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Gar nicht richtig da

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Touristen, die, bewaffnet mit Smartphones und Selfie-Sticks, sich selbst fotografieren, eine Sehenswürdigkeit ablichten oder via soziale Medien die Welt in Echtzeit wissen lassen, wo sie sich gerade befinden und was sie alles erleben: Das sind die Protagonisten der Videoarbeit «I miss you» des Sensler Künstlers Peter Aerschmann. Das sieben Meter breite Werk steht im Mittelpunkt der gleichnamigen Sonderausstellung im Museum für Kunst und Geschichte Freiburg, die diese Woche ihre Türen geöffnet hat. Wegen der Corona-Pandemie wurde nicht nur der Start der Ausstellung verschoben, sondern auch der Titel geändert: Ursprünglich hätte die Schau schlicht «Tourist» heissen sollen, doch das habe im Corona-Kontext nicht mehr gepasst, sagte Peter Aersch­mann anlässlich einer Medienführung. Derzeit denke man im Zusammenhang mit Tourismus vor allem ans Reisen respektive an Reise-Verbote.

«Man kann sich für einen Moment davontragen lassen. Das tut in diesen Zeiten vielleicht besonders gut.»

Caroline Schuster Cordone

Vizedirektorin des Museums

In seiner Arbeit gehe es aber nicht um den reisenden Touristen, sondern um Menschen, die zwar ständig mit der ganzen Welt verbunden seien, sich dabei aber selbst verlören und nie richtig da seien, wo ihr Körper sich gerade befinde. Das sei nicht nur beim Reisen so, sondern auch in vielen Alltagssituationen. Darauf spiele der Titel der Ausstellung und des Hauptwerks an, so der 50-Jährige: «Ich vermisse dich, das heisst, ich vermisse die Menschen und den direkten Kontakt, der unmöglich wird, wenn alle ständig auf ihre Bildschirme starren.»

Überraschend und entlarvend

«I miss you» ist, wie die meisten Arbeiten von Peter Aersch­mann, eine Assemblage aus zahlreichen Einzelbildern. In diesem Fall handelt es sich um animierte Fotografien, in anderen Werken sind es kurze Videosequenzen. Aerschmann versteht es, die einzelnen Elemente seiner Arbeiten so zu arrangieren, dass sie neue Per­spektiven eröffnen, überraschende Geschichten erzählen und entlarvende virtuelle Realitäten erzeugen. Im Fall von «I miss you» hat der Künstler die Köpfe seiner Protagonisten mit Verkehrskegeln versehen. Die Kegel kommen in Aersch­manns Arbeit häufig vor: Nicht, weil er eine besondere Affinität dafür habe, sagt er, sondern «weil sie einfach überall sind, egal, wohin man geht». Bei seinen Touristen hätten die Kegel eine doppelte Funktion: zum einen als Symbol für ihre Blindheit, zum anderen als Mittel der Anonymisierung. Die Anonymisierung sei wichtig, weil er die Leute nicht frage, ob er sie fotografieren dürfe. «Ich will keine gestellten Bilder machen, sondern reale Momentaufnahmen.» Die Protagonisten aus «I miss you» hat Aerschmann 2019 während eines viermonatigen Aufenthalts in Budapest fotografiert. Das augenfällige Verhalten der Touristen auf dem Burghügel inspirierte ihn zu dem Werk, das nun in Freiburg erstmals öffentlich zu sehen ist.

Ebenfalls im Hauptsaal zeigt Aerschmann zwei weitere neue Arbeiten: Die Videoarbeit «Meta», deren Titel eine Hommage an Jean Tinguely ist, befasst sich mit all den Zeichen und Symbolen, die in unserer komplexen Welt nur scheinbar Ordnung schaffen. Auch im Werk «Kompass» geht es um Orientierung und Desorientierung, symbolisiert von einer Schildwanze: Das Insekt sei überall auf der Welt zu finden, erklärt Peter Aersch­mann, und verkörpere so den Wunsch des Menschen nach Allgegenwart.

Den Rhythmus verinnerlichen

Im Untergeschoss des Museums sind verschiedene Werke Aerschmanns aus früheren Jahren zu entdecken: gross- und kleinformatige Videoarbeiten, etwa aus seiner Reihe «Das Ende der Welt», aber auch zahlreiche Foto-Collagen. Einzelne Arbeiten finden sich zudem in den Räumen der Dauerausstellung, wo sie mit Werken aus der Museumssammlung in Dialog treten. «Le chat de minuit» etwa ist eine Arbeit rund um einen Kater, der Aersch­mann regelmässig um Mitternacht in seinem Atelier besuchte. Das Werk steht in der Nähe einer Löwenskulptur. «Das würde dem Kater gefallen», sagt Aersch­mann lachend. «Ich glaube, er wollte immer ein Löwe sein.»

«Ich vermisse den direkten Kontakt, der unmöglich wird, wenn alle auf ihre Bildschirme starren.»

Peter Aerschmann

Videokünstler

Einzelne Videos von Peter Aersch­mann werden während der Ausstellung auch ausserhalb des Museums zu sehen sein, nämlich vom 1. bis zum 20. September in der Kirche des Klosters Bisemberg und in der Blue Factory. «I miss you» sei eine Ausstellung, die Zeit brauche, sagte Caroline Schuster Cordone, Kuratorin und Vizedirektorin des Museums. Die Schau lade dazu ein, in die besondere Atmosphäre einzutauchen und den Rhythmus der einzelnen Werke zu verinnerlichen. Dabei spiele auch die Stille in den Räumen eine wichtige Rolle. Peter Aerschmann arbeite bewusst ohne Ton, um die Konzentration der Besucherinnen und Besucher ganz auf das Bild zu lenken. «Man kann sich für einen Moment davontragen lassen, und das tut in diesen Zeiten vielleicht besonders gut.»

Museum für Kunst und Geschichte, Murtengasse 12, Freiburg. Bis zum 20. September. Di. bis So. 11 bis 18 Uhr, Do. 11 bis 20 Uhr.

Interview

«Vielleicht gibt es eine Gegenbewegung»

Die FN haben mit Peter Aerschmann über die Corona-Krise und die Kunst gesprochen.

Peter Aerschmann, Sie haben wegen der Corona-Pandemie den Titel Ihrer Ausstellung geändert. Bekommen wegen der aktuellen Situation auch Ihre Werke eine neue Bedeutung?

Sie haben die Situation eher vorweggenommen: Die Isolation, um die es mir geht, war ja schon vor der Pandemie da. Im Hauptwerk «I miss you» geht es nicht um Touristen, die reisen, sondern darum, dass wir alle immer Touristen sind, auch wenn wir nicht verreisen. Ich meine damit, dass wir nie ganz da sind, wo unser Körper ist. Egal, ob im Bus oder zu Hause auf dem Sofa: Ständig schauen wir auf einen Bildschirm und sind gedanklich weit weg. Das passiert natürlich auch, wenn man ein Buch liest, aber die neuen Technologien haben das massiv verstärkt. Ich finde das schade – auch wenn ich selber genauso bin.

Hat die Corona-Krise dies noch verschärft?

Natürlich haben wir jetzt alle erst einmal noch mehr Abstand und sind auch physisch isolierter. Und wirklich jeder dürfte jetzt die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation entdeckt haben. Vielleicht gibt es aber auch eine Gegenbewegung, weil uns die realen Kontakte fehlen, und wir werden unsere Verkehrskegel ausziehen. Das wäre schön.

Wie hat die Krise Ihr eigenes Leben verändert?

Zunächst einmal sind fast alle Projekte für dieses Jahr annulliert, sowohl Reisen als auch Ausstellungen. Ein Ausstellungsprojekt in Kolumbien im Juni ist sicher abgesagt, und eine geplante Residenz in Shanghai wird wahrscheinlich auf nächstes Jahr verschoben. Mein Alltag im Atelier hat sich hingegen kaum verändert; da arbeite ich sowieso meistens allein. Aber ich mache mir Gedanken über die Zukunft. Ich habe keine Angst vor dem Virus, aber vor den wirtschaftlichen Konsequenzen. Ich weiss nicht, wie viel Geld es noch für die Kultur geben wird.

Zur Person

Videokünstler aus Zumholz

Peter Aerschmann wurde 1969 geboren und ist in Zumholz auf einem Bauernhof aufgewachsen, wo er heute noch gelegentlich in einem Atelier arbeitet. Er studierte an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel, an der Universität Basel und an der Hochschule der Künste Bern. Seit 1999 lebt und arbeitet er als Künstler in den Bereichen Video und interaktive Installationen in Bern. Er war Mitgründer des Kulturzentrums Progr in Bern. Seine Arbeiten zeigt er regelmässig in der Schweiz und im Ausland. Er hat zahlreiche Stipendien und Residenzen erhalten. Im kommenden Herbst sollte er von einer Residenz von Pro Helvetia in Shanghai profitieren, die nun aber wegen der Corona-Pandemie verschoben werden dürfte.

 

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