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Von schwierigen Erwachsenen und ausgebrannten Kindern

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Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

Ich habe gelesen, dass Burn-out bei Kindern und Jugendlichen in alarmierender Weise zunimmt. Die psychiatrischen Notfälle haben sich in den letzten Jahren vervielfacht und damit auch die Suizidgefahr. Das zwingt mir wieder einmal eine Korrektur meines Weltbildes auf. Bis jetzt habe ich Burn-out als Zivilisationskrankheit betrachtet, von der vornehmlich überarbeitete Manager, nervenflattrige Börsenmakler oder allzu idealistische Lehrpersonen betroffen waren. Dass jetzt offenbar schon Kinder ausgebrannt sein können, verstört, denn für mich gibt es keinen traurigeren Anblick als ein unglückliches Kind. Ja, hatten denn diese Kinder vor dem Ausbrennen überhaupt Zeit, für etwas ein richtiges Feuer zu entwickeln?

 

Fachleute machen unsere leistungsorientierte Gesellschaft, ehrgeizige Eltern, ein überbordendes Freizeitangebot, ständiger Vergleichsdruck, die Sozialen Medien, und was der Zeiterscheinungen mehr sind, für das Problem verantwortlich.

Da haben wir über Jahrzehnte die Schulen hochgerüstet mit Frühförderung, pädagogischem Stützunterricht, Psychologen, Logopädinnen, Sozialarbeitern, Mediatorinnen – und jetzt das! Statt dass sich die Kids optimal betreut fühlen, fragen sie sich, was denn mit ihnen nicht stimmt. Da haben wir das Sport- und Freizeitangebot unserer Teenager jedem noch so ausgefallenen Bedürfnis angepasst, und jetzt fallen die reihenweise in eine Depression! Noch nie wurde der Erziehungsmarkt mit so vielen Ratgebern, mit Erziehungsliteratur und Super Nannys überschwemmt – ja, liest und beachtet denn überhaupt jemand dieses Zeugs?

Ich finde das alles ein bisschen irre, aber es passt gut zu unserer widersprüchlichen Gesellschaft. Schliesslich feiern wir ja auch alle Weihnachten, obwohl die meisten nicht so richtig an Gott glauben, ärgern uns vom Auto aus über verstopfte Strassen oder wundern uns über die Antibiotikaresistenz, während wir gleichzeitig frischfröhlich das Fleisch von Tieren essen, denen systematisch Penizillinspritzen verabreicht wurden. Ganz ernst kann man uns also nicht nehmen.

Doch zurück zum Thema: Die Erfindung der Kindheit als eine Lebensphase, die den Wert in sich selber trägt, geht auf das 16. und 17. Jahrhundert zurück. Vorher wurden Kinder als defizitäre Erwachsene betrachtet, die so schnell wie möglich aufs Erwachsensein getrimmt werden sollten. Das geschah am besten dadurch, dass man Kinder arbeiten liess wie Erwachsene, dass man sie kleidete wie Erwachsene und ihnen das Sozialverhalten von Erwachsenen einhämmerte. Aber nicht einmal Gras wächst schneller, wenn man an ihm zieht – man reisst es höchstens aus.

Dass Kinder als Kinder und nicht bloss als zukünftige Erwachsene ein Existenzrecht besitzen, dieser Gedanke ist also erst ein paar Hundert Jahre alt. Aber es sieht ganz danach aus, als würden alle unsere Anstrengungen darauf hinauslaufen, unsere Kinder entweder erneut in die Zwangsjacke von Erwachsenen zu stecken oder aber sie systematisch am Erwachsenwerden zu hindern. Manchmal auch beides zugleich. Die minutiösen Beurteilungsbogen, mit denen die Leistung unseres Nachwuchses schon vom Kindergarten an im mathematischen Denken, in den sprachlichen Fähigkeiten, im Sozialverhalten und so weiter erfasst und codiert wird, «erinnern eher an ein Assessment für einen Managerposten als an die Wertschätzung für einen Dreikäsehoch», gibt Matthias Meili in der Zeitung «Tages-Anzeiger» zu bedenken. Und wenn Eltern der Lehrperson unverhohlen mit der Peitsche oder mit dem Anwalt drohen, weil diese den Genius ihrer Tochter oder ihres Sohnes verkennt, dann fördern sie damit nicht die natürlichen Anlagen ihrer Kinder, sondern ihren Narzissmus und ihre Versagerängste. Vielleicht möchten Kinder auch einmal bloss geliebt statt immer nur gefördert werden. Und genau so wichtig kann es für sie sein, ab und zu auf die Nase zu fallen und von selbst wieder aufzustehen, statt von einem Dutzend Händen aufgefangen und sofort wieder aufgerichtet zu werden.

Der Ruf nach Psychiatern, Antidepressiva und Ritalin ist nicht die Lösung, sondern Teil des Problems. Lasst Kinder endlich wieder Kinder sein! Was sie wirklich brauchen, hat Goethe in zwei Worten zusammengefasst: Wurzeln und Flügel.

Noch Fragen?

Hubert Schaller ist unter anderem Autor der Gedichtbände «Trommelfellschläge» (1986), «Drùm» (2005) und «Federleicht» (2016). Bis zu seiner Pensionierung in diesem Sommer unterrichtete er Deutsch und Philosophie am Kollegium St. Michael. Als FN-Gastkolumnist schreibt er regelmässig über selbst gewählte Themen.

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