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Zuchthaus oder Arbeitserziehungsheim?

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Zuchthaus oder Arbeitserziehungsheim?

Plädoyers im Gerichtsfall «Totschlag am Bahnhof Freiburg»

Muss der Messerstecher vom Bahnhof Freiburg für 4,5 Jahre ins Zuchthaus oder muss er im Arbeitserziehungsheim bleiben, bis die Gefahr eines Rückfalls auf ein Minimum reduziert ist? Die Meinungen gehen in den Plädoyers weit auseinander.

Von CHRISTIAN SCHMUTZ

Die neue Woche hat mit einem reich befrachteten Prozesstag im tödlichen Messerstich von März 2003 beim Bahnhof Freiburg begonnen: Das Bezirksgericht Saane hat mit dem Kumpel des Haupttäters einen wichtigen Zeugen einvernommen, die persönlichen Situationen der vier Angeklagten erörtert sowie die Anklage- und Verteidigungsreden angehört.

«Ich hätte mich nicht einmischen sollen, aber A. hat mich um Hilfe gebeten», sagte J., der mit seiner Angriffslust gegen eine zweite Jugendbande die Schlägerei ausgelöst hatte. Die Auseinandersetzung hatte schliesslich einem Kongolesen das Leben gekostet, der schlichten wollte. «Manchmal muss man helfen, wenn man die Person kennt, die Probleme hat», sagte J.

Solidarität oder Bandenverhalten?

Für Fabien Gasser, Substitut der Staatsanwältin, war dies aber kein Akt der Solidarität. Im vorliegenden Fall sei dies vielmehr Ausdruck eines blinden Bandenverhaltens gewesen. Jeder wollte das letzte Wort haben, cooler, stärker und gescheiter erscheinen wollen als die anderen. Es ging um Macht und Ansehen – wie bei Hahnenkämpfen. Ausgelöst wurden die Schlägereien dadurch, dass einer den anderen als «Narr» bezeichnet hatte. «Natürlich waren sie nicht zum Diskutieren an den Bahnhof gekommen», wusste auch André Clerc, Verteidiger von A. Die jungen Männer seien verletztend, beleidigend und provokativ gewesen.

Braucht es erst Tote?

Zu jener Zeit hatten laut Clerc junge Freiburger mit der Aktion «Gemeinsam gegen Gewalt» Unterschriften gesammelt, weil sie nicht mehr in den Ausgang gehen konnten, ohne fürchten zu müssen verprügelt zu werden. «Tut etwas! Oder braucht es erst Tote?», hatten sie gefragt. Sie hätten wohl nicht zu denken gewagt, wie aktuell sie mit ihrer Einschätzung waren. Einige Wochen später lag ein 34-jähriger Kongolese tot am Boden – mit einer 14 Zentimeter langen Stichwunde im Bauch.

Das Küchenmesser in der Tasche von A. war ein wichtiger Bestandteil der Befragung von Zeuge J. Dieser war zur Tatzeit noch nicht 18 Jahre alt und muss sich deshalb vor der Jugendstrafkammer verantworten. Offenbar wollte A. das Messer nicht mittragen. J. aber habe ihn überzeugt, sich zu bewaffnen für den «Kreuzzug»: «Das ist unsere Lebensversicherung.»

Opfer, Täter oder beides?

Sowohl die persönliche Situation wie die Plädoyers drehten sich am Montag um die Opferrolle von Täter A. «Er muss lernen, seine Emotionen und Gefühle in den Griff zu bekommen, sich nicht ständig als bedroht anzusehen», hatte im psychiatrischen Gutachten gestanden. Der Staatsanwalt legte noch einen drauf: «A. sieht sich als Opfer von seiner Familie, der Gesellschaft, der Kollegen, der Schule und sogar des getöteten Mannes. Er muss lernen Verantwortung für sein Tun zu übernehmen.» Ausserdem müsse nach all den Freiburger Problemen mit Jugendbanden ein Exempel statuiert werden.

Für Verteidiger André Clerc war neben dem Täter- auch die Opferrolle klar. Aus einem Waisenhaus in Brasiliens Nordosten war der Ausgehungerte als Fünfjähriger von einem Freiburger Paar adoptiert worden und sei hier immer Aussenseiter gewesen. Er habe einfach nicht die sprachlichen Mittel gehabt, um sich ohne Fäuste durchzusetzen und seine Selbsteinschätzung zu verbessern.

Ein Verhandlungstag wurde eingespart, so dass bereits diesen Mittwoch das Urteil für die vier Angeklagten folgen soll.
Strafanträge

l Angeklagter A.: Der Staatsanwalt fordert Zuchthaus von 4,5 Jahren für Totschlag und Schlägerei. Er rechnet darin bereits eine vom Psychiater attestierte, 50-prozentig eingeschränkte Verantwortung mit ein. Verteidiger Clerc will den Mann bis zum Abschluss seiner Therapie in einem Arbeitserziehungsheim unterbringen, ohne weitere Strafe. «Das ist vielleicht die einzige Chance in seinem Leben», sagte Clerc.
l Angeklagter C.: Staatsanwalt Gasser verlangt für Schlägereien 7,5 Monate Gefängnis bedingt auf drei Jahre. Verteidiger Jacques Bonfils will einen Freispruch.
l Angeklagter G.: Den 4,5 Monate Gefängnis bedingt auf zwei Jahre, die der Staatsanwalt für Schlägereien fordert, setzt Verteidiger Benoît Sansonnens einen Freispruch entgegen.
l Angeklagter F.: Staatsanwalt Gasser fordert anderthalb Monate Gefängnis bedingt auf zwei Jahre für den Boxer. Dessen Verteidigerin Sandrine Schaller will einen Freispruch.

Alle drei Verteidiger, die ihre Mandanten für unschuldig ansahen, erkannten juristisch keine «Schlägerei». Zu dieser brauche es drei Personen und mindestens leichte Körperverletzung. Am Nachmittag hätten eigentlich nur zwei Personen gekämpft und zwei weitere hätten anschliessend geholfen. Und am Abend sei zwischen der «harmlosen» Schlägerei und der Messerstecherei ein klarer zeitlicher Schnitt gewesen, hiess es. chs

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