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Gastkolumne von Franz Engel: Guglera

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Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

Einst ein katholisches Internat für unbotmässige Mädchen (Institut St. Joseph La Gouglera), dann ein Integrations- und Förderprogramm für übergewichtige Jugendliche, ist es seit 2017 ein Asylzentrum. Ein Entscheid, der seinerzeit von einem Teil der lokalen Bevölkerung nicht gerade mit überschwänglicher Freude begrüsst worden war. Skepsis, berechtigte Sorgen und irrationale Ängste beherrschen die teilweise sehr emotionale Diskussion bis zum heutigen Tag. Und wenn unsere Medien von der Guglera berichten, sind es Nachrichten von Einbrüchen, Diebstahl und Belästigungen.

Doch Guglera ist mehr, viel mehr. Im Laufe des letzten Jahres erhielt ich die Gelegenheit als Arzt, der ich immer noch ein wenig geblieben bin, in der Guglera zu arbeiten. Eingebunden in ein Team von vorbildlich motivierten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die Tag für Tag, unter schwierigen und belastenden Umständen, versuchen ihr Bestes zu geben. Mit unermüdlichem Einsatz, mit Empathie und Professionalität versuchen sie den hohen, nicht selten unerfüllbaren Erwartungen, welche die Arbeit mit den oft schwer traumatisierten Menschen mit sich bringt, gerecht zu werden. Vor allem zu Beginn meiner Tätigkeit interessierten mich, nebst Husten, Rücken- und Kopfschmerzen, auch die Geschichte und Geschichten, welche diese Menschen mit sich tragen.

Der junge Mann aus Afghanistan. Er spricht Farsi und Türkisch. Meine Mitarbeiterin, deren Eltern aus der Türkei stammen, übersetzt. Sein Vater und der grosse Bruder arbeiteten als Dolmetscher für die «Amerikaner». Nach deren skrupellosem Rückzug waren sie den Taliban schutzlos ausgeliefert. All die geschürten Hoffnungen, all die falschen Versprechen fielen über Nacht wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Vater und Bruder wurden verhaftet, gefoltert und als Verräter hingerichtet. Ihm gelang die Flucht, über Iran, Türkei, Italien in die Schweiz. Mehrmals an illegalen Grenzübergängen «aufgegriffen» und über die Grenze zurückgeprügelt. Narben, verteilt über seinen Körper, «illustrieren» seine Geschichte.

Sein Gesuch für einen definitiven Aufenthalt ist noch hängig.

Die junge Frau aus Somalia: Wir unterhalten uns auf Englisch. Mit 14 Jahren zwangsverheiratet, ihre Ehe war geprägt von Gewalt und Demütigung. Mit 18 Jahren gebar sie ein Mädchen, die Gewalt und Demütigungen gingen weiter. Sie entschloss sich, zu fliehen, auch um ihrem kleinen Mädchen das gleiche Schicksal zu ersparen. Sie kennt weder die Zahl, noch die Namen der Länder, durch die sie getrieben wurde. Hunger, Verzweiflung und sexuelle Gewalt waren ihre ständigen Begleiter. Auf der Überfahrt nach Lesbos kenterte das Boot. Sie wurde gerettet, ihr kleines Mädchen ertrank.

Ihr Gesuch für einen definitiven Aufenthalt ist noch hängig.

Das junge Paar, das sich über die Grenzen der Religionen – sie Muslima, er Christ – verliebte. Von beiden Familien mit dem Tode bedroht, sind sie geflohen. Ein erster Asylantrag wurde abgelehnt. Sie versuchte, sich das Leben zu nehmen, lag mehrere Wochen auf der Intensivstation. Sie stellten einen neuen Antrag. «Wir werden nicht zurückgehen», sagt sie trotzig, «sollte auch dieser Antrag abgelehnt werden, werden wir uns das Leben nehmen.»

Ihr Gesuch für einen definitiven Aufenthalt ist noch hängig.

Viele, die in der Guglera Zuflucht gefunden haben, tragen solche oder ähnliche «Geschichten» mit sich, und wenn wir den Menschen bei ihren Schilderungen, oft mit Tränen in den Augen, gegenübersitzen, der Schmerz, die erlittenen Verletzungen und Ungerechtigkeiten real werden, dann tut das einfach nur weh. So weh, dass ich selbst an Grenzen kam und mich in die Behandlung des Hustens, der Rücken- und Kopfschmerzen flüchtete. Gegen die Traurigkeit verschrieb ich Antidepressiva und gegen Schlaflosigkeit Schlaftabletten. Doch die traurigen Augen, die wortlos fragend um Hilfe bitten, suchen seither auch meine Träume heim.

Vor einiger Zeit fiel mir eine kleine «Karikatur» auf: Ein erwachsener Mann steht vor einem Kind, das gerade aus dem Kindergarten kam. Der Mann fragte das Kind: «Hat es in eurem Kindergarten auch Muslime, Juden und Christen?» Das Kind überlegte kurz und antwortete: «Eigentlich nicht, es hat nur Kinder.» Fragt mich heute jemand, ob es in der Guglera auch Flüchtlinge, Asylanten, Migranten, Juden, Muslime und Christen gibt, werde ich antworten: «Eigentlich nicht, es hat nur Menschen.»

Franz Engel bei einem Einsatz im Asylzentrum Guglera.
Archivbild: zvg

Diese, meine sehr persönlichen Gedanken und Erfahrungen sind wohl kein entscheidender Beitrag für die Lösung der Konflikte, welche die zunehmende Migration begleiten. Sie sind auch keine Rechtfertigung für das inakzeptable Fehlverhalten einzelner Gruppen. Andererseits sollten wir den Mut haben, auch solche Gedanken zuzulassen und den Menschen unsere Unterstützung gewähren, die vom Leben schon genug bestraft wurden. Wie sagte schon Thomas von Aquin: «Gerechtigkeit ohne Liebe ist Grausamkeit.» Eine Maxime auch für die Politik? Im Sinne von: «Migrationspolitik ohne Liebe ist Grausamkeit.» Wollen wir als Menschen handeln, braucht es wohl beides.

Denken wir daran, wenn die nächsten negativen Schlagzeilen nach «Ordnung und Massnahmen» schreien. Und nein, die Guglera ist nicht das Problem, sie versucht, ein Teil der Lösung zu sein, und verdient unsere Unterstützung.

Diesmal kein Lied, sondern ein Film zum Thema: «Green Border (Grüne Grenze)», A. Holland, 2023.

Kommentare (2)

  • 24.04.2024-Sonja Dürrenberger

    Also der erste Satz ist ja völlig sowas von daneben! Wir waren alles andere als unbotmässig. Wir waren alles junge Frauen die teilweise auch sehr grosse Lust hatten auf ein Internatsleben. Unter uns gibt es mittlerweile bereits Anwälte und ähnliches oder sonstige höher studierte. Aber auch die normalen gibt es wie ich es bin die alles andere als irgendwelche Verhaltensauffälligkeiten hatten oder ähnliches. Ich weiss ja nicht woher sie dieses Wort haben im Zusammenhang mit der Gouglera! Auf jeden Fall hat der Mensch der ihnen das erzählt hat einen Bären aufgebunden und ich wäre vorsichtig solche Äusserungen zu tätigen wenn Sie nicht wissen wie es wirklich war.
    Wir alle die das gelesen haben und dort waren sind schockiert!!!

  • 24.04.2024-Corina Kessler

    Lieber Herr Engel

    ich finde Ihren Beitrag herzzerreissend berührend und wichtig. Es ist so wichtig, mehr von diesen menschlichen Schicksalen zu erfahren, damit mehr Schweizer&SenslerInnen- Herzen berührt werden – um vielleicht einen Schwenk in ihrem Urteil diesen Menschen gegenüber machen zu können.

    Ganz klar verurteile auch ich alle Straftaten, die von Schweizerinnen und Flüchtenden verübt werden. Glaube aber, dass diese bei den Gouglerabewohnerinnen weniger würden, wenn sie etwas mehr Geld erhielten, um mehr teilhaben zu können an unserem schweizerischen Leben. Damit meine ich evtl. auch mal eine Schokolade oder ein Sandwich in der Coop kaufen zu können – ohne fast die Hälfte der Tagespauschale dafür zu verbrauchen, die eigentlich für den täglichen Bedarf bestimmt ist.

    Aber, Herr Engel, Ihr Intro des Artikels… als erstes erwähnt: die Gouglera für unbotmässige Mädchen? Da musste ich kurz mal schlucken – und dann war ich etwas verärgert, muss ich sagen.
    Ich und auch andere Senslerinnen waren schon 1972 in der Sekundarschule im Internat Gouglera. Meine « Leidensgenossinnen » waren alle, ausser mir, Töchter von betuchten Kaufleuten und Hotel oder Restaurantinhaberinnen schweizweit.
    Offenbar haben Sie eine Phase der Bewohnenden dieses Gebäudes vergessen oder einfach ausgelassen.
    Dann gibt es noch eine andere Frage für mich: Was mussten diese armen Mädchen in den 50er Jahren in unserer Schweiz erleben und erleiden, um als «unbotmässig » von heuchlerischen Vormunden und Kirchenleuten betitelt und in ein Internat gesteckt zu werden. (Ich weiss – dies ist ein anderes Thema – trotzdem…)

    Danke für das Teilen Ihrer sonst sehr menschlichen, sozialen und kontroversen Gedanken! Bitte machen Sie weiter so😊.

    Freundlicher Gruss

    Corina Kessler

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