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Die Entzauberung der virtuellen Realität

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In Zeiten der Corona-Pandemie haben viele Menschen mehr Zeit als üblich. Der Alltag wird dadurch entschleunigt.

Sascha Bischof, wie definieren Sie Entschleunigung?

Ich sehe die Entschleunigung, die wir jetzt erleben, als eine Entzauberung der virtuellen Realität durch die Biologie. Wir stehen im Bann der immer rascheren Rechenleistung der Computer, welche uns sogar glauben macht, den Menschen demnächst ersetzen zu können. So haben wir, um Husserl zu zitieren, für die Realität gehalten, was eigentlich nur eine Methode war. Die nackte Biologie, die Verletzlichkeit unseres Körpers, hat diesen Idealismus radikal ausgebremst. Wir müssen wieder lernen, dass der lebendige Körper seine eigene Zeitlichkeit beansprucht: Es braucht Zeit, um einen Impfstoff zu entwickeln und zu produzieren, Probanden zu gewinnen, Laborergebnisse abzuwarten. In den Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus sehen wir uns zurückgeworfen auf ein elementares naturwissenschaftliches «Trial-and-Error», dessen Gedeih und Verderb oft dem Zufall, der wissenschaftlichen Kühnheit und nicht beliebig zu beschleunigenden biologischen Prozessen überantwortet bleibt.

Ist das Konzept der Entschleunigung in der Philosophie verankert?

Philosophie war und ist eigentlich immer Entschleunigung. Sokrates hat immer gefordert, sich Zeit zu nehmen, um vermeintliche Gewissheiten zu hinterfragen und nach den Gründen für unsere Überzeugungen zu suchen. Sehr schön hat Hegel die Aufgabe der Philosophie beschrieben: Wie eine Eule setzt sie erst in der Dämmerung zum Flug an. Nachdem die Ereignisse des Tages vorüber sind, versucht sie zu verstehen, was geschehen ist.

Kommt die Corona-Krise unserem grossen Bedürfnis nach Entschleunigung nach?

In unserer Gesellschaft wird der Einzelne bis aufs Letzte gefordert. Er muss sogar noch seine Kreativität, Originalität und Einzigartigkeit zu Markte tragen. Das hat ja auch mit dem Homeoffice nicht ganz aufgehört, womit noch unser privates Zuhause zu einer Wirtschaftszone wird. Zudem bin ich derzeit auf meine vier Wände und die nähere Umgebung beschränkt. Meine Welt ist viel kleiner geworden. Dies gleicht eher einer klösterlichen Askese als einer Entschleunigung.

Wie stehen Sie zur verbreiteten Meinung, die Gesellschaft habe sich in den letzten Jahren oder gar Jahrzehnten unweigerlich auf einen solchen Lockdown zubewegt?

Ich glaube nicht an vorbestimmte Geschichtsprozesse. Ich sehe den Lockdown als ein einzigartiges Ereignis. Kaum jemand hätte geglaubt, dass man zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung von heute auf morgen alle Verkehrs- und Wirtschaftsprozesse, welche man uns stets als eine quasi natürliche Notwendigkeit verkauft hat, herunterfahren könnte.

Wie erleben Sie die aktuelle Situation als Lehrperson?

In meinem Fach ist die Diskussion entscheidend. Diskussionen in Videokonferenzen oder Chats sind immer durch erhebliche Einschränkungen der Programme gerahmt. Wichtige Elemente wie Spontanität, Zwischentöne, Humor, Räumlichkeit und Körperlichkeit muss man schmerzlich vermissen. Sie sind für eine wirkliche Diskussion unabdingbar, wo es, wie Sokrates einmal sagte, nicht nur um die Prüfung einer Sache geht, sondern um das wahre Ich und Du; um die Prüfung meiner und deiner wirklichen Überzeugung. Dafür sind die Neuen Medien zu wenig entschleunigt.

Was geniessen Sie persönlich an dieser Entschleunigung?

In den letzten Jahren haben die Tulpen in unserem Garten immer dann geblüht, wenn wir in den Ferien waren. Jetzt habe ich lange Zeit, ihnen beim Blühen zuzusehen.

Umfrage

Social Distancing und Entschleunigung

Rund 50 junge Freiburgerinnen und Freiburger nahmen an der Umfrage des Typisch-Jung-Teams teil. Fast die Hälfte meint, dass die Entschleunigung durch die Corona-Krise einen positiven Einfluss auf sie ausübt: Der Ausnahmezustand ermöglicht ihnen, «mal runterzukommen», schenkt ihnen mehr Freiheit und erfüllt sie mit Motivation. Ein Viertel aber nimmt ihn gleichgültig auf. Und das restliche Viertel fühlt sich die meiste Zeit desorientiert oder betrübt. Mensch hat ironischerweise weniger Zeit; und der Mangel an Menschenkontakt bedrückt.

Wie eine Person sagt, sind ihre Gefühle gemischt. Die Stimmung kann sich auch wandeln: «Nach vier Wochen ist der Elan, den ich anfangs verspürt habe, schon verblasst. Der Alltag wird immer mühsamer, obwohl man objektiv weniger zu tun hat.» Jemand anderes ist oft sehr motiviert, Neues anzupacken, aber wenn er keinen Pflichten nachgehen muss, kommt er sich sinnlos vor. Vier von sechs Jungen, die unter einer psychischen Krankheit leiden, haben auch eine Auswirkung auf ihre Gesundheit gespürt. Zwei antworten, dass sie durch weniger Stress eine Besserung spürten. Jedoch musste sich eine Person wegen einer depressiven Verstimmung krankschreiben lassen.»

Eher Beschleunigung?

Zur Frage, wie produktiv sie im Vergleich zu früher sind, waren die Antworten sehr ausgeglichen. Ein Drittel fühlt sich produktiver und konzentrierter, für ein Drittel ist die Produktivität gleichgeblieben, und das letzte Drittel leistet weniger. Eine Person ergänzt: «Es benötigt definitiv mehr Überwindung». Jemand antwortet auch, dass sie mehr zu tun habe. «So ganz von Entschleunigung kann man meiner Meinung nach in der Per­spektive des Fernstudiums nicht sprechen.»

Trotz allem haben etwa 70 Prozent Zeit, alte Hobbys aufzugreifen oder neue zu entwickeln. Viele finden Zeit für persönliche Projekte, ob musikalisch, gestalterisch oder sportlich. Etwa 55 Prozent teilen ihre Zeit in Hobbys und Arbeit oder Schule ein. Jedoch vernachlässigen sieben Personen ihre berufliche oder schulische Tätigkeit, während sechs Personen sich nur darauf fokussieren. Und drei Leute machen gar nichts mehr.

Sollte dies der Standard in unserer Gesellschaft werden? 53 Prozent antworten mit Ja, aber nur teilweise. Eine klare Sicht gibt es: Eine tendenzielle Entschleunigung kann die Bevölkerung zufriedener machen. Eine Person meint: «Ich merke, dass ich auch glücklich sein kann, wenn ich nicht viel um die Ohren habe, nicht immer jedes Konzert und jede Veranstaltung besuchen muss.» Auch soll die Gesellschaft die Präsenzpflicht an der Hochschule oder die Anzahl Arbeitsstunden hinterfragen. Arbeitgeberinnen und Schulen sollen dafür sorgen, dass Menschen mehr Zeit bekommen, ihren Hobbys nachzugehen oder wenigstens öfter die Möglichkeit bekommen, von zu Hause zu arbeiten oder die Zeit selbst einteilen zu können. Die Schattenseite dieses Lockdowns verdeutlicht, dass der Mensch ein soziales Tier ist. Durch Homeoffice oder Online-Unterricht vereinsamt der Mensch. Eins ist klar: Wir bleiben jetzt zu Hause und kommen runter. Aber nach dieser Krise wird sozialisiert!

Brigitte Gong

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