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Eine Super-Nanny namens Fortschritt

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Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

Gastkolumne

Autor: Hubert Schaller

Eine Super-Nanny namens Fortschritt

Hängt Ihnen der Fortschritt manchmal auch zum Halse heraus? Vor zwanzig, dreissig Jahren, also zur Zeit des Mauerfalls oder der Anti-AKW-Bewegung, hätte ich mir noch die rechte Hand abgehackt, wenn ich es gewagt hätte, einen solchen Satz aufs Papier zu bringen. Aber heute gebe ich es offen zu: Manchmal kotzt mich der Fortschritt richtiggehend an. Warum? Weil er uns immer mehr wie kleine Kinder verhätschelt. Weil er uns immer mehr Dinge abnimmt, für die wir doch eigentlich erwachsen geworden sind.

Beispiele gefällig? Bitte schön: Früher hatte man als Autofahrer zum Beispiel die Wahl, sich dem Gurtenobligatorium zu beugen oder auch nicht. Heute begnügt sich die Autoindustrie nicht einmal mehr mit rot aufleuchtenden Alarmlämpchen. Nein, gleichzeitig übernimmt ein Nerven tötender Piepston die Befehlsgewalt im Wagen. Erst wenn wir vorschriftsgemäss angeschnallt sind, hört die eingebaute Super-Nanny endlich auf zu quengeln. Früher hatte man wenigstens in den eigenen vier Wänden das Sagen. Heute erkundigen sich Firmen unaufgefordert, ob nicht etwa ein Boiler zu entkalken sei oder wie es mit den Weinreserven im Keller stehe. Telefonfirmen kümmern sich rührend um meinen billigsten Anschluss (der mir dann doch wieder teurer zu stehen kommt als der alte). Krankenversicherungen errechnen mein ungeahntes Sparpotenzial (und nehmen mir sogar die Kündigung der alten Krankenkasse ab). Sockenhersteller umwerben mich mit supergünstigen Sockenabonnementen (kündbar auf drei Monate). Internetbuchhandlungen wissen im Handumdrehen, welche Bücher mich sonst noch interessieren könnten oder was geistesverwandte Kunden sonst noch bei ihnen gekauft haben.

Der Drucker, den ich mir soeben (will heissen vor drei Jahren) angeschafft habe, wird vom Computerfachmann zum Vorkriegsmodell erklärt, das leider mit dem neuen PC nicht mehr kompatibel sei. Hundert neue Modelle stehen zur Auswahl (von denen keines besser druckt als das alte). Elektronische Hochleistungsgeräte informieren mich beim Joggen über Pulsfrequenz, Blutdruck, Fettverbrennung und was sonst noch so alles im gemarterten Körper vor sich geht. Kein Schritt, der nicht überwacht, keine Entscheidung, die mir nicht leicht gemacht oder gar untertänigst abgenommen würde.

Früher verwöhnte uns der Fortschritt mit Dingen, die wir wirklich brauchten: das Kugellager, der Buchdruck, die Demokratie. Heute verbraucht er Dinge, die uns nur noch verwöhnen: die elektrische Zahnbürste, der iPod, das GPS. Und weil wir uns gerne verwöhnen lassen, bleiben wir Kinder, verhätschelte Kinder des Fortschritts. Einst war Fortschritt etwas, für das unsere Vorväter auf die Barrikaden gingen und bereitwillig ihr Leben opferten. Heute sorgt er nur noch dafür, dass Müllberge ansteigen und – meinetwegen – das Bruttosozialprodukt. Kein Wunder, dass mich die mutigen Freiheitskämpfer in Tunesien, Ägypten, Libyen und so weiter fast ein wenig nostalgisch stimmen. Für sie ist Fortschritt ein Ziel, für das es sich zu kämpfen, nötigenfalls sogar zu sterben lohnt. Bei uns wird Fortschritt frei Haus geliefert. Am liebsten nach Feierabend, wenn alle daheim sind und unsere Super-Nannys sicher sein können, dass ihn niemand verpasst.

Hubert Schaller unterrichtet Deutsch und Philosophie am Kollegium St. Michael. Er ist unter anderem Autor der Gedichtbände «Trommelfellschläge» (1986) und «Drùm» (2005). Als Kulturschaffender ist er in einem FN-Kolumnistenkollektiv tätig, das in regelmässigem Rhythmus frei gewählte Themen bearbeitet.

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