Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on print

Viel Streit um wenig Stoff

Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on print

Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

Um das gleich klarzustellen: Auch ich finde es scheusslich, wenn Männer Frauen zwingen, ihr Gesicht zu verhüllen. Auch ich habe es gern, wenn Menschen ihr Gesicht zeigen, im wörtlichen und im übertragenen Sinn. Und wenn die Gesichtsverschleierung tatsächlich nur ein Ausdruck von Frauenverachtung ist, dann sagt auch mein Bauchgefühl: SOFORT VERBIETEN!

 

Nun schaltet sich aber der Kopf dazwischen, der wieder einmal ungefragt Fragen stellt: Was ist mit den Frauen, die ihr Gesicht freiwillig und aus eigener Überzeugung verhüllen? Burkas widersprechen unserem freiheitlichen Zeitgeist, mag sein. Aber tun das Männer mit glattrasierten Köpfen und Nazisymbolen auf dem Bizeps nicht auch? Deswegen in der Bundesverfassung aber gleich die Kahlrasur oder Bizepstattoos zu verbieten, käme mir irgendwie unangemessen vor.

Ich habe gelesen, Burkas seien Symbole einer menschenverachtenden Ideologie. Sind es Hakenkreuze nicht auch? Und wenn ja, warum hat es das eidgenössische Parlament vor fünf Jahren abgelehnt, Nazisymbole zu verbieten?

Eric Gujer, der Chefredaktor der NZZ, hat seinen Leitkommentar für ein Burkaverbot mit der unzweideutigen Metapher «Ein Gefängnis aus Stoff» überschrieben. Demnach müssten uns die Nacktwanderer im Appenzellerland eigentlich wie Freiheitsrebellen aus Haut vorkommen. Doch die Erfahrung zeigt, dass sowohl zu viel als auch zu wenig Stoff die Sittenwächter gleichermassen auf den Plan ruft.

Können wir mit dem Burkaverbot tatsächlich erzwingen, dass muslimische Frauen nicht nur aus dem «Gefängnis ihres Stoffes», sondern auch aus dem Gefängnis des Patriarchats und der religiösen Despotie befreit werden? Ich habe da meine Zweifel. Vielleicht ist es sogar wahrscheinlicher, dass diese Männer ihre Frauen in Zukunft zu Hause einsperren, um sie den unzüchtigen Blicken der Öffentlichkeit restlos zu entziehen. Müssten wir dann als Antwort in der Bundesverfassung nicht einen «Frauen-an-die-frische-Luft-Artikel» verankern, der das weibliche Geschlecht für mindestens zwei Stunden am Tag den Klauen ihrer Unterdrücker entreisst, um es – endlich dem Gefängnis des Stoffes entronnen – unverschleiert und gesichtsvoll der Freiheit der Strasse zu übergeben?

Einige Burkagegner monieren, es gebe nichts Unästhetischeres als eine von Kopf bis Fuss in schwarze Tücher gewickelte Frau. Zugegeben, auch ich habe schon schicklichere Damenkleidung gesehen, aber wenn ich an all die Frauen und Männer denke, die ihren ganzen Vorrat an Haut der abgründigen Fantasie eines Tätowierungskünstlers als lebendige Leinwand zur Verfügung stellen, so ist mein ästhetischer Hunger durch den Anblick von so viel unverhüllter und verunzierter Haut auch nicht nachhaltiger gesättigt.

Gelegentlich wird auch das Sicherheitsargument ins Spiel gebracht, das Burkaträgerinnen auf die gleiche Stufe stellt wie maskierte Bankräuber oder vermummte Krawallmacher. Wie die meisten bin auch ich dafür, die öffentliche Sicherheit zu schützen. Ich bezweifle nur, dass sie mit Kleidervorschriften zu schützen ist.

In seiner Preisrede auf die Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» gab der deutsche Strafrechtler und Schriftsteller Ferdinand von Schirach folgende Anekdote zum Besten: «Neulich sah ich eine Weile dem Umzug am Christopher Street Day zu. Ein grosser, unfassbar schöner, schwarzer Mann tanzte auf der Strasse. Er war bis auf eine furchtbar enge Unterhose nackt und trug weisse Engelsflügel auf dem Rücken. Die Passanten starrten ihn an. Am Strassenrand stand auch ein kleiner Araber mit Frau und Kind, nicht grösser als 1,60 Meter. Der Tänzer näherte sich dem Araber, das wird schiefgehen, dachte ich. Er blieb vor ihm stehen, beugte sich zu ihm hinunter, nahm sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn auf den Mund. Der Araber wurde erst rot, dann freute er sich und lachte laut los.»

Das ist eine gute, eine sehr gute Geschichte und eine weihnächtliche dazu. Sie führt uns vor Augen, wie viel näher wir dem Himmel wären, wenn wir mehr tanzen und das Fremde liebkosen würden.

Hubert Schaller unterrichtet Deutsch und Philosophie am Kollegium St. Michael. Er ist unter anderem Autor der Gedichtbände «Trommelfellschläge» (1986), «Drùm» (2005) und «Federleicht» (2016). Als Kulturschaffender ist er in einem FN-Kolumnistenkollektiv tätig, das in regelmässigem Rhythmus frei gewählte Themen bearbeitet.

Meistgelesen

Mehr zum Thema