine Familie zu schützen – oder schlichtweg um zu überleben. Haben die Menschen tatsächlich eine Wahl, das moralisch Richtige zu tun?

Das ist eine gute Frage. Ich kann beides verstehen. Der Film spielt im Jahr 2014. Niemand dachte damals, dass er oder sie plötzlich von Bomben aus dem Schlaf gerissen wird. Toliks Reaktion ist darum sehr menschlich. 

 

Kann man von dem Menschen erwarten, dass sie bis aufs Letzte Widerstand leisten?

Das ist eine Entscheidung, die jeder für sich selbst treffen muss. Wenn du bereit bist, dein Haus, deine Frau, dein Kind dem Feind zu überlassen, dann ist das so. Viele Männer unseres Filmteams haben sich aber anders entschieden. Sie haben ihre Frauen und Kinder in Sicherheit gebracht und sind zurückgegangen, um ihr Zuhause zu verteidigen, in dem sie mit ihren Familien auch in Zukunft leben wollen. Sie hatten keine Wahl. 

Ihr Film zeigt auch, dass Krieg oft einen Keil zwischen ganze Familien treibt. Wie erleben Sie das aktuell?

Der jetzige Krieg treibt nicht einen Keil zwischen Familien im engeren Sinn, sondern zwischen Russen und Ukrainer. Viele Russen haben in der Ukraine zwar Verwandte. Und dennoch behaupten sie unter dem Einfluss der russischen Propaganda, dass die Ukraine von Ukrainern bombardiert wird. Das ist das grosse Drama. Denn vor 2014 war die Ukraine ein Land, in dem Russisch und Ukrainisch gesprochen wurde. Niemand schämte sich dafür, russisch zu sprechen. Unser Präsident, Wolodymyr Selenskyj, lernte erst ein Jahr vor seiner Wahl Ukrainisch. Vorher war er vollständig russischsprachig. Nach dem Zerfall der Sowjetunion gab es keinerlei Animositäten zwischen Russland und der Ukraine. 

Warum hat sich das Ihrer Ansicht nach geändert?

Als 2014 russische Soldaten in die Ukraine kamen, taten sie dies, ohne sich als solche erkennen zu geben. Sie behaupteten, dass es ukrainische Rebellen seien, die die Häuser bombardierten, weil sie ein unabhängiges Donbass wollten. Die Darstellung der Russen war und ist: Wir besetzen die Ukraine nicht, wir retten sie von den ukrainischen Nationalisten. Damit haben sie die Menschen in Russland manipuliert. Ich frage mich bloss, wie sich der russische Geheimdienst in den letzten acht Jahren informiert hat, dass er auf die Idee kommt, dass die Ukrainer Russland mit offenen Armen empfangen werden.

In Ihrem Film trennt der Krieg auch Männer und Frauen. Irka ist völlig genervt vom Gebaren ihres Bruders und ihres Mannes. Ist Krieg eine Männersache? 

Ich habe den Film Frauen gewidmet, weil Irka stärker ist als der Krieg. Der Krieg hingegen ist in der Hand der Männer, weil sie Waffen haben. Die Kraft der Männer kann zerstören oder beschützen. Es ist ihre Entscheidung, wie sie ihre Kraft einsetzen.

Was ist die Rolle der Frauen?

Meine Mutter ist nicht politisiert und ein sehr friedlicher Mensch. Und sie sagt: Die Russen können nicht alle töten. Solange es Mädchen gibt oder eine Frau, die einem Kind Leben schenkt, werden wir überleben. 

Im Film weist Irka die beiden Männer an, das Sofa zu putzen, was völlig sinnlos erscheint, weil überall Staub liegt. Wollte sie damit den Männern vor Augen führen, wie sinnlos ihr Tun ist?

Nein. Irka weiss, dass die Männer fortgehen werden. Sie aber wird in zwei Monaten gebären und bis dahin muss das Loch in der Hauswand geschlossen werden, weil es kalt wird. Die Frauen müssen sich mit sehr pragmatischen Fragen beschäftigen.

Am Schluss des Films wird nicht klar, ob das frischgeborene Baby überleben wird und ob es wirklich eine Zukunft geben wird. Wie zuversichtlich sind Sie, dass die Ukraine eine Zukunft hat?

Ich bin sehr hoffnungsvoll. Auch im Film ist Irka nicht in Panik, weil sie den Lebensinstinkt in sich hat. 

Aber, wie viele Kanonenkugeln müssen noch fliegen, und wie viele Menschen müssen noch sterben, bis dass das Gute gewinnt?

Nicht das Gute. Das Leben wird gewinnen. Es gibt keine Rakete, die Wolken, die den Sonnenaufgang und den Sonnenuntergang zerstören kann. Das Leben ist viel grösser als der Präsident von Russland. Wir Ukrainer haben schon heute gewonnen, weil wir uns auf sehr ehrenvolle, mutige und kreative Weise wehren.

Zur Person

Drehbuchautorin und Regisseurin

Maryna Er Gorbach wurde 1981 in Kiew geboren. Sie studierte an der dortigen Universität für Theater, Kino und Fernsehen und besuchte nach ihrem Abschluss im Jahr 2006 einen Meisterkurs für Filmregie an der Andrzej-Wajda-Meisterschule in Polen. Ihr erster Kurzfilm «The Jar» aus dem Jahr 2004 wurde auf verschiedenen internationalen Festivals ausgezeichnet. Ihr Abschlussfilm «The Debt», den sie 2006 vorstellte, war ihr zweiter. Ihr Regiedebüt bei einem Spielfilm gab sie im Jahr 2008 mit «Black Dogs Barking». Wie später auch «Luby Mene» und «Omar and Us» realisierte sie den Film gemeinsam mit ihrem Ehemann Mehmet Bahadir Er. Ihr Film «Klondike», der im Januar 2022 beim Sundance Film Festival seine Premiere feierte und im Februar 2022 auf der Berlinale vorgestellt wurde, ist der erste Film, bei dem sie für Regie und Drehbuch allein verantwortlich zeichnete. Seit 2017 ist Maryna Er Gorbach Mitglied der Europäischen Filmakademie. Wie eine Reihe anderer ukrainischer Künstler schrieb Er Gorbach im März 2022 nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine einen offenen Brief, in dem sie einen Stopp des Krieges forderte. Maryna Er Gorbach lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern in Istanbul. rsa


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