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«Boykottaufrufe sind kontraproduktiv»

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Autor: Nicole Jegerlehner

Der 42-jährige Andrej N. Lushnycky ist seit vierzehn Jahren Präsident der Ukrainischen Gesellschaft der Schweiz. Als Dozent an der Universität Freiburg organisiert er zusammen mit anderen Interessierten regelmässig Symposien zu Themen rund um die Ukraine. Das diesjährige Symposium steht kurz vor der Fussball-Europameisterschaft (EM) unter dem Titel «From Battlegrounds to Football Fields.»

Freuen Sie sich auf die EM?

Meine Gefühle sind gespalten – aber eigentlich ist die EM Grund zur Freude: Die Infrastrukturen werden erneuert, und Europa wird die Ukraine entdecken.

Kann ein sportliches Grossevent die politische Lage in der Ukraine beeinflussen?

Eigentlich ja: Die EM könnte Öffnung und Transparenz bringen. Nach der Orangen Revolution hatten wir grosse Hoffnungen. Nun könnte die EM zumindest kurzfristig etwas beeinflussen.

Die aktuellen politischen Ereignisse widersprechen dieser Einschätzung.

Ja, das stimmt. Die Inhaftierung von Julia Timoschenko dient sicher nicht der demokratischen Entwicklung. Nun ist die EM für die Europäer ein Erpressungsmittel geworden.

Verstehen Sie den Boykottaufruf einiger Politiker, welche an den Eröffnungsveranstaltungen fehlen wollen?

Diese Boykottaufrufe sind kontraproduktiv. Darunter werden die Leute leiden, die ein B&B aufgebaut, ein Restaurant eingerichtet oder in ein Taxi investiert haben.

Die Politiker werden diesen Leuten nicht fehlen; diese Ukrainer zählen auf die Fans.

Der Boykottaufruf gibt ein falsches Zeichen: Wenn die deutsche Bundeskanzlerin nicht an die EM gehen will, entmutigt das die Leute generell, in die Ukraine zu reisen.

Was sagen die Ukrainer zu den Boykottaufrufen?

Sie sind sehr wütend. Sie haben Mühe, die Politik der EU zu verstehen. Die Ukrainer möchten sich der EU annähern und investieren viel dafür – und nun kommt dieser Boykottaufruf. Das passiert den Ukrainern immer wieder: Sie unternehmen Schritte in Richtung EU – und dann geht die Tür im letzten Moment doch wieder zu. Störend wirkt, dass politische Delegationen mehrerer europäischer Staaten die EM in der Ukraine boykottieren wollen – dass aber viele dieser Politiker trotz Verletzung der Menschenrechte nach China an die Olympischen Spiele gereist sind.

Wie sollen Politiker denn einem Präsidenten wie Wiktor Janukowitsch gegenübertreten? Sollten Sie nicht Stellung nehmen zu seinen Menschenrechtsverletzungen?

Doch. Aber nicht im Rahmen eines Sportereignisses wie der EM.

Was können die EU-Staaten denn tun?

Sie können auf gezielte Art einen konstruktiven Dialog suchen und die junge ukrainische Demokratie kräftigen. Auf politischer Ebene sollte man zu verhandeln versuchen, ohne die Bevölkerung zu benachteiligen.

Die Parlamentarische Gruppe Schweiz-Ukraine hat in einem Brief vorgeschlagen, die Schweiz solle Julia Timoschenko aus humanitären Gründen aufnehmen – ist das ein möglicher Weg?

Ja, das wäre eine Möglichkeit. Allerdings muss man sich von Anfang an überlegen, was die Schweiz machen würde, wenn Timoschenko wieder gesund ist: Sie zurückschicken? Da braucht es einen Plan B.

Sie schauen also nicht sehr zufrieden auf die Ukraine?

Die EM hätte auf verschiedenen Ebenen ein Fest werden sollen – nicht nur sportlich, sondern auch kulturell und im Sinne einer Annäherung an das Nachbarland Polen und an die EU. Nun dreht sich leider alles um Julia Timoschenko.

Sind die neu gebauten Infrastrukturen überdimensioniert – so dass später die Ukrainer dafür bezahlen müssen?

Wir werden in zehn Jahren sehen, ob die Stadien noch benutzt werden. Sicher aber waren viele Investitionen in die Infrastruktur dringend nötig – zum Beispiel in Flughäfen und Strassen. Und diese Investitionen dienen der Bevölkerung und dem Tourismus. Daher glaube ich, dass die EM eine positive Wirkung auf die Bevölkerung haben kann.

Universität Miséricorde, Freiburg. Das englischsprachige Symposium «From Battlegrounds to Football Fields: Poland and Ukraine in the 20th and 21th Centuries» steht allen Interessierten offen. Do., 24. Mai, 17.30 bis 19.30 Uhr: Podiumsgespräch in der Ehrenhalle. Fr., 25. Mai, 9 bis 16.30 Uhr: Vorträge im Raum 3117.

«Die Ukrainer haben Mühe, die Politik der EU zu verstehen», sagt Andrej N. Lushnycky.Bild Corinne Aberhard

Ukrainische Gesellschaft:Vom Feiern zum Politisieren

Die Ukrainische Gesellschaft der Schweiz wurde 1945 gegründet, von Studenten und Flüchtlingen, die während dem Zweiten Weltkrieg in die Schweiz gekommen waren und nun nicht in ihr Heimatland zurückwollten. Heute sind rund 200 Familien als Mitglieder registriert.

Von der Briefzensur…

Lange Zeit diente die Vereinigung vor allem dem Zusammenhalt: Die Ukrainer feierten zusammen traditionelle Feste wie Ostern, fanden sich zum gemeinsamen Essen und konnten wieder einmal ukrainisch sprechen. «Damals war der Kontakt zur Ukraine sehr schwierig», sagt der Präsident der Gesellschaft, der Freiburger Andrej N. Lushnycky. Briefe seien zensuriert worden, Telefonate unmöglich gewesen.

…zu Facebook und Skype

Heute pflegen die Ukrainerinnen und Ukrainer in der Schweiz einen regen Austausch mit ihren Verwandten in der Ukraine – dank Facebook und Skype. «So wird es für sie weniger wichtig, Landsleute zum Austausch zu treffen», sagt Lushnycky. Damit habe sich die Rolle der Vereinigung gewandelt: «Heute sind wir als Repräsentanten der Ukrainer auch Ansprechpartner für Diplomaten und parlamentarische Gruppen.» Die Gesellschaft der Schweiz wolle eine unabhängige Sicht auf die Ereignisse in der Ukraine ermöglichen. «Dabei wollen wir das Beste für die Ukraine und für die Schweiz», sagt Lushnycky.njb

Geschichte

Grösster Staat, der ganz in Europa liegt

Die Ukraine verfügt nach Russland über das flächenmässig zweitgrösste Staatsgebiet in Europa und ist damit der grösste Staat, der ausschliesslich in Europa liegt. Die Ukraine hatte in ihrer wechselvollen Geschichte immer wieder andere Herrscher. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Land Teil der Sowjetunion. 1991 erlangte die Ukraine ihre staatliche Unabhängigkeit. Durch die Orange Revolution setzte sich 2004 der westlich orientierte Präsidentschaftskandidat Wiktor Juschtschenko gegen den von Russland unterstützten Wiktor Janukowitsch durch. Die wichtigsten Protagonisten des orangen Lagers – Juschtschenko und Julia Timoschenko – konnten sich aber nicht auf einen gemeinsamen Weg einigen. 2010 wählten die Ukrainer Wiktor Janukowitsch ins Präsidentenamt. Die ukrainische Regierung strebt den EU-Beitritt an. njb

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