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Zukunft braucht Herkunft

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In einer Komödie von Bernhard Shaw bedroht das Feuer die Bibliothek von Alexandria, die bedeutendste Bibliothek der Antike. Jemand ruft aus, das Gedächtnis der Menschheit werde in Flammen aufgehen, und Caesar sagt: «Lass es in Flammen aufgehen. Es ist ein Gedächtnis von Ruchlosigkeiten!»

Im Sensler Museum wird nicht gerade das Gedächtnis der Menschheit aufbewahrt, das Gedächtnis unserer Region aber schon. Aber was soll überhaupt ein Museum als Aufbewahrungsort von Vergangenheit in einer Zeit, die so ungestüm nach vorwärts drängt? Ist der Museumsgedanke nicht heillos veraltet? Und sollte man – wäre zufällig ein Brandstifter unter uns – nicht auch das Sensler Museum in Flammen aufgehen lassen? Was macht uns so sicher, dass es–der fortschrittsfiebrigen Welt zum Trotz – Sinn macht, den Blick nach rückwärts zu richten, uns auf unsere Vergangenheit zu besinnen?

Ich will es kurz machen: Gerade in einer fortschrittsgläubigen Welt wächst auch das gegenteilige Bedürfnis, Altes auszukundschaften und zu pflegen. Es ist wahr: Keine Gesellschaft vor uns hat so viel weggeworfen wie wir, aber keine Gesellschaft bewahrt gleichzeitig auch so viel respektvoll auf wie die unsrige.

Keiner hat das Aufbewahren so sehr zur gediegenen Kunst entwickelt wie der Freiburger Künstler Jean Tinguely. Was sind seine beweglichen, vom Rost der Zeit zerfressenen Installationen anderes als ein Sinnbild auf unsere technisierte Welt, die sich dumm und dumpf und immer schneller um die eigene Achse dreht. Z. B. wenn Tinguely ein Sieb erfindet, das in blindem Eifer Wasser schöpft.

Wir vertragen viel Innovation, aber nicht zu viel. Für zu viel Veränderung ist der Mensch nicht geschaffen, dafür ist ein Menschenleben zu kurz. Das ist das Hauptdilemma der modernen Zeit: Die Menschen in ihr sind langsam, die Welt selbst aber verändert sich rasend schnell. Je grösser die Veränderungsbeschleunigung, desto stärker das Bedürfnis nach Entschleunigung, nach einem festen Grund, einem tragenden Boden.

Bei niemandem tritt dieses Bedürfnis augenfälliger zutage als bei kleinen Kindern, diesen zerbrechlichen Wesen, denen die Zukunft gehört. Gerade weil alles, was ihnen begegnet, neu und unvertraut ist, brauchen sie einen vertrauten Gegenstand, den sie immer mit sich herumtragen können, etwa in Form einer Windel, «as Nùùscheli», das niemals gewaschen werden darf, damit es den Höhlenduft des Vertrauten ja nicht verliert.

Je mehr Neues und Unvertrautes uns die Zukunft zumutet, desto mehr vertraute Vergangenheit müssen wir in diese Zukunft mitnehmen. So kommt in diese schnelle Welt die Langsamkeit hinein, die wir so sehr benötigen. Nur der langsame Mensch ist der schnellen Welt gewachsen, meint der deutsche Philosoph Odo Marquard. Er hat dafür eine weise Formel geprägt: «Zukunft braucht Herkunft.»

Wenn ich das Konzept des neuen Sensler Museums richtig verstanden habe, dann geht es genau um diese Balance: Erinnerungskultur nicht als hypnotisierter Blick auf das Alte, sondern als unverkrampfte Auseinandersetzung mit unserer Herkunft, damit uns die Zukunft nicht im Wege steht. Wir brauchen kein Sensler Museum als Aufbewahrungsort von Heimatklischees. Wir brauchen ein Museum, das uns unsere Vergangenheit erklärt, ohne sie zu verklären. Ein Museum, das uns unserer Wurzeln versichert und uns gleichzeitig an unsere Zukunft glauben lässt.

Hubert Schallerunterrichtet Deutsch und Philosophie am Kollegium St. Michael. Er ist unter anderem Autor der Gedichtbände «Trommelfellschläge» (1986) und «Drùm» (2005). Diese Kolumne ist eine gekürzte Fassung seiner Rede zur Neueröffnung des Sensler Museums vom 1. September 2013.

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