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Eine Pädagogin warnt: «Wir erziehen lauter kleine Tyrannen»

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Die Pädagogin Rita Messmer schlägt Alarm. Mit den aktuellen Erziehungsmethoden würde die Gesellschaft lauter Prinzen und Prinzessinnen produzieren. Sie ist überzeugt: Eltern haben die Führung abgegeben, und das hat weitreichende Konsequenzen.

Es ist ein ruhiger Morgen am Murtensee. In einer lauschigen Ecke ihres Gartens in Faoug – nur wenige Meter entfernt von der Kantonsgrenze zwischen Freiburg und Waadt – hat sich die bekannte Pädagogin Rita Messmer ein gemütliches Plätzchen eingerichtet. Umgeben von Blumen und Sträuchern könnte die Stimmung friedlicher kaum sein. Aber der Eindruck täuscht: Die 68-Jährige ist besorgt. Die sogenannte bedürfnisorientierte Erziehung (siehe Kasten) werde von immer mehr Eltern praktiziert und «völlig falsch verstanden». Darum gebe es immer mehr verhaltensauffällige Kinder mit einem gestörten Sozialverhalten.

Zahlen und Fakten

Was ist bedürfnisorientierte Erziehung?

Die bedürfnisorientierte Erziehung wird auch oft «Attachment Parenting» genannt. Es geht bei dieser Form der Erziehung darum, wie sich die Bindung zwischen Mutter oder Vater und Kind kontinuierlich fördern lässt. Es wird viel Wert darauf gelegt, dass sich die Mutter viel Zeit für das Kind nimmt, mit viel körperlicher Nähe auf dieses reagiert und jedes seiner Signale wahrnimmt. Wie bei jeder anderen Erziehungsmethode scheiden sich auch hier die Geister über Sinn oder Unsinn, und es gibt seit vielen Jahren klare Gegner und Befürworter dieser Methode. san

Rita Messmer beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit Themen wie Erziehung und frühkindliche Entwicklung.
Sarah Neuhaus

Rita Messmer, was genau machen Eltern denn heutzutage falsch?

Sie haben die Führung abgegeben. In vielen Familien dreht sich alles nur noch um die Kinder. Der Nachwuchs steht im Zentrum und gibt den Takt vor. Dieses Verhalten widerspricht nicht nur allen biologischen Prinzipien – es fördert asoziales Verhalten. Wir erziehen auf diese Weise lauter kleine Tyrannen.

Das liegt daran, dass immer mehr Eltern die sogenannte bedürfnisorientierte Erziehung anwenden?

Es liegt daran, dass viele diese Art der Erziehung falsch verstanden haben. Leider werden diese Missverständnisse in gewissen Büchern und Ratgebern auch noch propagiert. Die Bedürfnisse des Kindes sind wichtig. Aber das allergrösste und wichtigste Bedürfnis eines Babys ist es, geführt zu werden. Babys und Kleinkinder verfügen über den biologisch angelegten Nachfolgewillen. Dieser Wille ist in jedem Baby vorhanden und will stimuliert werden. Ab einem gewissen Zeitpunkt muss sich das Baby nach den Eltern richten. Es darf nicht sein, dass wir unseren Kindern ständig hinterherlaufen. Denn so zeigen wir den Kindern, dass wir für sie verantwortlich sind und wir uns ständig nach ihnen richten.

Wann kommt dieser Zeitpunkt?

Während der ersten drei Lebensmonaten ist ein Baby biochemisch komplett von innen her gesteuert und sendet Signale aus. In dieser Zeit ist es wichtig, dass die Eltern richtig auf diese Signale reagieren. Etwa wenn das Baby Hunger hat, müde ist oder unsicher. Gelingt es den Eltern in den meisten Fällen, die biologisch richtige Antwort auf die Signale des Babys zu geben, entsteht eine sichere Bindung. Dann, ab etwa drei Monaten, fängt das Baby an, Signale nicht nur zu senden, sondern auch zu empfangen. Erst jetzt realisiert das Kind überhaupt, dass es ein von der Mutter getrenntes Lebewesen ist. Das Baby beobachtet jetzt, was seine Eltern machen. Das ist der erste Schritt auf seinem Weg zum sozialen Wesen und zur Empathie. Wenn dieser Schritt verpasst wird, hat das enorme Konsequenzen. 

Vernetzungen, die jetzt im Hirn des Kindes gemacht werden, können später nicht ohne weiteres nachgeholt werden.

Was heisst das konkret?

Das heisst, dass ein Baby bereits ab dem dritten Lebensmonat lernt, dass es ein soziales Wesen ist. Sobald das Kind etwa neun Monate alt ist und mobil wird, ist es biologisch gesehen überlebenswichtig, dass es Informationen aus seinem Umfeld aufnimmt und sich entsprechend verhält. Das Baby empfängt Signale, und die Eltern senden sie.

Laut Ihnen passiert das aber heute nicht mehr unbedingt?

Genau – ich beobachte es in meiner Praxis immer häufiger: Eltern richten ihr ganzes Leben auf ihre Kinder aus. Das ist fatal. Denn so lernt das Baby: Das Leben richtet sich nach mir. Es ist nicht wichtig, dass ich auf andere Rücksicht nehme. Und sobald sich die Umwelt einmal nicht nach dem Kind richtet, ist es völlig verunsichert und schreit wortwörtlich um sein Leben. Es versteht nicht, was passiert. Für so ein Kind geht dann die Welt unter, wenn es nicht das bekommt, was es will.

Welche Rolle spielt hier die bedürfnisorientierte Erziehung?

Viele junge Eltern richten sich nach Büchern wie «Artgerecht» von der deutschen Journalistin und Politologin Nicola Schmidt. Sie hat selber zwei Kinder, aber keinerlei pädagogische Grundbildung. Das merkt man leider. Viele korrekte Grundsätze hat sie von mir und anderen Pädagogen übernommen und dann aber falsch interpretiert. So ist es schön und wichtig, wenn man stillt oder sein Baby oft im Tragetuch trägt – aber auch, wenn man das nicht tut, entwickelt sich ein Kind wunderbar. Sein wichtigstes Bedürfnis ist, geführt zu werden, und damit die Integration in das soziale System, in das es geboren wurde. Das geht bei diesen Ratgebern völlig vergessen.

Ich habe den Eindruck, dass viele junge Eltern in erster Linie verunsichert sind – möglicherweise auch, weil es heute so viele, so einfach zugängliche Tipps rund um die Erziehung gibt. Wäre es nicht besser, einfach auf die eigenen Instinkte zu hören?

Ich befürchte nicht. Unsere Instinkte sind mittlerweile von Prägungen beeinflusst. Wie ich aufgewachsen bin, wird auch das Aufwachsen meiner Kinder prägen. Das erkennt man gut, wenn man in die Geschichte der Pädagogik schaut. Es gab die schwarze Pädagogik im 19. Jahrhundert, die den Willen des Kindes brechen wollte. Darauf folgte die autoritäre Erziehung, mit vielen Strafen und klaren Regeln. Dann begann das grosse Umdenken. Es folgte die Reformpädagogik – zum ersten Mal wurde der Wille des Kindes in die Erziehung miteinbezogen. Dann kamen die Strömungen der kumpelhaften Erziehung, die anti-autoritäre Erziehung, und jetzt sind wir bei der bedürfnisorientierten Erziehung angelangt.

Laut Rita Messmer haben sich gewisse moderne Erziehungsformen weit von unserem biologischen Entwicklungsplan entfernt.
Sarah Neuhaus

Aber dann ist doch alles halb so wild – es wird immer neue Theorien geben und neue Vorstellungen einer guten Erziehung.

Nein, so ist es leider nicht. Unter der autoritären Erziehung haben die Kinder gelitten. Jetzt leiden die Kinder, die Eltern und die ganze Gesellschaft. Mit der aktuellen Interpretation der bedürfnisorientierten Erziehung haben sich die Machtverhältnisse zum ersten Mal komplett verschoben.

Die Macht ist beim Kind?

Genau. Und in die Hände von Kindern gehört keine Macht. Wenn deine Kinder Macht über dich haben und du dich nicht mehr so verhältst, wie du es eigentlich möchtest, machst du etwas grundlegend falsch. Macht gehört in die Hände der Eltern. Sie haben die Verantwortung, diese Macht nicht zu missbrauchen.

Wie erleben Sie solche umgekehrten Machtverhältnisse in der Praxis?

Ich kenne Kinder, die laut losschreien, wenn der Vater ihnen die Milch von der falschen Seite her einschenkt. Kleinkinder, die bis zum Erbrechen schreien, weil der Schokoladenüberzug ihrer Glace einen Riss hat. Es ist völlig absurd. Laut aktuellen Erziehungsratgebern sollte man in so einer Situation dann die Gefühle des Kindes auch noch «annehmen und akzeptieren».

Was ist daran falsch?

Die Eltern sind dafür verantwortlich, dass sich das Kind in so einer Situation überhaupt so fühlt! Wir haben dem Kind beigebracht, dass es in Ordnung ist, so zu reagieren! Das ist ein Fehler – solche Gefühle müssen wir nicht akzeptieren.

Das sind typische Fälle von Kindern, die sich renitent verhalten, weil ihnen schon ganz früh das Gefühl gegeben wird, dass sie und ihre Bedürfnisse ständig im Zentrum stehen. 

Eine klare Führung mit klaren Verhaltensregeln geben dem Kind Sicherheit und Halt. Den Kindern wird durch die Machtübergabe eine grosse Verantwortung gegeben – diese Stellung ist biologisch gesehen unsinnig und führt dazu, dass Kinder unter Dauerstress stehen.

Man sollte also lieber zu streng sein?

Wenn man dem Kind vom richtigen Zeitpunkt an klar signalisiert, wie die Hierarchie in der Familie funktioniert, wird man nie streng sein müssen. Ich sage den Eltern, verhaltet euch wie ein Bergführer: Er bestimmt, wann, wo und wie das Schneefeld durchquert werden soll. Wenn wir wieder heil in die Hütte zurückkommen wollen, werden wir uns genau an das halten, was uns der Bergführer sagt – es ist wichtig. Das ist es, was Kinder von ihren Eltern erwarten: sicher an die Hand genommen zu werden.

Das klingt sehr simpel…

Das ist es auch, es ist wirklich nicht so kompliziert. Das Kind ist biologisch gesehen darauf angewiesen, dass das Familiensystem gut funktioniert. Nur so kann es überleben. Es ist auf Führung angewiesen.

Die Kinder sind dafür gemacht, sich den Eltern anzupassen. 

Wenn man Kinder gut beobachtet, sieht man, dass sie immer wieder den Blickkontakt zu ihren Bezugspersonen suchen, sobald sie sich unsicher fühlen. Kinder wollen wissen, was die Regeln sind und wie sie sich verhalten sollen.

Also wieder zurück zu mehr Strenge oder gar Bestrafung?

Nein sicher nicht! Das ist auch gar nicht nötig. Schon vor dem ersten Geburtstag kann man mit Babys anhand des Blickkontakts kommunizieren. Wenn ich ein Verhalten nicht in Ordnung finde, wende ich den Blick ab. Das machen traditionelle und indigene Kulturen übrigens genau so. Dort muss niemand laut werden oder «Nein» sagen.

Den Blick abwenden – ist das nicht eine Art Aufmerksamkeitsentzug?

Das klingt schon wieder so negativ aufgeladen. Sie psychologisieren meine Worte. Es geht aber nicht um Psychologie, sondern um Biologie. Das beobachtet man auch in der Tierwelt: Ein grosser Teil der Kommunikation läuft über den Blickkontakt. Es ist der von der Biologie vorgesehene Weg, um ein Baby zu «steuern». Es versteht das Signal sofort und wird sich entsprechend verhalten. Kinder machen das übrigens genau gleich. Schauen Sie einem Baby zu, dass nicht mehr essen möchte: Es wendet den Blick ab. Erst wenn darauf nicht reagiert wird, fällt die Reaktion stärker aus – es wirft zum Beispiel den Löffel weg. Aber das eigentliche Signal wäre schon viel früher gekommen.

Aber im Grunde geht es immer um Aufmerksamkeit?

Ja, denn ein Baby ist biologisch darauf angewiesen, dass es so viel Aufmerksamkeit wie möglich bekommt. Wenn Sie ihm 20 Prozent geben, fordert es 40 Prozent. Es wird sich nie mit einem bestimmten Mass an Aufmerksamkeit zufrieden geben – das ist biologisch so nicht vorgesehen. Darum ist es so wichtig, dass die Eltern entscheiden, wann wie viel Aufmerksamkeit angebracht ist. Es ist wirklich nicht so kompliziert:

Der Schlüssel ist: klare Kommunikation, klare Anweisungen. Kein «Bitte», kein Konjunktiv.

Kein «Bitte»? Aber wir wollen doch auch, dass unsere Kinder «Bitte» sagen?

Eine Bitte setzt voraus, dass wir dem Gegenüber die Möglichkeit geben, uns die Bitte auszuschlagen. Wenn ich aber nicht will, dass mein Kind diese Möglichkeit hat, verwende ich auch kein «Bitteschön».

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Es geht ums Aufräumen. Ich sage nicht: «Könntest du bitte noch dein Zimmer fertig aufräumen?» Das ist eine unklare Forderung, ein Konjunktiv und ein «Bitte». Was für den einen aufgeräumt ist, ist für den anderen noch ein Chaos. Also drücke ich mich so aus, dass das Kind versteht, was die Forderung ist: «Das Buch will ins Bücherregal, die Spielautos müssen noch in die Garage.» Klare, kindgerechte Kommunikation.

Was ist das Wichtigste, dass Sie jungen Eltern mitgeben wollen?

Interessiert euch für den biologischen Entwicklungsplan eurer Kinder. Alle Neugeborenen auf dieser Welt funktionieren gleich. Traditionelle und indigene Kulturen haben keine renitenten Kinder. Bei uns gibt es hingegen immer mehr. Es gibt also einen anderen, besseren Weg. Und rückt die Kinder nicht immer so stark ins Zentrum.

Die Kinder profitieren von weniger Aufmerksamkeit?

Ja – schauen wir ein paar Jahre zurück: Da hatten Kinder ihren Platz im Leben der Eltern, aber sie spielten nicht ständig die Hauptrolle – das ist sehr befreiend.

Umgeben von Blumen und Blüten – in ihrem Garten fühlt sich Rita Messmer am wohlsten.
Sarah Neuhaus

Zur Person

Eine Baby-Expertin

Rita Messmer aus Faoug ist Entwicklungspädagogin und Babytherapeutin auf Craniosacral-Therapie spezialisiert. Seit mehr als 30 Jahren gibt sie Kurse und hält Vorträge zu allgemeinen Erziehungsfragen. In ihren Büchern «Ihr Baby kanns!» (2013) und «Der kleine Homo sapiens kanns!» (August 2018, beide Beltz-Verlag) schreibt sie über die Förderung von Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit von Kindern. Messmer ist Mutter von drei Kindern und gilt als Gründerin der ursprünglichen Windelfrei-Bewegung. Sie hat ausserdem viele Jahre im Ausland verbracht und kam so auch immer wieder in Berührung mit indigenen Völkern und traditionellen Lebensformen. san

Kommentare (7)

  • 19.08.2022-Für die Kinder

    Die Eltern richten ihr Leben nicht stärker nach den Kindern als früher, sondern immer weniger. Kaum abgestillt stecken sie im Kita-Alltag. 9-10 Stunden Fremdbetreuung sind keine Seltenheit und das oftmals 2-3 Tage die Woche. Für Kinder ist das Stress. Einschulung beginnt früher am besten vorher schon Spielgruppe. Der Druck wächst. Gleichzeitig nimmt man ihnen immer mehr Raum zum Dampf ablassen (verdichtetes Wohnen, Anonymität, Kinder haben ruhig zu sein). Irgendwann explodieren sie. Und dabei geht es nicht darum wie die Milch eingeschenkt wird, sondern darum dass die Kleinen den inneren Druck nicht mehr aushalten. Anpassen, anpassen, Klappe halten, so sieht die Kindheit heute aus. Ein plumpes destruktives Interview. Frau Messmer bietet weder Lösungsansätze noch beleuchtet sie die wahren Probleme. Eltern können mit Erziehung nicht die Fehler der Gesellschaft korrigieren!

  • 16.08.2022-Pro Bedürfnisorientiert

    Spannend, dass sie von einer falschen Interpretation der bedürfnisorientierten Erziehung spricht… und nicht grundsätzlich die Methode kritisiert. Sollte allen Lesern klar sein. In der bedürfnisorientierten Erziehung zählen die Bedürfnisse aller Familienmitglieder. Also auch Mama und Papa und Mitmenschen. Hat Mama also einen strengen Tag und mag nicht spielen, ist das klar zu kommunizieren und völlig ok. Es handelt sich somit nicht um ständige Aufmerksamkeit. Zudem passen sich die Kinder extrem unserem Alltag und Strukturen an. Würde mein Kind den Tag gestalten würde er komplett anders aussehen. Also kooperieren unsere Kinder täglich extrem oft. Und das mein Kind anfängt zu weinen weil ich etwas von der falschen Seite einschenke, kann ich nach einem Tag voller Kooperation verstehen. Würde mir auch so ergehen wenn mein Mann über den ganzen Tag bestimmt und ich mich fügen muss und nicht mal bestimmen kann, wie ich etwas auf den Teller kriege. Das die ältere Generation Mühe mit gewissen Dingen hat kann ich verstehen, sie sind geprägt von veralteten Erziehungsmethoden. Aber anstatt zu kritisieren sollte man Freude haben wenn die eigenen Kinder andere Methoden wählen um die Grosskinder zu erziehen. Kinder sind unsere Zukunft und sollen diese Welt in eine bessere Richtung lenken.

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