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Das Vermächtnis des Sokrates

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Meine These ist: Mit der Veränderungsgeschwindigkeit der Welt lässt sich besser umgehen, wenn man einen geistigen Rückzugsort hat, an dem – allen wechselnden Moden zum Trotz – ein paar unumstössliche Wahrheiten gelten. Mein Rückzugsort besteht aus einem kleinen Bücherregal, auf dem sich ein paar meist altertümliche Philosophen ein Stelldichein geben. Mode meint die freiwillige Unterwerfung unter das Diktat des Zeitgeistes. Philosophie meint freie Erkenntnis des Einzelnen. Mode sagt: «Ich auch.» Philosophie sagt: «Ich allein.» Ich ziehe es vor, mich mit Descartes zu irren, statt mit Facebook im Recht zu sein.

Am liebsten sind mir diejenigen unter den Philosophen, die sich nicht um den Zeitgeist scherten, die sich nur zu dem bekannten, was ihnen selber einleuchtete. Der Bedeutendste unter ihnen lebte vor 2400 Jahren. Er hiess Sokrates und war der erste freie Denker. Kein Wunder, dass er zum Tod verurteilt wurde. Wenn ein Mensch bekennt, dass er nichts weiss und dass er weiss, dass er nichts weiss, dann kann man ihn für einen Dummkopf halten. Aber was soll man mit einem Dummkopf machen, der Schüler anzieht, keinem öffentlichen Disput ausweicht und den Vertretern der Lehrmeinungen so lange auf den Zahn fühlt, bis auch diese ins Grübeln kommen, ob ihr angebliches Wissen tatsächlich Wissen oder vielleicht doch nur blinder Glaube war. Dabei stellte Sokrates nur Fragen und siebte die Antworten, bis nichts mehr übrig blieb. Lieber wollte er an den Fragen festhalten, als sich zufriedenzugeben, ohne wirklich begriffen zu haben. Nur, wer so unermüdlich Sand ins Getriebe der Meinungsmacher und Neunmalklugen streut und den Zweifel unter die Jugend sät, darf sich nicht wundern, wenn er dafür den Zorn der Mächtigen erntet. Der Zweifel, meint der Resilienzforscher Boris Cyrulnik, verschafft uns zwar einerseits das Vergnügen, uns der kollektiven Erzählung zu verweigern, aber gleichzeitig raubt er uns auch das Vergnügen, uns der kollektiven Erzählung auszuliefern. Es ist die Entscheidung zwischen dem Glück der Unterwerfung, die uns Sicherheit gibt, und dem Vergnügen des selbst gewählten Wegs, der uns isoliert. Sokrates entschied sich für das Zweite.

Das war vor 2400 Jahren – und heute? Hat der Siegeszug der Wissenschaften den Zweifel dieses Philosophenkönigs nicht heillos antiquiert? Warum sich nicht mit den Wissenschaften begnügen, wo sie der Menschheit doch Fortschritt und Wohlstand beschert haben? Ganz einfach: Weil die Wissenschaften keine einzige der wesentlichen Fragen berühren, die sich Sokrates gestellt hat und die wir uns heute immer noch stellen. Auf die Sinnfrage «Soll ich Physik studieren?» kann es keine physikalische Antwort geben. Nicht einmal auf die Frage «Sind die Wissenschaften wahr?» kann es eine wissenschaftliche Antwort geben. Geschweige denn auf Fragen von der Art: Was heisst Gerechtigkeit? Worin besteht der Sinn des Lebens? Sind Geist und Gehirn ein und dasselbe?

Philosophieren heisst, ohne Beweise zu denken, denn gäbe es Beweise, wäre es kein Philosophieren mehr. Das bedeutet aber nicht, beliebig oder Beliebiges zu denken. Die Philosophie unterwirft sich ebenso der Logik und der kritischen Vernunft wie die Wissenschaften, nur widersetzen sich ihre Ergebnisse dem wissenschaftlichen Beweisverfahren. In Bezug auf die grossen Fragen des Lebens sind wir auch heute noch nicht wesentlich über Sokrates und seinen Schüler Platon hinausgekommen. Unser Nichtwissen wird immer weiter reichen als unser Wissen, und was wir wissen, wird immer von etwas abhängen, was wir (noch) nicht wissen und vielleicht nie wissen werden. Mit anderen Worten: Auch der schwindelerregende Fortschritt der Wissenschaften hat die Dinosaurierfragen der Philosophie kein bisschen überholt.

Am Schluss ist es doch wieder der sokratische Zweifel, der alle Modeerscheinungen überlebt. Das schliesst auch den Zweifel am Zweifel mit ein, also den Punkt, an dem die Unwissenheit in Gelassenheit und die Selbstzweifel in Selbstironie kippen. Genau daran musste ich denken, als mich vor kurzem folgende Anekdote zum Schmunzeln brachte: Ein ortsbekannter Zweifler kniet in der Kirche und betet. Der Nachbar spricht ihn an: «Du betest, dabei behauptest du doch immer, dass du nicht an Gott glaubst!» «Das stimmt», meint der Angesprochene, «aber woher weiss ich, ob ich Recht habe?»

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