Autor: IRMGARD LEHMANN
Um der Gewöhnung zu entfliehen, muss der Mensch reisen. Nur so kann er regenerieren und die Welt neu sehen, sagte der Schriftsteller Max Frisch. Ein Jahr ausserhalb des Gewohnten hat die Gymnasiastin Irene Zühlke hinter sich. 11 Monate lebte sie als Austauschstudentin in einer japanischen Familie. Vor ein paar Wochen ist sie von Osaka nach Freiburg zurückgekehrt. Jetzt widmet sie sich dem Kendo, einer japanischen Kampfkunst, mit der sie sich in Japan intensiv beschäftigt hat.
Reine Mädchenschule
Irene besuchte in Osaka eine private Mädchenschule. In der High-School mit 1500 Schülerinnen war sie die einzige Nicht-Japanerin. «Als blondes, blauäugiges Mädchen wurde ich wie ein Star behandelt», sagt sie lachend.
Aber wie kommt eine 18-Jährige auf die Idee, gerade in Japan ein Austauschjahr zu verbringen? Eine Freundin habe sie auf das Land aufmerksam gemacht. «Ich war auf Anhieb fasziniert.» Mit Comicheftchen hat sie sich der fremden Kultur angenähert, einen Sprachkurs absolviert und sich mit der japanischen Schrift auseinandergesetzt. Ihr war bald einmal klar, dass für ein Austauschjahr nur Japan in Frage kommt. Ein geografisch, kulturell und sprachlich völlig anderes Land wollte sie erforschen. Doch wie das den Eltern beibringen? «Ich musste sehr viel Überzeugungsarbeit leisten», sagt sie schmunzelnd.
Zum ersten Mal allein
Für die 18-Jährige war es die erste grosse Reise, die sie ganz alleine antrat. Sie wusste, dass es kein Zurück gab, dass sie sich für ein Jahr verpflichtet hat. Und siehe da – Heimweh kam keines auf. «Nie, nie, nie», sagt sie dezidiert. Mit der Familie – der Gastmutter und dem Gastbruder – verstand sie sich auf Anhieb. Mit dem Gastvater – ein Unternehmer – sprach sie am Anfang Englisch, später Japanisch.
Keine Déjà-vu-Erlebnisse
Ein Déjà-vu-Erlebnis gibt es in einem solchen Land nicht, und gerade das habe sie so sehr fasziniert. «Wie im Alltag die Tradition neben dem Modernen, dem westlichen Lebensstil Platz hat, hat mich tief beeindruckt.» Der Kimono sei heute noch in der Werbung allgegenwärtig.
Die Angst, Fehler zu machen
Von negativen Erfahrungen weiss Irene nichts. Überrascht habe sie einzig die mangelhaften Kenntnisse der englischen Sprache. Obwohl vieles Englisch beschriftet sei, würden die Angestellten in Restaurants und Läden miserabel Englisch sprechen. «Die Japaner haben eine unheimliche Angst, Fehler zu machen.»
Überrascht habe sich auch der abendliche Ausgang, der erst mit 20 Jahren toleriert sei. «Tags konnte ich meine Freunde treffen, abends aber musste ich zuhause sein», bemerkt sie.
Mit auf Reisen
Die junge Frau ist reich an Erfahrungen – hat sie doch nicht nur Osaka kennengelernt, sondern hat mit ihren Gasteltern das Land bereist. Unvergesslich blieb ihr das internationale Sommerlager: «Das Geilste, das ich je erlebt habe.» Warum? Frisch verliebt? Ihre Antwort: «Austauschschüler waren mit dabei, viele Japanerinnen und Japaner, und ich habe viele neue Freunde gewonnen.»
Andere Perspektiven
Seit ein paar Wochen sitzt die 18-Jährige wieder in der Klasse des Gambach-Gymnasiums und denkt daran, Tierärztin von der Liste der Berufswünsche zu streichen. Dolmetscherin wäre dasjenige welche. Irene Zühlke: «Ich muss etwas tun, das mich in die Welt hinausbringt.» Nach Japan wohl, denkt man unwillkürlich.
Bedeutung des «V»-Zeichens
Werden Japaner fotografiert, so machen sich sehr oft das «V»-Zeichen. «Das ist doch das Peace-Zeichen. Aber abgesehen davon weiss ich nicht, wieso wir es die ganze Zeit machen. Keine Ahnung!», sagte ein Japaner auf die entsprechende Frage.