Sie treffen sich regelmässig einmal im Jahr, um auf den einen Freund, der bereits in Kindertagen starb, anzustossen und die gemeinsamen Jugenderfahrungen aufleben zu lassen. Bei einem ihrer Jahrestreffen kommt ihnen im Hinblick auf die nahende Pensionierung die Idee, eine Alterskommune zu gründen. Alle sind sie erfolgreich in ihrem Beruf, jedoch Versager in privaten Belangen. Entweder dauerledig, geschieden oder in einer unglücklichen Beziehung, haben sie eine Heidenangst vor dem Alleinsein im Alter.
Alters-WG nimmt Form an
Der erste Versuch, die Idee vom Zusammenleben im Alter ernsthaft anzugehen, endet ohne konkrete Pläne. Alle tun sich ein bisschen schwer damit, sich mit einem Leben nach der Karriere auseinanderzusetzen. Noch begegnet man ihnen mit Respekt. Noch!
Nachdem jedoch einmal ausgesprochen war, dass die Möglichkeit eines Zusammenlebens besteht, keimt der Samen, und bei einem nächsten Treffen gehen sie bereits die Details durch. Alle legen sie grossen Wert auf Vertrautheit, wollen aber auf keinen Fall alte Gewohnheiten ablegen. Der Entschluss steht schliesslich fest, und sie machen sich auf die Suche nach einem geeigneten Wohnobjekt. An der Wärme sollte dies sein, am liebsten im Süden. Oder doch eher in der Schweiz, wo Sterbehilfe möglich wäre? Nach langem Hin und Her wird man fündig an einem lieblichen See in der Nähe von München.
Das Haus ist gross und bietet so viel Platz, dass sogar nach einem sechsten Mitbewohner gesucht wird. Es findet sich kein passender Kandidat, so entsteht der makabre Gedanke, den Jugendfreund exhumieren zu lassen, um ihn im Garten zu beerdigen, damit er mit ihnen im Alter vereint ist.
Trügerische Idylle
Das Zusammenwohnen lässt sich in den ersten Jahren gut an. Sie geniessen das traute Zusammensein oder pflegen ihre bis anhin vernachlässigten Steckenpferde. Männer dieses Alters hatten schon einiges verbockt in den vergangenen Jahrzehnten, aber immerhin waren sie damals halbwegs gesund und mobil. Dieser Zustand ändert sich schneller als geahnt. Alle fünf hatten sie bis anhin einen entspannten Umgang mit dem Tod und hätten sich in dieser Hinsicht als angstfrei bezeichnet. Doch die Realität holt sie brutal ein, und sie stehen den eigenen und den Gebrechen der anderen hilflos gegenüber. Trotz Hilfe eines ausgeklügelten Systems, das der Computerfachmann unter ihnen zusammengestellt hat und mit dem sie kundtun können, wann sie Hilfe zum Sterben wünschen.
Die Realität holt sie ein
Die fünf Freunde fühlen sich wie Mauersegler, welche in hohen Lüften dahingleiten, frei von jeden gesellschaftlichen Zwängen. Der Autor holt einen nach dem andern in die Realität zurück, bis nur noch einer im hohen Alter zurückbleibt. Das Haus leert sich, füllt sich jedoch am Ende auf wundersame, (etwas realitätsferne) Weise mit jungen Leuten. Eine trotz allem realitätsnahe Geschichte mit Tiefgang, ohne Pathos erzählt. Da schreibt einer wortgewandt mit hintergründiger Ironie und ausgeprägter Lust am Fabulieren.
Christoph Poschenrieder:«Mauersegler», Roman. 219 S. Zürich: 2015, Diogenes Verlag.
Giovanna Rioloist ehemalige Leiterin der Deutschen Bibliothek Freiburg.