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«Das vergangene Jahr war ein schwieriges Jahr»

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Die «Freiburger Nachrichten» haben mit der Rektorin und Rechtsprofessorin der Universität Freiburg im Jahresendgespräch auf die Ereignisse im Jahr 2022 zurückgeschaut.

Wieder geht ein Jahr zur Neige. War es für Sie eher ein gutes oder ein schlechtes Jahr, Astrid Epiney?

Gefühlsmässig war es ein schwieriges Jahr. Was mich wirklich erschüttert hat, ist, dass ein erneuter «richtiger» Krieg in Europa ausgebrochen ist. Natürlich hätte man das erahnen können: 2014 mit der der Annektion der Krim, mit dem Krieg 2008 in Georgien, mit dem Transnistrien-Konflikt im Osten der Republik Moldau, vorher mit dem Krieg in Donbas. Aber dennoch war man überrascht ob der Vehemenz und auch der Brutalität der Kriegsführung. 

Warum konnte man überrascht sein?

Wahrscheinlich spielt es eine grosse Rolle, dass viele von uns doch lange im Glauben gelebt haben, dass es solche Angriffskriege in der Nachkriegsordnung und auch nach 1990 nicht mehr geben würde, weil man davon ausging, dass wir aus der Vergangenheit genug gelernt haben.

Wir hatten ein bisschen eine Wahrnehmungsstörung.

Der deutsche Bundeskanzler Olav Scholz sprach im Zusammenhang mit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine von einer Zeitenwende. Teilen Sie diese Einschätzung?

Mit solchen Begriffen wäre ich immer ein bisschen vorsichtig. Das muss die Nachwelt beurteilen. Wenn man sich im Nachhinein anschaut, was vorher passiert war, erscheint der Krieg doch nicht so überraschend. Schaut man sich das Wording in den Reden Putins der letzten Jahre an, wie er gewisse Wörter plötzlich viel häufiger verwendete, wie er anfing, die Geschichte zu verdrehen, dann war unsere Wahrnehmung doch getrübt.

Dass es solche Grausamkeiten wieder vor unserer Haustür in diesem Ausmass und dieser Offensichtlichkeit wieder gibt, war nichtsdestotrotz ein Schock.

Keine Zeitenwende also. Der Ukraine-Krieg hat das Staatengefüge aber dennoch ins Wanken gebracht. 

Schon. Der Krieg hat auf verschiedenen Ebenen weitgehende Auswirkungen: Er stellt verschiedene Aspekte der Globalisierung infrage. Wir sehen, wie fragil wir sind, nicht nur in Bezug auf die Energie, sondern auch in Bezug auf die Lieferketten. Er wirft auch die Frage des Machtgleichgewichts auf. Wie wird sich dieses einspielen? Auch die Funktionsfähigkeit der UNO steht zur Debatte, die mit Russland als Vetomacht in diesem Angriffskrieg keine Rolle spielen kann. Das führt weiter zur Frage, wie die westlichen Staaten reagieren können. Sie haben sie mit einer bedeutenden Unterstützung der Ukraine beantwortet, geht es doch auch darum, zu vermeiden, dass ein Aggressor meinen kann, er könne unter Missachtung ganz grundlegender völkerrechtlicher Regeln Teile des Staatsgebiets eines anderen souveränen Staates annektieren. Für die Schweiz stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach der Neutralität. Ja, einige Dinge sind durch den Ukraine-Krieg noch einmal aktueller geworden, obwohl sie im Grunde genommen schon vorher präsent waren.

Auch das Völkerrecht wird in diesem Krieg mit Füssen getreten. Ist es in Gefahr?

Nein, als solches ist es nicht infrage gestellt. Ich mag mich täuschen, aber es kann sogar sein, dass das Völkerrecht gestärkt aus diesem Krieg herausgeht, weil die Verurteilung des Aggressionskriegs als solcher fast einstimmig erfolgte. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir vor allem das Völkerrecht sehen, das verletzt wird. Aber insgesamt funktioniert es in ganz vielen Bereichen: Es können Gefangenenbesuche stattfinden, es ist zum Austausch von Gefangenen gekommen, es gibt diplomatische Kanäle und Beziehungen. 

Wie steht es darüber hinaus mit den freiheitlich-demokratischen Werten als Basis für ein friedliches Zusammenleben?

Wir müssen uns schon bewusst sein, dass die Errungenschaften der Aufklärung, wie der Rechtsstaat, der Schutz von Minderheiten und Menschenrechten und die demokratische Legitimation, keine Selbstläufer sind.

Ich glaube, es wäre eine Hybris anzunehmen, dass irgendein Staat auf dieser Welt a priori davor gefeit wäre, autokratische Tendenzen anzunehmen. 

Dass die freiheitlich-demokratischen Werte angreifbar sind, haben im vergangenen Jahr zumindest auch die Wahlen in Italien gezeigt, wo mit Giorgia Meloni eine Rechtspopulistin zur Ministerpräsidentin gewählt wurde. In den USA war bei den Midterms ebenfalls die Gefahr eines grösseren demokratischen Zusammenbruchs zu befürchten, und in Frankreich konnte sich der amtierende liberale Präsident Emmanuel Macron erst in der Stichwahl gegen die rechtspopulistischen Marine Le Pen durchsetzen. 

Ein Wahlergebnis ist das eine. Die wichtigere Frage ist, wie die Institutionen eines Landes funktionieren. Sind die Institutionen, ist die Gewaltenteilung stabil genug, um die erwähnten Errungenschaften dauerhaft zu sichern? Ich denke nicht, dass man Stand heute sagen kann, dass dies in Italien in absehbarer Zeit nicht mehr der Fall ist. Dafür gibt es nach meinem Kenntnisstand keine Anhaltspunkte. Die Justiz scheint beispielsweise sehr gut unabhängig zu funktionieren. Bedenklich finde ich dagegen die Tendenzen in Polen und in Ungarn, wo wir in Polen systemisch eine Schwächung der Justiz haben – was fast schon zu beschönigend ausgedrückt ist –, wo wir in Ungarn klare Verstösse gegen Grund- und Menschenrechte haben und dazu noch klare Aussagen von Amtsträgern, dass man gewisse Grundsätze gar nicht mehr einhalten möchte. 

Wie kann es dazu kommen?

Die Situationen in den verschiedenen Ländern sind ja sehr unterschiedlich. Aber, mir scheint, dass es in Staaten zu Problemen kommen kann, in denen die soziale Kohäsion nachhaltig Schaden nimmt, wo sich zurecht oder zu unrecht zu viele Menschen «abgehängt» fühlen. Persönlich beunruhigt haben mich in diesem Zusammenhang die Wahlen in Frankreich. Im ersten Wahlgang kamen die Rechtspopulistin Marine Le Pen und der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon zusammen auf unglaubliche 45 Prozent Wähleranteil. Das mag etwas mit dieser mangelnden sozialen Kohäsion zu tun haben. Übertragen auf die Schweiz bedeutet dies: Dass wir in jedem Dorf ein Postauto haben, ist eine sinnvolle Investition. In der Schweiz kann man eigentlich leben, wo man möchte, und man hat eine weitgehend ähnliche Versorgungsqualität. 

Wie wichtig die Versorgung der Menschen mit grundlegenden Dienstleistungen ist, wurde im ablaufenden Jahr im Zusammenhang mit der Energiemangellage deutlich. Der Ukraine-Krieg hat unmissverständlich vor Augen geführt, wie gefährlich die Abhängigkeiten von autokratischen Staaten bei den fossilen Energien ist. Zwar dürfte diese Erkenntnis die Förderung nachhaltiger Energien stärken. Dennoch hat beispielsweise Deutschland erst kürzlich einen Flüssiggas-Deal mit Katar geschlossen, wo es mit den Menschenrechten nicht weit her ist.

Die Frage des Handels und der Beziehungen zu autokratischen Staaten muss man differenziert anschauen. Sie ist sehr komplex. Soll man nun mit China Handel treiben oder nicht? Wir tun es, und zwar eher intensiv, und es gibt auch gegenseitige Abhängigkeiten. Ich glaube nicht, dass es zielführend ist, mit einem Staat nicht mehr zu reden, der bestimmte Anforderungen in Sachen Demokratie und Menschenrecht nicht erfüllt. Das wäre auch nicht gut für die Menschen, die in diesem Staat leben. Der Grat ist natürlich schmal: Ab wann macht man sich zum Komplizen? Darüber kann man sich streiten. Sogar in den Zivilgesellschaften der betroffenen Staaten gehen die Meinungen darüber oftmals auseinander.

Im ablaufenden Jahr machten Dürren, Überschwemmungen und neue Hitzerekorde weltweit Schlagzeilen. Auch sie werfen Fragen der Klima- und Generationengerechtigkeit, der Menschenrechte auf. Klimaaktivistinnen und -aktivisten bewarfen 2022 ein Gemälde von Vincent Van Gogh mit Tomatensuppe und blockierten Strassen, indem sie sich am Boden festklebten. Können Sie deren Beweggründe nachvollziehen?

Ich kann nachvollziehen, dass es eine gewisse Frustration gibt über die langsame Entwicklung der Umweltschutz- und Klimaschutzmassnahmen. Allerdings muss man in Bezug auf die erwähnten Aktionen sagen, dass sie klar gegen diverse Rechtsvorschriften verstossen.

Was man auch als zivilen Ungehorsam qualifizieren könnte.

Persönlich zögere ich, diesen Begriff für diese Aktionen zu verwenden. Denn er ist in einem anderen Kontext entstanden und hatte bis anhin immer nur Nachteile für die aktiven Personen selbst, nicht für andere. Meines Erachtens geht es im Fall der genannten Aktionen der Klimaaktivistinnen und -aktivisten um klare Rechtsbrüche: um Nötigung, um Sachbeschädigung, um Hausfriedensbruch. Letztlich geht es beim Klimaschutz ja um die Streitfrage, welche Massnahme wir wann ergreifen und wie wir die Güterabwägung mit anderen Zielsetzungen vornehmen. Dafür gibt es demokratische Verfahren, die in der Schweiz funktionieren. Mit deren Ergebnis mag man unter Umständen zwar nicht einverstanden sein. Aber wenn man jetzt hingeht und einen Klimanotstand fordert und sich über das Recht und demokratische Verfahren setzt, weil es einem zu langsam geht, dann haben wir ein Problem. Denn:

Das würde dazu führen, dass Individuen oder Gruppierungen selber definieren, wie gewisse Güterabwägungen vorzunehmen sind. Salopp ausgedrückt würde das bedeuten: Jedem seinen Notstand.

Dann könnten auch zum Beispiel Personen, die einen «Migrationsnotstand» sehen, weil wir gerade hohe Asylgesuchszahlen und eine hohe illegale Einwanderung verzeichnen, worauf die «Politik» ihrer Meinung nach nicht rasch genug reagiert, zu rechtswidrigen Aktionen schreiten. Das wäre sehr gefährlich für das Funktionieren des demokratischen Rechtsstaats. 

Gab es im Jahr 2022 auch Erfreuliches?

Es sind auch Fortschritte in den letzten Jahren beziehungsweise Jahrzehnten zu verzeichnen. Rein zahlenmässig ist die Welt in den letzten dreissig, vierzig Jahren besser geworden. Zu denken ist an die durch zahlreiche Berichte der Vereinten Nationen belegte Verringerung der Säuglingssterblichkeit oder die deutliche Verbesserung der Gesundheitsversorgung weltweit.

Entgegen allem Anschein gibt es im Übrigen weniger Personen, die in Kriege verwickelt werden.

Auch die technologischen Errungenschaften und Erkenntnisse sind beeindruckend.  

Würden Sie die anhaltenden Demonstrationen im Iran gegen die Unterdrückung der Frauen und von Minderheiten auch als ein positives Ereignis bezeichnen – trotz der Brutalität, mit der die Herrschenden gegen die Protestierenden vorgehen?

Ja, es zeigt, dass die Zivilgesellschaft im Iran lebendig ist. Vor diesen Menschen, die trotz der Gefahren, die ihnen drohen, auf die Strasse gehen, habe ich grösste Hochachtung. Ich möchte aber noch einen anderen positiven Faktor hervorheben: die Wissenschaft. Auch sie hat uns vorangebracht. Ich bin überzeugt, dass die Wissenschaft ein Schlüssel zur Lösung der zukünftigen Herausforderungen ist – sowohl die Natur- als auch die Geistes- und Sozialwissenschaften. Es wäre problematisch, wenn die Schweiz zu grosse Abstriche machen würde. Die Zusammenarbeit mit der EU ist dabei zentral: Stichwort Ausschluss der Schweiz aus dem EU-Forschungsprogramm Horizon Europe. Stabile Beziehungen zur Europäischen Union sind übrigens auch in anderen Bereichen wie beispielsweise der Energie essenziell für die Entwicklung der Schweiz.

Wenn man sich das Jahr 2022 anschaut, könnte man dennoch das Gefühl bekommen, dass die Menschheit angesichts der globalen Gesundheits-, Wirtschafts- und Klimakrisen beginnt, sich gegenseitig zu zerfleischen. 

Das ginge mir zu weit.

Aber wenn man sieht, dass weder unsere Freiheitsrechte noch der demokratische Rechtsstaat, noch unser Wohlstand selbstverständlich sind, sollte man den schleichenden Erosionen, oder ich sag mal der «Verlotterung» der Sitten, in Bezug auf das gesellschaftliche Miteinander aufmerksam begegnen. 

Jede und jeder sollte in ihrem oder seinem Einflussbereich dafür eine Sensibilität entwickeln. Die Universität etwa hat den Anspruch, im Rahmen der Rechtsordnung ein Ort der freien Rede zu sein – egal, welche Ansicht eine Person vertritt. Es kann nicht angehen, dass Menschen wegen des Inhalts ihrer Äusserungen von gewissen Gruppierungen in ihrer Meinungsäusserungsfreiheit beschnitten werden. Gleichzeitig zeugt die öffentlich zur Schau gestellte Geringschätzung der Justiz durch einen Bundesrat, wie dies vor Jahren passiert ist, von einer bemerkenswerten Geringschätzung des für den Rechtsstaat zentralen Grundsatzes der Gewaltenteilung.

Was wünschen Sie sich fürs 2023?

Genau dies. Ein Bewusstsein für die Voraussetzungen, die wir brauchen, um friedlich zusammenleben zu können. Dass wir uns gegenseitig nicht die Köpfe einschlagen, hat ja auch damit zu tun, dass wir in einem Staat leben, der funktionierende Institutionen hat, wo man bei aller Luft nach oben zu seinem Recht kommt, wo man sich einbringen kann. 

Wie gross sind Ihre Hoffnungen diesbezüglich in die heutige Generation?

Ich glaube, dass jede Generation den ihr innewohnenden Beitrag leisten muss. Ganz zentral ist es, dass die jungen Menschen eine Zukunft sehen, dass sie mit einem gewissen Grad an Lebensfreude in die Zukunft blicken und Lust haben, ihr individuelles, aber auch das gesellschaftliche Leben zu gestalten. Dabei hat auch die Universität eine Verantwortung. Ich bin der Meinung, dass man mit gewissen Talenten geboren und ausgestattet wird, die einen dazu verpflichten, etwas aus ihnen zu machen und etwas davon der Gesellschaft zurückzugeben. So kann jeder seinen Baustein beitragen.

Denn den Satz «Ohne Zukunft keine Kinder» kann und sollte man meines Erachtens auch anders sehen: «Ohne Kinder und wache junge Leute keine Zukunft.»

Zur Person

Völker- und Staatsrechtlerin

Die deutsch-schweizerische Rechtswissenschaftlerin Astrid Epiney wurde 1965 geboren. Sie studierte in Mainz und Lausanne. 1994 erlangte sie ihre Habilitation. Im selben Jahr wurde sie assoziierte und 1996 ordentliche Professorin für Völkerrecht, Europarecht und schweizerisches öffentliches Recht an der Universität Freiburg. Seit 1995 ist sie geschäftsführende Direktorin des Instituts für Europarecht. Von 2005 bis 2007 war sie Dekanin der Rechtswissenschaftlichen Fakultät und von 2007 bis 2011 Vize-Rektorin. Seit 2015 amtiert sie als Rektorin der Universität Freiburg. Epiney ist verheiratet und hat zwei Kinder. rsa

 

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