Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on print

Der Ausdauersportler vor der Leinwand

Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on print

Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

Der Ausdauersportler vor der Leinwand

Beim Besuch der Filme von Lav Diaz braucht es vor allem eines: Geduld

Mit der Vorführung des Films «Heremias» konnte das Filmfestival Freiburg am Mittwoch mit einer Weltpremiere aufwarten. Der Film gab allerdings weniger wegen seiner Aktualität zu reden als viel mehr wegen seiner Länge: Er dauert volle acht Stunden.

Von URS HAENNI

Wenn eine Sportschau in einem Kurzbeitrag über den 100-Kilometer-Lauf von Biel berichtet, dann tönt das vielleicht so: «Ein grosses Startfeld hat abends die Strecke von und nach Biel unter die Beine genommen. Bereits nach 15 Kilometern bildete sich eine Spitzengruppe, von der mit Fortdauer des Rennens immer mehr Läufer abfielen. Bei Kilometer 70 kamen nur noch zwei Läufer für den Sieg in Frage. Mit einer letzten Temposteigerung vermochte sich Läufer A kurz vor dem Ziel entscheidend zu distanzieren und gewann den Lauf in Rekordzeit.»

Resümiert man den Film «Heremias» in einer Filmkritik, so tut man dies vielleicht so: «Mit einer Gruppe Hausierern muss Heremias wegen eines Taifuns sein Heimatdorf verlassen. Er setzt sich von der Gruppe ab und findet während des Sturms in einem leer stehenden Gebäude Unterschlupf. Während Heremias schläft, werden ihm seine Kuh und die Handelswaren gestohlen. Er macht sich selber auf die Suche nach dem Dieb. Dabei vernimmt er, dass eine junge Frau entführt und getötet werden soll. Von der korrupten Polizei und vom Pfarrer bekommt er keine Hilfe, weil einer der Entführer der Sohn eines Kongressabgeordneten ist.»

Was sind schon Monumentalfilme?

Weder die Berichterstattung über den 100-Kilometer-Lauf noch die Zusammenfassung über «Heremias» werden der tatsächlichen Ausdauerleistung beider Anlässe gerecht.

In der Sportschau erfährt man nichts über die Anspannung vor dem Start, die immer saurer werdenden Beine, den steten Blick auf den nie enden wollenden Asphalt, über die Tausenden von Läuferbeinen, über Hungerraste, wundgescheuerte Oberschenkel und die verlorenen Liter Schweiss. Über den Kampf im Kopf gegen das Aufgeben.

Eine durchaus vergleichbare Ausdauerleistung vollbrachte das rund 50-köpfige Publikum, das sich am Mittwoch im Rex 2 in Freiburg «Heremias» zu Gemüte führte. Monumentalwerke aus der Kinogeschichte mögen sich zwischen dreieinhalb und vier Stunden bewegen. «Ghandi», «Ben Hur», «Vom Winde verweht» oder «Der längste Tag» vermögen dabei wohl Oscars abzuräumen, aber der ganz grosse Erfolg beim breiten Publikum bleibt diesen Filmen wegen der Länge oft versagt. Amerikanische Verleiher muten ihrem Publikum meist nur eine gekürzte Version zu. Doch selbst diese Monumentalwerke sind bezüglich Länge gerade mal ein hundskommuner Marathon gegenüber den «100 Kilometern des Heremias».

Bis die Ochsenkarren passieren

Betritt man den Kinosaal, so hört man ein anerkennendes «Ah, du schaust diesen Film?» oder «Tu as choisi le truc de huit heures?». Bald schon folgt die Frage, ob man wirklich während des ganzen Films im Saal bleibt. Bloss zwei Pausen sind vorgesehen. «Stehe ich das durch?», fragt sich manch einer im Bewusstsein, dass wohl keiner der Besucher je einen so langen Kinofilm geschaut hat.

Regisseur Lav Diaz gibt gleich zu Beginn den Tarif bekannt. Er eröffnet mit einer starren Kameraeinstellung auf eine Strasse, auf der sich kleine Punkte langsam zu einer sichtbaren Ochsenwagen-Karawane entwickeln, die sich in Echtzeit während vielleicht fünf Minuten auf dem Asphalt vor dem Kameramann vorbeischleppt.

Das Tempo ist gegeben. Einen 100-Kilometer-Lauf startet man mit einem sehr gemächlichen Schritt, und genauso muss sich der Filmbesucher erst an einen sehr langsamen Filmrhythmus gewöhnen. Diese Phase des Einlaufens ist nicht ganz einfach. Während beim Ausdauerlauf die Beine gezügelt werden müssen, müssen bei «Heremias» erst einmal die Augen von der Hektik der Perolles-Allee heruntergetunt werden.

Kampf gegen das Aufgeben

Mit der Zeit erhöht Lav Diaz die Kadenz. Dialoge fliessen ein, nach einer Stunde hat man erstmals den Eindruck, dass der Film in Bewegung kommt. Plötzlich das Gefühl: Man hat sich an den langsamen Schritt, pardon Schnitt, gewöhnt. Wird sich bewusst, dass man nun das Tempo von Diaz mitgeht. Stellt mit gewissem Stolz fest, dass der eine oder andere aus dem Saal das Rennen bereits aufgegeben hat. Plötzlich hat der Zuschauer ein Auge für die Umgebung. Beim Ausdauerlauf verfliessen Dutzende Kilometer, bei «Heremias» die ersten paar Stunden.

Beim Bieler Hunderter lässt einen der Asphalt vor den Laufschuhen genauso wenig los, wie bei Lav Diaz die ständig wiederkehrende Einstellung über einen Asphalt-, Schotter- oder Morastweg. Zwei Formen von Road Movies. Doch plötzlich bildet sich aus der Person von Heremias ein Charakter heraus, bekommt die philippinische Gesellschaft ein Gesicht, erkennt man eine Handlung und ein soziales Porträt.

Der Langstreckenläufer lernt je länger, je mehr die Schwere der Einsamkeit kennen. Genau so für sich allein, im Kampf gegen das Aufgeben, findet man Heremias und sein Publikum. Wenn er den Dieben seiner Handelsware auflauert, so zieht sich das weit länger als eine Stunde in einer Waldszene dahin. Heremias und der Zuschauer lauschen Dialogen, die zu nichts führen. Doch man merkt, dass dies viel mehr mit der Realität zu tun hat, als wenn in einem Anderthalb-Stunden-Streifen ein Ganove innert weniger Minuten geschnappt wird.

Schmerzhafte Längen

Von einem Ausdauerlauf sagt man, dass nach etwa vier Fünfteln der Strecke am meisten gelitten wird. Im Film von Lav Diaz entspricht dies nach sechs Stunden einer einstündigen Sequenz, in der die Kamera mit einer einzigen Einstellung einem Alkohol- und Drogentrip von vier perspektivlosen Jugendlichen zuschaut. Erst durch die Länge dieser Sequenz wird dieser Trip so richtig schmerzhaft und zugleich realistisch.

Gegen Ende nimmt das Tempo des Films noch einmal zu. Endspurt sozusagen. Heremias findet keine Unterstützung im Kampf gegen das Unrecht und fleht Gott um Hilfe an. Er opfert sich auf und beschliesst vierzig Tage lang nur noch zu laufen. Ganz so arg war es dann weder für das Publikum im Kinosaal noch für einen 100-Kilometer-Läufer. Und selbst Regisseur Lav Diaz lässt Heremias diesen langen Weg alleine gehen.

Hektik bis zum Schluss

Was bezweckt ein Regisseur mit einer Länge von acht Stunden? «Nur so bin ich ehrlich gegenüber mir selber und der philippinischen Kultur», sagt Lav Diaz. «Und es ist auch eine Art Antwort auf Hollywood.» Er fügt hinzu, dass er eigentlich 28 Stunden Filmmaterial gedreht hat.

Auf den Philippinen, da gilt nur der Tag etwas, nicht aber Stunden oder Minuten. Wie muss Lav Diaz gelitten haben, als es bis zum Start der Vorführung von «Heremias» um Minuten, ja fast gar um Sekunden ging.
Der künstlerische Direktor des Filmfestivals, Martial Knaebel, hatte um Weihnachten drei Stunden vom Film gesehen und Diaz gesagt, er müsse den Film unbedingt auf das Freiburger Festival hin beenden. Der Regisseur arbeitete Tag und Nacht, vollendete den Film und schickte ihn vor drei Wochen per Kurier aus den politisch geschüttelten Philippinen nach Freiburg. Doch als der Filmemacher am Dienstag in Freiburg ankam, war der Film noch nicht da.

Diaz hatte aber Kopien einer unvollendeten Fassung dabei, die man stattdessen dem Publikum zeigen wollte. Am Morgen

Meistgelesen

Mehr zum Thema