Die Kinder auf dem Spielplatz kreischen und johlen. Einige Dutzend Knirpse rutschen, rennen und toben am Samstagnachmittag im Guintzet herum–eine durchaus lärmige Angelegenheit. Und trotzdem werden sie übertönt. Denn einige Hundert Meter weiter spielt der Rugby-Club Freiburg gegen Monthey. Und wenn 30 kräftige Typen sich gegenseitig umrennen und zu Boden reissen, entsteht so viel Testosteron, dass es irgendwie abgebaut werden muss. Zum Beispiel durch kurze, aber permanente Schreilaute. Ein bisschen so, als müsste ständig irgendein Spieler grad ein übermässig schweres Möbelstück anheben.
Kein Ich, nur ein Wir
Rugby gehört in der Schweiz zu den Randsportarten. In den letzten Wochen war das Spiel allerdings auch in den hiesigen Medien sehr präsent. Die Weltmeisterschaft in England war ein Grosserfolg. Weltweit verfolgten über vier Milliarden Zuschauer die Spiele im TV. Selbst in der Schweiz, einem Land ohne Rugby-Tradition, steigt das Interesse. «Die WM hat uns acht neue Spieler beschert», sagt Patrick Sapin, der bereits seit 2007 für den RC Freiburg spielt. Er selbst war vor acht Jahren durch die WM in Frankreich auf den Sport aufmerksam geworden. «Ich war auf der Suche nach einem Team-Sport. Beim Rugby habe ich genau das gefunden, wonach ich gesucht habe. Du musst solidarisch sein und für deine Teamkameraden Opfer bringen, alleine kannst du überhaupt nichts ausrichten.» Bestens illustriert wird dies durch das sogenannte Gedränge, der Standardsituation nach kleinen Regelverstössen. Acht Spieler pro Team bilden ein Knäuel und versuchen gemeinsam den Gegner wegzudrücken, um sich den eingeworfenen Ball zu ergattern. Jeder Schritt muss koordiniert sein, ein Ich gibt es in diesem Moment nicht, es existiert nur ein Wir.
Bald zweite Mannschaft?
Ein Gefühl, das nicht nur Sapin mag. «Wir sind etwa 15 Leute, die schon seit vielen Jahren zusammenspielen. Zu diesem Stamm gesellen sich dann oft Studenten.» 35 Spieler gehören momentan zum Kader. Nicht zuletzt dank des WM-Booms hofft der RC Freiburg, bald schon eine zweite Mannschaft für den Meisterschaftsbetrieb anmelden zu können. Im Idealfall soll sie nächste Saison in den 1.-Liga-Betrieb integriert werden und im Frühling bereits erste Testspiele bestreiten. Obwohl Sapin sagt, dass viele Freiburger erstaunt seien, wenn sie hören, dass es in ihrer Stadt einen Rugbyclub gibt, ist der RC Freiburg ein Traditionsverein. Gegründet wurde er bereits 1986. An den Sonntagen treffen sich jeweils einige Clubveteranen zu Freundschaftsspielen. Und auch für den Nachwuchs ist gesorgt. In der Rugbyschule sammeln 6- bis 14-Jährige an Turnieren erste Erfahrungen. Gespielt wird eine andere Variante des Rugbys, mit weniger Körperkontakt.
Bei den Grossen ist das Wort Körperkontakt noch ein netter Ausdruck für das geräuschvolle Aufeinandertreffen der nur spärlich geschützten Körper. Auch im Spiel zwischen Freiburg und Monthey kommt es alle paar Minuten zu einem Zusammenprall, nach dem sich so mancher Fussballer minutenlang am Boden winden würde. Im Rugby hingegen ist klar: Wer am Boden liegt, hat wirklich Schmerzen. Im Spiel auf dem Guintzet ist das bereits nach wenigen Minuten der Fall, als sich ein Monthey-Spieler pflegen lassen muss. «Es gibt immer einige Bobos», sagt Sapin. «Aber persönlich habe ich mir noch nie eine gröbere Verletzung zugezogen und noch kein einziges Spiel verletzungsbedingt verpasst. Die Verletzungsgefahr ist nicht grösser als im Fussball oder im Eishockey.»
Wenn auch nicht simuliert wird, so zeigt das Spiel auf dem Guintzet, dass das Bild vom Sport der Gentlemen mitunter eine Mär ist. Spieler und Zuschauer schimpfen genauso auf den Schiedsrichter wie in anderen Sportarten, und als ein Freiburger einen Gästespieler zu Beginn der zweiten Halbzeit unsanft bremst, beginnen sich die Spieler zu stupsen–sofort entsteht eine Rudelbildung. Die Szenen zeigen auch: Dass Rugby in der Schweiz eine Randsportart ist, heisst nicht, dass die Spieler sie nicht ausgesprochen ernst nehmen. Deshalb trainiert die Mannschaft des RC Freiburg zweimal pro Woche. Und das Training wirkt–nach dem 8:6-Sieg gegen Monthey führen sie die Tabelle der NLB zur Winterpause souverän an.