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Das grosse Fressen

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«Esch das aues?», fragt Friedrich Dürrenmatt in bestem Berndeutsch. Er sitzt im Rocher, seinem Lieblingsrestaurant in Neuenburg, wo er ab den 1950er-Jahren wohnte. Vor ihm steht eine Bernerplatte, mit der man eine ganze Fussballmannschaft hätte versorgen können. «Hesch z wenig?», fragt der Kellner verdutzt und bietet ihm noch ein Kotelett als Ergänzung an. Dürrenmatt antwortet lakonisch: «Zwöi Kottelets! De Schwizer isst immer z wenig.»

In der legendären Szene aus einem Fernsehbeitrag über Dürrenmatt von 1981 verdichten sich zwei Kernbestandteile seines literarischen Werks, die auch sein Leben prägten: der Hang zur absurd-grotesken Komik und die Obsession für das Essen und Trinken. Denn auch wenn Dürrenmatt ab seinem 25. Lebensjahr an Diabetes litt und eigentlich minutiös auf seine Ernährung achten musste, inszenierte er sich in der Öffentlichkeit stets als Gourmand. Gern liess er sich in seinem Weinkeller mit einer grotesk grossen Flasche Bordeaux in der Hand ablichten; seiner Familie erzählte er, dass er dereinst in einem Sarg voller Cervelats und Kartoffelsalat begraben werden wolle. Wie essenziell kulinarische Motive für sein Werk als Schriftsteller und bildender Künstler waren, zeigt die aktuelle Ausstellung im Centre Dürrenmatt in Neuenburg. Ausgehend von Texten, Zeichnungen und Gemälden zeigen die Kuratoren, wie gut es der Schriftsteller verstand, das profane Thema spielerisch mit verschiedensten Bedeutungen aufzuladen.

Kannibalismus, Recht und Religion

«Fast jede wichtige Entscheidung wird bei Dürrenmatt während eines Festessens getroffen», sagt Madeleine Betschart, Leiterin des Centre Dürrenmatt. «Mich hat dieser Aspekt seines Werks stets interessiert. In der Forschung wird er kaum behandelt, wir hatten für unsere Ausstellung also viel aufzuarbeiten.» Denn das Essen und Trinken ist bei Dürrenmatt alles andere als ein profanes Motiv: «Er lädt seine Essszenen mit verschiedenster Symbolik auf», erklärt Betschart. Die Kuratoren haben deshalb entschieden, den Fokus auf drei besonders wichtige Motivkomplexe zu richten, die in Dürrenmatts Auseinandersetzung mit dem Kulinarischen besonders wichtig sind: Kannibalismus, Religion und Gerechtigkeit.

Denn der Fundus an Essszenen in Dürrenmatts Werk ist gross: Die verrückten Wissenschaftler im Drama «Die Physiker» (1962) sind ständig mit dem Essen beschäftigt. In «Die Panne» (1956) kreist die ganze Geschichte um ein ausladendes Festmahl, in dessen Verlauf einer der Besucher zum Tode verurteilt wird. Im berühmten Krimi «Der Richter und sein Henker» (1951) überführt Kommissär Bärlach den Mörder während eines opulenten Abendessens. «Die Essszenen beginnen oft heiter und gemütlich und schlagen plötzlich ins Dramatische und Tragische um», erklärt Madeleine Betschart. Ein besonders eindringliches Beispiel für diese Verbindung des Essens mit der für Dürrenmatt typischen abgründigen Komik ist seine frühe Prosaminiatur «Die Wurst» (1943), die die Kuratoren für die Ausstellung wiederentdeckt haben. Darin ermordet ein Metzger seine Frau und verarbeitet sie zu einer gigantischen Wurst. Die Geschichte endet vor Gericht – die Doppelbedeutung des Wortes diente Dürrenmatt immer wieder als Anlass für absurd-komische Geschichten rund ums Essen und die Gerechtigkeit –, und sie endet mindestens so makaber, wie sie begonnen hat.

Die gefrässigen Kritiker

Auch Dürrenmatts Zeichnungen und Gemälde sind geprägt von schwarzhumoriger Komik und satirischen Seitenhieben. In seinem Gemälde «Weihnachtsfest in Rom» (1988) setzt sich der Pfarrerssohn aus dem Emmental mit der Dekadenz der Kirche auseinander. «Dürrenmatt stand in Opposition zum Glauben seines Vaters. Dieser lebte fast wie ein Asket, verwendete während der Messe sogar nur Traubensaft statt Rotwein. Der Hang seines Sohnes zur Üppigkeit lässt sich deshalb auch als Form der Auflehnung interpretieren», sagt Betschart. Noch schlechter kommen bei Dürrenmatt die Theaterkritiker seiner Zeit weg: In einer Karikatur mit dem Titel «Kritiker» von 1968 macht er sie zu gefrässigen, fettbauchigen Kannibalen, denen die Künstler gnadenlos zum Frass vorgeworfen werden.

Doch auch wenn Dürrenmatts künstlerische Auseinandersetzung mit dem Essen und Trinken von Spielfreude und abgründigem Humor geprägt ist, spiegelt sich in den literarischen Fressorgien stets auch das reale Leiden, das übermässige Schlemmereien mit sich brachten. Denn Dürrenmatts Diabetes führte dazu, dass er für jedes Gläschen zu viel und für jeden grösseren Happen mit Anfällen von Müdigkeit und Verstimmung zu bezahlen hatte. Diesen Zustand betrachtete der Jahrhundertschriftsteller laut seinem Biografen Peter Rüedi als geradezu inspirierenden Widerstand, gegen den er als Mensch und Künstler anzukämpfen hatte. Die Krankheit, die er mit seiner Obsession fürs Essen und Trinken stets herausforderte, wurde zu einem Motor für sein künstlerisches Schaffen. In seinem letzten Gespräch mit Rüedi sagte Dürrenmatt 1990 zwei Wochen vor seinem Tod: «Wenn ich keinen Diabetes gehabt hätte, wäre ich an meiner Gesundheit schon längst verreckt.»

Centre Dürrenmatt, Neuenburg. Bis zum 22. März. Mi. bis So. 11 bis 17 Uhr. www.cdn.ch

Dürrenmatts Schauspiel «Die Physiker» ist am 30. Januar bei Theater in Freiburg im Equilibre in Freiburg zu sehen (19.30 Uhr).

«Fast jede wichtige Entscheidung wird bei Dürrenmatt während eines Festessens getroffen.»

Madeleine Betschart

Leiterin des Centre Dürrenmatt

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