Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on print

Die Tablette ersetzt das Gespräch

Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on print

Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

Der Vater* sagt es klar: «Als deutschsprachiger Psychiatriepatient ist man im Kanton Freiburg a priori ein so schlimmer Fall, dass man in der psychiatrischen Klinik Marsens auf die geschlossene Abteilung Axis kommt.»

Sein heute zwanzigjähriger Sohn* ist seit 2009 in psychiatrischer Behandlung; er war auch mehrmals im stationären Behandlungszentrum in Marsens. «Für die französischsprachigen Patienten gibt es dort verschiedene Abteilungen», sagt der Vater. «Die Deutschsprachigen kommen alle in die geschlossene Abteilung.» Diese Abteilung–die als Notfallstation gedacht ist–biete keine Therapie an. «Dort gibt es nur Medikamente.» Er habe seinen Sohn auf Spaziergängen stützen müssen, weil er so voller Medikamente gewesen und deshalb fast gefallen sei. «Er war sediert.»

Die Eltern kritisieren, dass deutschsprachige Patientinnen und Patienten in Marsens keinen Zugang zum Therapie-Angebot erhalten. Dies deshalb, weil es in Marsens an deutschsprachigem Personal mangelt. So fehlte auch ihrem Sohn eine deutschsprachige Kontaktperson. «Er hatte grosse Ängste und das Bedürfnis, darüber zu sprechen–doch es war niemand da, der Deutsch sprach. Er erhielt stattdessen eine Tablette», erzählt der Vater. Die Mutter* fügt an: «Psychisch Kranke sind sehr sensibel; es ist in dieser Situation sehr schlimm, nicht kommunizieren zu können.»

Die Eltern kritisieren allgemein die Zustände auf der Abteilung Axis in Marsens. «Es ist bekannt, dass psychisch Kranke ihre Körperhygiene vernachlässigen», sagt der Vater. Doch habe sich niemand darum gekümmert. «Bei Besuchen habe ich meinem Sohn die Haare gewaschen, sonst machte das niemand.» Auch die Bettwäsche sei nicht regelmässig gewechselt worden.

Keine Tagesstruktur

Die Mutter stört, dass auf Axis keine geregelte Tagesstruktur besteht. «Niemand hat unseren Sohn für das Frühstück geweckt.» Er habe in den Tag hinein geschlafen und sei dann nachts wach gelegen. «Da erhielt er wieder Medikamente, um schlafen zu können.» Auch für die raren Aktivitäten sei er nicht geweckt worden. «Dabei ist eine Tagesstruktur in solchen Phasen wichtig.»

Die Eltern fühlten sich als Angehörige nicht ernst genommen. «Wir waren Störenfriede.» In bernischen Kliniken erlebten sie das anders. «Dort wurden wir in die Behandlung einbezogen und über alles aufgeklärt–schliesslich sind wir nach dem Klinikaufenthalt wieder da für unseren Sohn.» In Marsens sei jedoch kein solches Bewusstsein vorhanden.

Als die beiden einzi- gen deutschsprachigen Ärzte gleichzeitig in den Ferien waren, spitzte sich die Lage des jungen Patienten zu. Er kam in das Isolationszimmer. «Er war während drei Wochen eingesperrt», sagt die Mutter. «Niemand ging mit ihm an die frische Luft.» Zudem habe er zu viele Medikamente erhalten, «einen richtigen Cocktail». Ihr Sohn erkrankte an einerLungenentzündung und musste in ein Spital auf eine Intensivstation überwiesen werden. Die Mutter ist überzeugt: «Ungenügende Bewegung, mangelnde Frischluft und die Medikamente haben zur Erkrankung geführt.»

Die Aufsichtsbeschwerde

Ende September haben die Eltern im Namen ihres Sohnes eine Aufsichtsbeschwerde gegen die psychiatrische Klinik Marsens eingereicht. Sie kritisieren darin die «unhaltbaren Mängel in Betreuung, Pflege und Behandlung». Sie bitten darum, dass ihr Sohn künftig anderswo eine Betreuung und Behandlung in einem deutschsprachigen Umfeld erhält: «Unser Sohn und auch wir Eltern haben jegliches Vertrauen in die psychiatrische Klinik Marsens verloren.» Noch steht die Antwort aus.

Die Eltern springen ein

Der junge Mann durchlebt zurzeit eine schwere Krise. Für die bernische therapeutische Wohngemeinschaft, in der er lebt, ist er schwer tragbar. Die Eltern haben ihn zeitweise nach Hause geholt. Der Kantonsarzt hat eine Kostengutsprache für einen Aufenthalt in einer Klinik im Kanton Bern erstellt. Das nützt dem psychisch kranken Mann und seinen Eltern jedoch nichts: Die öffentlichen Kliniken haben sie abgewiesen, die Privatklinik Meiringen hat für allgemein versicherte Patienten eine Wartefrist von vier bis sechs Wochen. «In der Zwischenzeit springen wir Eltern als ‹psychiatrische Notfallstation› ein»,sagt der Vater. «Dies hat aber seine Grenzen.» Zur Belastung, dass der Sohn schwer krank sei, «kommt die Belastung durch diese Ausweglosigkeit hinzu».

*) Die Namen sind der Redaktion bekannt.GesundheitsdirektorinAnne-Claude Demierre nimmt morgen Stellung.

«Unser Sohn und wir Eltern haben jegliches Vertrauen in die psychiatrische Klinik Marsens verloren.»

Vater eines Psychiatrie-Patienten

Tagebuch: «Ich gehe in jedes Spital, nur nicht nach Marsens»

E ine schwerstdepressive Frau hat in einem Tagebuch festgehalten, wie sie ihren Aufenthalt auf der geschlossenen Abteilung Axis der psychiatrischen Klinik Marsens erlebt hat. Sie hat selber als Pflegefachperson gearbeitet. «Biografie, Qualitätsmanagement, Bezugspersonensystem, Therapien, Aktivitäten, Spaziergänge, gemeinsame Zvieri, das sind fremde Wörter hier», schreibt sie nach einer Woche. «Hier findet nichts statt. Nur Essen und Schlafen.»

Im Pflegeteam versteht fast niemand Deutsch. «Sobald ich den Mund aufmache, drehen sie sich um und sagen auf Französisch ‹Ich kann nicht Deutsch›.» Sie habe es mit Körpersprache versucht, doch seien die Pflegenden auch darauf nicht eingegangen. «Ich grüsse trotzdem alle freundlich, aber ich erhalte meine Medikamente ohne Blickkontakt, ohne ein Wort.»

Laut Tagebucheintrag sind auf der Abteilung Axis al- le schriftlichen Informationen nur auf Französisch erhältlich. Auch die Öffnungszeiten der Teeküche sind nur auf Französisch angeschlagen.

Der Patientin war in Marsens auch aus hygienischen Gründen nicht wohl. Um sich zu beruhigen, nimmt sie oft Bäder. Doch fand sie die Badewanne oft schmutzig vor. Fragte sie nach Putz- und Desinfektionsmittel, wusste niemand, wo solches zu finden war.

«Kein Desinfektionsmittel»

«Ich möchte meine Bettwäsche jede Woche wechseln», schreibt die Frau weiter. Also fragt sie einen Pflegefachmann nach frischer Wäsche. Doch sie erhält keine. Die Patientin stört sich am Dreck auf der Abteilung: «Überall liegen Plastikbecher, im WC hat es Urinspuren und Handpapier auf dem Boden.» Nirgends gebe es Desinfektionsmittel. «Noch nie habe ich von einem Spital gehört, in dem es kein Desinfektionsmittel gibt.»

Als die Frau der Nachtwache von ihren Kopfschmerzen und ihrer massiven Schlaflosigkeit sowie den erfolglosen Therapieversuchen erzählt, zuckt dieser nur mit den Schultern. «Ohne ein Wort ging er weg. Kein einziges Wort, kein Kommentar, nichts. Ich merke, ich störe ihn.» Auch sonst stellt sie immer wieder fest: «Es fragt mich niemand nach meinem Befinden.»

Die Patientin entscheidet sich, bei der Kommission für die Aufsicht über die Berufe des Gesundheitswesens und die Wahrung der Patientenrechte eine Beschwerde einzureichen. Und da ändert sich einiges: «Plötzlich sprechen viele Deutsch.» Eine Pflegefachfrau bietet an, die Wanne zu reinigen, damit die Patientin ein Bad nehmen kann. Und der Arzt bietet ihr an, sie morgen zu entlassen, wenn sie ihre Klage zurückzieht. Was sie nicht tut: Sie liest der Kommission aus ihrem Tagebuch vor.

Nach ihrer Entlassung schreibt die Frau: «Ich gehe in jedes Spital, nur nicht nach Marsens.» njb

Ärzte: «Es ist absurd, in dieser Situation eine Fremdsprache benutzen zu müssen»

D ie meisten Patientinnen und Patienten von Ernst Hülsmann sprechen «nur Tourismus-Französisch», wie der Psychiater aus Düdingen sagt. «Schon in gesunder Verfassung ist ihnen nicht wohl, müssen sie Französisch sprechen.» Wer an einer psychischen Krankheit leidet, wird von Angst und Depressionen geplagt. «Ein typisches Symptom ist es, sich in einer akuten Phase zurückzuziehen», sagt Hülsmann. «Die Patienten haben Mühe, sich auszudrücken.» Oft sagten sie, sie könnten nicht genau erklären, wie es ihnen gehe. «Es ist eine absurde Anforderung, in dieser Situation eine Fremdsprache benutzen zu müssen.»

Doch ist genau dies der Fall: Auch deutschsprachige Psychiatrie-Patienten werden in Marsens betreut. Im einzigen stationären Behandlungszentrum des Kantons mangelt es jedoch an Pflegepersonal und Ärzten, die Deutsch sprechen. Marsens hat verschiedene Abteilungen. Deutschsprachige kommen auf die geschlossene Abteilung Axis – weil es die einzige ist, auf der einige Personen des Pflegepersonals Deutsch sprechen. Axis ist für Notfälle gedacht. Eine Psychotherapie wird nicht angeboten. Trotzdem bleiben die Deutsch sprachigen auch nach einer Akutphase dort.

«Deutschsprachige Patientinnen und Patienten fühlen sich mit Recht unverstanden in Marsens», sagt Hülsmann, der selber bis vor fünf Jahren in der psychiatrischen Klinik gearbeitet hat. «Deutschsprachige werden in Marsens verwaltet – es ist unmöglich, auf sie einzugehen.»

«Ein Schandfleck»

Daran stört sich auch der Düdinger Arzt Franz Engel. «Marsens hatte zwanzig Jahre lang Zeit, eine deutschsprachige Abteilung oder eine zweisprachige Kultur aufzubauen», sagt Engel. Dies sei aber nicht gelungen, so dass Marsens «ein Schandfleck für unseren zweisprachigen Kanton ist».

Engel und Hülsmann versuchen so oft wie möglich, ihre Patientinnen und Patienten in den Kanton Bern zu schicken. Dazu ist eine Kostengutsprache der Gesundheitsdirektion nötig, die auch meist gesprochen wird. Doch scheitert ein Transfer in eine bernische Psychiatrie-Klinik meist daran, dass diese ihre wenigen freien Betten für Patienten aus dem eigenen Kanton freihalten. Privatversicherte hingegen finden Aufnahme in den Berner Privatkliniken.

«Keine 30 Kilometer weg von uns ist die Waldau, und wir müssen unsere Patienten nach Marsens schicken, das sie naturgemäss nicht versorgen kann», sagt Hülsmann. Er und Engel wünschen sich eine psychiatrische Klinik in Deutschfreiburg. Und als Übergangslösung eine Zusammenarbeit mit dem Kanton Bern mit fixen Betten, die für Freiburger Psychiatrie-Patienten vorgesehen sind. «Für die Behandlung seelischer Leiden braucht es die Sprache», sagt Hülsmann. njb

Meistgelesen

Mehr zum Thema