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«Wir sprechen nicht vom Gleichen»

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Einig waren sich die Anwälte gestern vor dem Freiburger Kantonsgericht nur in einem Punkt: In der Nacht vom 18. April hat sich ein Drama ereignet. Sonst aber beurteilten sie den Fall so unterschiedlich, dass Anwalt Jacques Michod sagte: «Wir verstehen uns nicht, wir sprechen nicht vom Gleichen.»

Der Fall hatte für Aufsehen gesorgt: Im April 2010 lieferten sich Polizei und Autodiebe aus der französischen Banlieue eine wilde Verfolgungsjagd. Im Autobahntunnel Sévaz schoss ein Waadtländer Polizist auf eines der flüchtenden Autos, als dieses eine Polizeisperre durchbrach. Er traf den 18-jährigen Beifahrer tödlich. Das Gericht des Broyebezirks sprach ihn im Oktober 2014 frei: Er habe in Notwehr gehandelt. Der Fahrer des gestohlenen Audis hingegen erhielt wegen Gefährdung des Lebens eine unbedingte Haftstrafe von 15 Monaten.

Bestand Lebensgefahr?

Gestern stand der Polizist erneut vor Gericht: Die Familie des Opfers und der Fahrer haben den Fall vor das Freiburger Kantonsgericht gezogen. Richard Calame, der Anwalt der Familie, brachte sein Anliegen auf den Punkt: «Der Polizist hatte keinen Anlass, seine Waffe zu benutzen.» Er sei nie in Lebensgefahr gewesen.

Die Polizisten hätten nie und nimmer eine Strassensperre im Tunnel aufbauen dürfen; das widerspreche allen Regeln. Das Auto sei nicht auf die Polizisten zugefahren, sondern habe auf die linke Spur eingeschwenkt. Calame folgerte: Die Polizisten seien nicht angegriffen worden, sondern hätten selber die Gefahr provoziert. Darum könne der Schütze keine Notwehr geltend machen, sondern müsse vielmehr wegen eventualvorsätzlicher Tötung verurteilt werden.

Dies forderte auch die Anwältin des Fahrers, der–wie die Familie–nicht anwesend war. Zudem müsse die Strafe ihres Mandanten angepasst werden: Er habe die Polizisten nicht gefährden wollen. Die Haftstrafe solle zumindest teilweise in eine bedingte Strafe umgewandelt werden. Der heute 25-jährige Familienvater habe sich ein neues Leben aufgebaut. Eine Haftstrafe würde seine Zukunft gefährden.

Der Staatsanwalt Jean-Luc Mooser hingegen betonte, dass es durchaus möglich sei, in einem Tunnel eine Sperre aufzubauen. Der Fahrer habe die Sperre gesehen, aber nicht angehalten. «Er ist mit Tempo 130 in den Tunnel gefahren.» Dies, obwohl ein Lichtsignal die Durchfahrt verboten habe und das Blaulicht des Polizeiautos mitten im Tunnel auf 800 Meter sichtbar gewesen sei. Er sei auf die Polizisten zugefahren und habe erst spät auf die linke Fahrspur gewechselt.

Der Polizist habe nie die Absicht gehabt, jemanden zu töten, und habe das auch nicht in Kauf genommen: Er habe auf den Motorblock gezielt, nicht auf die Frontscheibe. Der Autofahrer hingegen habe es in Kauf genommen, die Polizisten anzufahren. Mooser fordert deshalb einen Freispruch für den Polizisten–und eine längere Haftstrafe für den Fahrer: 18 Monate unbedingt.

Jacques Michod, der Anwalt des Polizisten, konnte nicht verstehen, wie sein Mandant als jemand dargestellt werden könne, der eine Gefahr heraufbeschworen habe: «Da werden die Rollen vertauscht.» Die Autodiebe hätten Garagen ausgeraubt, auf wilden Fahrten quer durch die Schweiz keine Rücksicht auf Dritte genommen, sogar Polizeisperren durchbrochen–«und es soll mein Mandant sein, der die Gefahr provoziert hat?»

Der Polizist habe sich und seinen Kollegen beschützt. Als das Auto mit Hochgeschwindigkeit und einem Höllenlärm in den Tunnel gefahren sei, habe er nur zwei Sekunden Zeit gehabt, um zu reagieren. Er habe die Waffe als einzige Lösung gesehen. «Er hat gedacht, es sei zu Ende mit ihm, und hat in Notwehr gehandelt.» Der Fahrer hingegen sei bewusst auf die Polizisten zugefahren und habe die Sperre willentlich durchbrochen.

Das Kantonsgericht gibt sein Urteil am Freitag bekannt.

Chronologie

Gericht des Broyebezirks sprach Polizisten frei

In der Nacht auf den 18.April2010stahlen Diebe drei Luxusautos aus einer Garage im bernischen Lyss. Die Insassen zweier Fahrzeuge verliessen kurz vor der Autobahnausfahrt Payerne ihre Autos, als sie merkten, dass die Polizei sie verfolgte. Das dritte Auto raste weiter. Waadtländer Polizisten bauten imAutobahntunnel Sévazeine Sperre mit einem Nagelgurt auf. Das Auto fuhr jedoch mit hoher Geschwindigkeit weiter, worauf einer der Polizisten sieben Mal auf den Wagen schoss. Er traf den 18-jährigen Beifahrer, der noch auf der Unfallstelleverstarb. Sein Zwillingsbruder wurde kurz darauf verhaftet; auch er gehörte zu den Dieben. Das Gericht des Broyebezirks sprach im Oktober2014denPolizistenfrei und verurteilte denFahrerwegenGefährdung des Lebenszu einer unbedingten, 15-monatigen Haftstrafe. DieAutodiebewurden bereits früher verurteilt: Im August2013sprach das Gericht des Seebezirks unbedingte Haftstrafen von zwei und von drei Jahren gegen den Fahrer und den Zwillingsbruder des Erschossenen aus. Das Kantonsgericht bestätigte das Urteil gegen den Zwillingsbruder im August2015, wandelte aber die Strafe des Fahrers in eine bedingte Strafe um. Zwei weitere Diebe wurden in Frankreich verurteilt.njb

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