Analoge Insel im digitalen Sturmgewitter

Im letzten Teil der Serie «Mein Schatz» schreibt FN-Online-Reporter Rainer Menning über sein Sonntagmorgen-Ritual.

In dieser hektischen und schnelllebigen Welt ist mein grösster Schatz nichts Materielles, sondern vielmehr ein Moment des Innehaltens, des Stillhaltens, ein Ruhepunkt am Ende einer arbeitsamen Woche. Seit Jahren gehe ich immer am Sonntagmorgen in mein Lieblings-Tea-Room in Murten und nehme mir die Zeit und Musse, um die verschiedenen Sonntagszeitungen zu durchstöbern. Ab neun Uhr mit einem Kaffee und Gipfeli und viel Zeit im Gepäck – das ist mein wahrer Schatz.

Das Rascheln der Zeitungsseiten, die langsam aufkommende Betriebsamkeit im Stedtli, der Duft von Kaffee – alles analoge Empfindungen, die bis anhin noch keine App in dieser Kombination übernehmen konnte. Ausserdem bildet diese Zeitungslektüre einen Fixpunkt in der Woche. Es sind immer in etwa dieselben Leute im Stedtli. Man kennt sich, und es ergeben sich interessante Gespräche im lockeren Rahmen – und manchmal springt auch der eine oder andere Tipp für eine Geschichte ab. Im Lokaljournalismus ist es wichtig, neben dem Verfolgen der offiziellen Mitteilungen der Behörden und Vereine, immer auch den Puls der Bevölkerung zu spüren.

Nicht wenige Male kam es schon vor, dass jemand auf mich zukam und meinte: «Ich habe da etwas, das könnte dich interessieren.» Schon klickt es aus, und ich greife zu Papier und Bleistift – und die grauen Zellen beginnen zu rattern. Nichtsdestotrotz gehört der Sonntagmorgen der Lektüre. Es sind neben den materiellen Werten, die unser Dasein komfortabel machen, auch diese Momente der Musse, die das Leben lebenswert machen.

In Südamerika gibt es das Sprichwort: «No te pueden quitar lo bailado y comido» auf Deutsch, «Was wir gegessen und getanzt haben, kann uns niemand mehr wegnehmen». In diesem Sinne: Hasta luego – bis am Sonntagmorgen.