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Zum Beispiel Rosalia G.

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Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

Es ist ein düsteres Kapitel der Schweizer Geschichte. Von 1800 bis in die 1960er-Jahre war es Usus, dass die Vormundschaftsbehörden geschiedenen und alleinerziehenden Eltern ihre Kinder wegnahmen und weitervermittelte, teils auf Verdingmärkten, wo sie an denjenigen versteigert wurden, der am wenigsten Kostgeld verlangte. Hunderttausende mussten so ihren Lebensunterhalt auf fremden Bauernbetrieben bereits im Kindesalter selber verdienen. 2011 erhielt das Thema grosse Aktualität durch Markus Imbodens Spielfilm «Der Verdingbub».

Ein Mädchen, das dies am eigenen Leib erlebte, war Rosalia Wenger. In ihren Büchern «Rosalia G.» (erschienen 1978) und «Warum hast du dich nicht gewehrt» (1982) beschreibt sie ihr Schicksal in Form von prägenden Episoden und Erinnerungen.

«Waren Niemandskinder»

Rosalia wurde 1906 als uneheliche Tochter einer Dienstmagd geboren. Der Vater, ein deutscher politischer Flüchtling, wanderte kurz nach ihrer Geburt in die USA aus. Die Mutter deponierte das Mädchen–und bald darauf auch ihren Bruder–wegen fehlender finanzieller Mittel auf dem Lischern-Hof in Schwarzenburg bei den Grosseltern: «Mein Brüderchen und ich waren also bei unseren Grosseltern verdingt durch die Armenbehörde. (…) Vormund hatten wir keinen. Wir waren also eigentlich schon Niemandskinder», schreibt Rosalia im Buch.

 In ärmsten Verhältnissen, zusammen mit fünf oft alkoholisierten Onkeln und fünf Tanten und deren Familien, wächst Rosalia auf. Physisch beschützt wird sie von ihrer Grossmutter in einer emotionalen Wüste. Zwar wurde ihr kaum Gewalt angetan, «jedoch geschah es auch nie, dass sie zärtlich mit mir war, mich etwa auf den Schoss genommen hätte oder mich geküsst».

Während die anstrengende Mitarbeit auf dem eigenen Hof für Kinder normal war, änderte die Situation in der Fremde. Wie Leibeigene wurden sie für harte Zwangsarbeit eingesetzt, meist ohne Lohn, nicht selten 16 Stunden am Tag, ohne Wochenende. Und oft kamen physische und psychische Erniedrigungen dazu oder gar sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen.

Misshandlungen wurden nur selten gemeldet. Die Behörden hatten zwar die Aufgabe für das Wohl der Kinder zu sorgen, aber kaum das Bedürfnis, sich ihr Leben schwerer zu machen als notwendig. Die Schwarzenburger Behörde verdingte die elfjährige Rosalia gegen ihren Willen an die Familie des Fuhrhalters Stöckli im Dorf, wo sie neben der Schule den Haushalt zu besorgen hatte.

Hausarbeit vor Schule

Die Hausarbeit ging vor, dass Rosalia deshalb zu spät zur Schule kam, war normal. Auch der Pfarrer und die Lehrer hätten sich einschalten können, sahen aber weg. Kontakte zu Gleichaltrigen beschränkten sich auf den Schulweg, schlechte Noten führten zu weiteren Erniedrigungen: «Genau habe ich erfahren, dass, wenn man Verdingkind ist, jeder, auch der unfeinste Knecht, an ihm die Schuhe abputzen darf, das ganz ungeniert und ungestraft.»

Verarbeitung mit Büchern

Rosalia, ausgestattet mit Minderwertigkeitsgefühlen und Selbstzweifeln, suchte nach der Schulzeit ihr Glück als Haushaltshilfe in der Welschschweiz, stolperte an ihren neun Stellen des öfteren vom Regen in die Traufe und schien in ihrem Schicksal als billige Arbeitskraft gefangen. Nach einer späten Lehre als Glätterin heiratete sie und brachte zwei Töchter zur Welt, welche ihr nach dem Tod ihres cholerischen Mannes halfen, sich aus ihrem Käfig zu befreien und die Erlebnisse in ihren Büchern zu verarbeiten.

Heute leben in der Schweiz schätzungsweise 20 000 Personen, welche teilweise noch immer an ihrer Kindheit leiden. Auf eine finanzielle Abgeltung warten die teils hochbetagten Menschen noch heute (vgl. Kasten), da die involvierten Parteien das Problem nicht angehen. Rosalia Grützner-Wenger starb 1989. Ihr zu Ehren wurde 2004 ein Platz bei der S-Bahn-Station Wankdorf in Bern benannt.

Am 20. Juni liest Rosalia Wengers Tochter im Schloss Schwarzenburg aus ihrem Werk vor. Reservationen unter www.schloss-schwarzenburg.ch.

Wiedergutmachung: Schwieriger Umgang mit der Vergangenheit

D ie Situation der Verdingkinder wurde 2005 im Expertenbericht «Das Pflegekinderwesen in der Schweiz» im Auftrag des Bundesamtes für Justiz dargestellt. 2013 entschuldigte sich Bundesrätin Simonetta Sommaruga im Namen der Schweizer Regierung für das begangene menschliche Unrecht. Guido Fluri eröffnete im selben Jahr in Mümiswil (SO) die erste nationale Gedenkstätte für Heim- und Verdingkinder. Anfang 2014 anerkannte Jacques Bourgeois, der Direktor des Schweizerischen Bauernverbandes, das Leiden der betroffenen Personen, argumentiert jedoch gegen finanzielle Forderungen. Ab Sommer 2014 werden Opfer von Zwangsmassnahmen in Notlagen unterstützt. Rund acht Millionen Franken sollen dafür zusammenkommen. Am 31. März 2014 wurde die Wiedergutmachungsinitiative lanciert. Sie verlangt eine finanzielle Abgeltung «für die Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen» bis ins Jahre 1981. Zu diesem Zweck soll der Bund einen Fonds von 500 Millionen Franken errichten. us

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