Eine Milliarde Franken bekommen die Betreiber von Wasserkraftwerken für ökologische Sanierungen, etwa um das Sterben von Fischen zu verhindern. Ein Bericht zeigt, dass die Ziele bis 2030 nicht erreicht werden – publiziert wird er aber erst nach der Abstimmung über die Biodiversitätsinitiative.
Wenn Kraftwerke ihre Schleusen öffnen, um aus Wasser Strom zu turbinieren, wird es nicht nur für Menschen ungemütlich: Fische und andere Lebewesen werden schwallartig weggeschwemmt. Viele von ihnen stranden wenig später in sogenannten «Trockenfallen» und verenden.
Um die Schäden für Tiere und Pflanzen zu reduzieren, haben die Kantone vor zehn Jahren 100 Kraftwerke bestimmt, die ihre Anlagen gemäss den Vorgaben des Gewässerschutzgesetzes bis 2030 sanieren müssen: Sie sollen künstliche Abflussschwankungen ausgleichen und rund 1000 Fischtreppen bauen, um den Tieren die Wanderung zu ihren Laichplätzen zu ermöglichen. Eine ganze Milliarde Franken hat der Bund für diese Renaturierungen bereitgestellt – aus dem Netzzuschlag von 0,1 Rappen pro Kilowattstunde gemäss Energiegesetz. Bald ahnte man, dass das Geld knapp werden könnte.
Doch jetzt dokumentiert ein Bericht, der seit Monaten unveröffentlicht im Bundesamt für Umwelt (Bafu) liegt: Der Handlungsbedarf ist noch viel grösser als erwartet. Die Frist bis 2030 kann unmöglich eingehalten werden, und auch das Geld wird nicht reichen, um die geplanten Massnahmen zu finanzieren. «Mehrere Milliarden Franken» wären nach Einschätzung der Bafu-Experten nötig, um den ökologischen Schaden von Stauwerken zu mildern. Allein die für den Rhein auf Bündner Boden geplanten Massnahmen kosten laut offiziellen Angaben ein bis zwei Milliarden Franken – so viel, wie für die ganze Schweiz vorgesehen ist.
«Es ist fünf vor zwölf!»
Diese schlechte Nachricht kommt ungelegen, denn der Berner Oberländer Umweltminister Albert Rösti bekämpft derzeit die Biodiversitätsinitiative, die am 22. September zur Abstimmung gelangt. Wie das Bafu gegenüber CH Media bestätigt, soll der Bericht zur ökologischen Sanierung der Wasserkraft erst ab «Ende September/Anfang Oktober» publiziert werden. Es habe bei einigen Kantonen «aufgrund von technischen Schwierigkeiten Verzögerungen bei der Datenlieferung gegeben», begründet das Amt die Verspätung. Jetzt müsse der Bericht zuerst übersetzt und gelayoutet werden.
Dabei drängt die Zeit. Gemäss dem letzten veröffentlichten Amtsbericht waren per Ende 2018 erst zwei Prozent der Massnahmen realisiert. Eine rasche Umsetzung aber sei «zentral» für den Erhalt der Biodiversität, warnte das Bafu schon damals: Nur so könne sicher gestellt werden, dass die Stromproduktion in der Schweiz «ökologisch verträglich» erfolge. Laut der aktuellen Roten Liste sind in der Schweiz 57 von 71 einheimischen Fischarten gefährdet. 15 sind akut vom Aussterben bedroht, und 9 sind in den letzten Jahren bereits ausgestorben. «Es ist fünf vor zwölf!», sagt Martina Munz, SP-Nationalrätin und Präsidentin der Gewässerschutzorganisation Aqua Viva. Sie fordert «endlich eine nationale Strategie und Koordination», sonst fliesse viel Geld in die Planung von Sanierungen, die dann nicht umgesetzt werden: «Das hilft der leidenden Biodiversität nicht.»
Doch das Bafu wartet derzeit lieber ab – so sehr, dass der schubladisierte Bericht inzwischen bereits überholt ist. Die Kantone hatten den Stand per Ende 2022 rapportiert, so wie es das Gewässerschutzgesetz vorsieht. Dafür gewährte das Bafu eine unüblich lange Frist von einem Jahr bis Ende 2023. Und jetzt spielt das Amt erneut auf Zeit. Insider vermuten, dass der Bericht derzeit politisch überarbeitet werde. Das ist schon mehrfach passiert, seit Bundesrat Adolf Rösti das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) übernommen hat: so bei den Berichten zur Biodiversität und zum Wolf.
Auch die Finanzkontrolle äussert Kritik
Keinen Einfluss hat der SVP-Bundesrat indes auf die Arbeiten der unabhängigen Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK), die soeben eine eigene «Subventionsprüfung» zu den Sanierungen der Wasserkraft veröffentlicht hat. Und dieser Bericht, der sich nur auf finanzielle Aspekte konzentriert, enthält viel Kritik: Das Bafu habe keinen vollständigen Überblick und kein risikoorientiertes Überprüfungskonzept. Es dürfe nicht nach dem Prinzip «first come, first served» einzelne Massnahmen finanzieren, ohne das öffentliche Interesse und die Dringlichkeit zu berücksichtigen. Es müsse genauer hinschauen bei Projekten im Umfang von über einer Million Franken, die nicht ausgeschrieben werden. Es solle Eigenleistungen der Kraftwerkbetreiber genauer prüfen, weil sie dem Bund mit einem überdurchschnittlichen Stundenhonorar weiter verrechnet würden. Und es müsse Rückerstattungen verlangen.
Das Umweltamt und Uvek-Chef Albert Rösti sind also gleich mehrfach gefordert – beim Erhalt der Fischvielfalt wie bei den Finanzen. Erschwerend kommt hinzu, dass sich mit dem Trend zu erneuerbaren Energien die Abflussschwankungen in den nächsten Jahren intensivieren werden, wie der Sprecher des Elektrizitätswerks der Stadt Zürich (EWZ) bestätigt: Künftig werden die Schleusen der Staudämme mehrmals täglich statt nur bei erhöhtem Strombedarf über Mittag geöffnet. Umso wichtiger, dass angesichts beschränkter Mittel Effizienz, Verhältnismässigkeit sowie Kosten und Nutzen geprüft werden, wie dies ein wissenschaftlicher Bericht vom Herbst 2023 im Auftrag des Bafu postulierte. Doch auch dieser Rapport war dem Uvek offenbar nicht genehm: Er wurde nicht, wie ursprünglich geplant, ins Vollzugshilfemodul für die Kantone integriert, sondern schubladisiert.
Man darf also gespannt sein, wie lange Albert Rösti die Vorgaben des Gewässerschutzgesetzes aussitzt, anstatt die Natur zu schützen. Der SVP-Bundesrat muss seine neue Rolle offenbar noch finden. Er war vor seiner Wahl als Präsident des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbandes der oberste Lobbyist für den Ausbau von Staudämmen und Wasserkraft.
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