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Von Orgelpfeifen und Kanonenkugeln

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Von Orgelpfeifen und Kanonenkugeln

Für seine Publikation «Les orgues de Bellelay» erhält François Seydoux den «Prix Bernard Heiniger»

1797 liessen französische Truppen im Schweizer Jura Glocken und Orgelpfeifen zu Kanonenkugeln umfunktionieren. Die Geschichte der verschwundenen grossen Orgel von Bellelay hört sich fast so spannend wie ein Krimi an: eine Forschungsarbeit des Musikwissenschaftlers François Seydoux.

Mit FRANÇOIS SEYDOUX sprach HUGO SCHALLER

François Seydoux, fühlen Sie sich manchmal als kunsthistorischer Detektiv?

Das Rätsel um die verschwundenen kostbaren Instrumente aus der Abtei von Bellelay ist tatsächlich sehr komplex. In den Archiven findet man ganz verschiedene Hinweise und Spuren.

Erwiesen ist, dass die grosse Orgel zeitgleich mit der Orgel des Klosters St. Urban zwischen 1715 und 1720 vom berühmten Orgelbauer Joseph Bossart, einem Zeitgenossen Johann Sebastian Bachs, erbaut wurde. In der Abtei und in der Klosterkirche von Bellelay gab es ja nicht nur die grosse Orgel, sondern mehrere Nebenorgeln, wie die kleine Chororgel, die in den Temple von La Chaux-de-Fonds gebracht und dort beim Brand der Kirche 1919 zerstört wurde. Doch über den Verbleib der grossen Orgel und der andern Instrumente aus Bellelay gibt es eigentlich nur Vermutungen.

Es gibt mehrere, teils widersprüchliche Angaben über das Schicksal dieser Orgeln?

Einzelne Teile konnten glücklicherweise bei einem Antiquar wiedergefunden werden. So kommt es, dass sich Teile aus dem Pfeifenwerk der Nebenorgeln heute in Privatbesitz befinden. Sensationell ist, dass noch einige Verzierungen der grossen Orgel im Historischen Museum von La Chaux-de-Fonds identifiziert werden konnten.

Die Spur einer kleineren Orgel aus Bellelay führt in das baselländische Waldenburg. Zurzeit untersuche ich noch die Möglichkeit, ob es sich vielleicht um ein anderes «Waldenburg», etwa im süddeutschen Raum, gehandelt haben könnte. Es bleibt ein Hoffnungsschimmer, das Instrument dort noch zu finden.

Möglich ist aber auch, dass die Orgeln in Gewehrkugeln verwandelt wurden?

In einem 1859 erschienenen Geschichtsbeitrag steht, dass die Franzosen die Glocken und Orgelpfeifen aus Bellelay zu Kanonenkugeln umschmelzen liessen.

Bei der Besetzung des Klosters am 15. Dezember 1797 durch die Truppen von General Gouvion St-Cyr kam es in Bellelay zu einer tragikomischen Situation. Um den General gnädig zu stimmen, liess der Abt ein Konzert veranstalten. Das gefiel den anwesenden Offizieren so sehr, dass sie nahezu sämtliche Instrumente der Abtei konfiszieren liessen.

Eine in alle Winde verstreute Orgel. Das klingt nach einem dreidimensionalen Puzzlespiel ohne Bestandteile?

Ja, das kann man so sehen.

Und trotzdem wäre es möglich, die Orgel zu rekonstruieren?

Klar, wäre es das schönste Ereignis, wenn wir noch mehr originale Teile der grossen Orgel wieder finden würden.

Doch anhand der heutigen Forschungsergebnisse ist die Vorstellung einer Rekonstruktion der grossen Orgel kein verwegener Traum mehr. Aufgrund der Disposition, die im Silbermannarchiv in Paris erwähnt ist, genauer Mensurangaben von Registern aus Bellelay in den Unterlagen der Orgelbauerdynastie Bossart, der Vergleichbarkeit mit der Orgel von St. Urban, dank der sichtbaren Umrisse der Orgel an der Westwand und der noch erhaltenen Verzierungen konnte der Orgelbauer Wolfgang Rehn einen Rekonstruktionsplan erstellen.

Mit Hilfe modernster Technologien und Messungen über die Materialbeschaffenheit kann ein authentisch klingendes und aussehendes Instrument rekonstruiert werden.

Welchen Platz wird die rekonstruierte bzw. restaurierte Orgel in der schweizerischen Orgellandschaft einnehmen?

Der Wunsch geht dahin, im Jura auch über eine Orgel im schweizerisch-süddeutschen Stil zu verfügen, um auf diesem Instrument das damals gebräuchliche spätbarocke Repertoire aus dem süd- bzw. mitteldeutschen, aber auch südeuropäischen Raum aufführen zu können. Komponisten wie Merulo, Merula, Frescobaldi, Pachelbel, Kerll oder Froberger könnten auf der Orgel von Bellelay in überzeugend authentischer Weise aufgeführt werden.

Es erscheint logisch, ein solches Vorhaben in einem Raum der entsprechenden Architektur, nämlich der Klosterkirche von Bellelay, zu realisieren und stilgetreu mit dem dazugehörenden Instrumentarium an Chor- und Übungsorgeln zu ergänzen. Das wäre eine wahre Bereicherung der jurassisch-schweizerischen Orgellandschaft!

Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass unter den Interpreten gewisse Animositäten zwischen einer historischen und einer pragmatischen Aufführungsweise bestehen?

Auf internationaler Ebene kann man diese Gegensätze eigentlich als überwunden ansehen. An allen Musikhochschulen sind wissenschaftliche Kurse für Interpreten und Dirigenten über historische Aufführungspraxis in die Lehrpläne integriert. Unterschiede gibt es eher bei Bestrebungen, auf einem einzigen Instrument möglichst viele Epochen und Stilrichtungen abdecken zu können. Aus kunsthistorischer Sicht ist es hingegen wünschenswert, wenn jede Orgel ihre ganz spezifische Individualität und Eigenheit bewahren kann. Somit lässt sich in der Schweiz das gesamte wundervolle Orgelrepertoire aus allen Epochen aufführen, nur nicht auf ein und demselben Instrument.

Das Kloster in Bellelay (Gemeinde Saicourt im Bernerjura) dient heute als Psychiatrische Klinik. In der Kirche finden vorab Konzerte statt.

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