Gruss aus Brighton, einer kleinen Stadt im Süden Englands, wo die Menschen aus London hinziehen, die das Grossstadtleben nicht mehr aushalten und sich dem Schock des Landlebens nicht aussetzen wollen. Noch nie habe ich eine Stadt mit so vielen Verkleidungsläden und Fun-Artikel-Shops gesehen, hier findet sich ungeschlagen die grösste Dichte an Perücken, Masken und ausgefallenen Schuhen, wochentags zum Verkauf und am Wochenende auf der Strasse und am Strand. Über mögliche Zusammenhänge zwischen Flucht und Verkleidung werde ich weiter nachdenken. Falls es mich noch gibt. Ein Aufenthalt in England erscheint mir weit lebensgefährlicher als der in manch anderen in Verruf geratenen Reisedestinationen. Hier lauert die Gefahr an jeder Strassenecke!
Die Gefahr heisst: «Kulturelles Missverständnis.» Die Autos und vor allem die eilenden Busse kommen von links. Das weiss jeder. Aber der Kontinentler, so hat er das gelernt und inkorporiert, schaut nach rechts. Und setzt an zum ersten Schritt. Tatsächlich ist es nicht das einzige Phänomen, das einen darauf hinweist, dass doch etwas mehr Wasser dazwischen liegt als ein Genfersee, aber vielleicht das wundernswerteste. Wussten Sie, dass nicht die Briten, sondern wir anders herumfahren (ich vermeide hier mit Absicht das Wort «falsch»)? Es gibt nämlich einen sogenannt natürlichen Linksdrang der Natur und folglich auch der Dinge beziehungsweise der angewandten Regeln. Ja, fast alles dreht linksherum: Das Wasser im Abfluss der Badewanne, die Salatschleuder, die Marathonläufer, die Autos in der Formel 1, die Tangopaare … Als Teil der Natur haben wir diesen Drang selbstverständlich auch, was sich zum Beispiel darin zeigt, dass von hinten gerufene Menschen sich meist über links zurückwenden. Das hat wiederum damit zu tun, dass das Herz im Körper auf der linken Seite schlägt. Nimmt man einem Menschen in der Wüste den Kompass weg, dann läuft er einen riesigen Kreis nach links. Das hat man schon unlängst erkannt, und so ist es denn auch in den meisten Supermärkten so, dass Dinge, die der Kunde so oder so kauft, tendenziell rechts stehen und die Dinge, die dem Sektor Luxusprodukte angehören, zumeist links aufgestellt sind.
Zurück zum Autofahren: Der gemeine Ritter war normalerweise Rechtshänder und trug sein Schwert links. Kam ihm ein Unbekannter entgegen, so konnte er am linken Wegrand mit der rechten Hand sein Schwert ziehen und er hielt es über die Mitte der Fahrbahn. Linksverkehr war folglich ideal zum Kämpfen. Napoleon änderte das Linksreiten, aus dem überzeugenden Grund, alte Ideale abzuschaffen, um neue aufzubauen, und das hat sich bis heute so gehalten. Da nun Napoleons Macht nicht bis nach England gedrungen ist, gibt es da noch immer Linksverkehr. Sagt man. Wer ist eigentlich «man»? Keiner kann sagen, er oder sie ist «man». Also hat es «Keiner» oder «Viele» gesagt. «Keiner» hat es nicht gesagt, sonst wüsst ich es nicht, also haben es «Viele» gesagt, und «Viele» haben immer recht. Zumindest kenne ich bisher kein Gegenargument.
Derweil schreibe ich diesen Gruss sicher mit beiden Händen am Computer. Wir leben in einem Zeitalter, wo vielleicht die Unterscheidung von rechts und links bald nicht mehr so wichtig ist, weil wir beidseitig trainiert sind oder Technologien entwickeln, die einen sicheren Blick nach vorne erlauben. Die ungewollt politische Endkurve dieser Kolumne geht nun wohl eher links herum. Und nun zur Werbung: Dieses Jahr darf ich das Festival Belluard eröffnen mit einem Stück getitelt: «Holiday on stage». Eine zeitlose Show und einzigartige Unterhaltung, überraschend, zugänglich und eine spektakuläre Erfahrung. Das ist zwar der Text von «Holiday on Ice», aber passt doch ganz gut, im Versuch, manipulative Strategien der «Grossen» aufzugreifen und versuchsweise humorvoll auf der Bühne umzusetzen und zu diskutieren … Hoffentlich auch mit euch! Premiere: 28. Juni 2013.
Martin Schickist Theater- und Filmschauspieler und Performance-Künstler. Er wuchs in Tafers auf und lebt derzeit hauptsächlich in Berlin. Als Kulturschaffender ist er in einem FN-Kolumnistenkollektiv tätig, das in regelmässigem Rhythmus frei gewählte Themen bearbeitet.