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Hilfe, ich bin ein Opfer!

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Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

Eheleute vor dem Scheidungsrichter, Junge ohne Zukunftsperspektive, Xenophobe im Dichtestress, Frauen im Zeitalter von #MeToo, laichende Frösche und Kröten beim Überqueren der Strasse: Die Welt meint es wirklich nicht gut mit ihnen. Überhaupt meint es die Welt selten gut mit uns. Kein Wunder, dass sich immer mehr Menschen als Opfer fühlen. Wo alle Opfer sind, lauern Täter an jeder Ecke: der Zeitgeist, die herrschende (Un-)Moral, die sturen Alten, die aufmüpfigen Jungen, der dekadente Westen, der Benzinpreis, der Quartierplan, die Lärmschutzverordnung. Die Übeltäter sind omnipräsent und beliebig austauschbar. Für jeden Opferbedürftigen steht ein passender Täter zur Verfügung. Opfersein ist ein Megatrend.

Für den Opfersüchtigen zerfällt die komplizierte Welt in zwei einfache Hälften: Täter und Opfer, Schwarz und Weiss, Gut und Böse. Der Opfersüchtige entgeht der Schuld. Ob er sein Opfersein passiv erduldet oder sich aktiv zur Wehr setzt: Verantwortlich dafür ist immer der Täter. Der Opfersüchtige appelliert an das Mitleid der anderen: Seht, wie unfair, wie rücksichtslos, wie ungerecht man mich behandelt! Der passiv Opfersüchtige neigt zur Melancholie: Durch sein Nicht-Handeln, seine Nicht-Verantwortung, seine Nicht-Schuld bringt er die Welt zum Stillstand und überzieht sie mit einem Schleier der Schwermut. Der aktiv Opfersüchtige dreht den vermeintlichen Spiess um und wird zum Täter: Dem werde ich es zeigen, der soll für seine Tat büssen!

Indem immer mehr Menschen in an sich privilegierten Lebenssituationen darauf beharren, Opfer zu sein, geht das Unterscheidungsvermögen zwischen selbst ernannten und wirklichen Opfern zunehmend verloren. Zum Beispiel die alleinerziehende Nachbarin, der das Geld schon Mitte Monat ausgeht, der zehnjährige Junge, der in einer kongolesischen Kobaltmine für unser Smartphone schuftet, die Mutter von drei schulpflichtigen Kindern, die an einem Gehirntumor leidet, die ukrainische Grossmutter, die in ihrer zerbombten Wohnung ausharrt, der afghanische Asylant, der hinter Stacheldraht wie in einem Hochsicherheitsgefängnis auf seine Ausschaffung wartet…

Als Nelson Mandela 1990 aus der 27-jährigen Haft entlassen wurde, sagte er vor 120’000 Zuhörerinnen und Zuhörern: «Der Unterdrückte und der Unterdrücker sind gleichermassen ihrer Menschlichkeit beraubt. Als ich das Gefängnis verliess, war es meine Aufgabe, beide, den Unterdrücker und den Unterdrückten, zu befreien.» Vermutlich überwand Mandela schon während seiner Gefangenschaft die Zweiteilung der Gesellschaft in Opfer und Täter. Und vermutlich konnte er sich nur so die innere Freiheit bewahren, die es ihm ermöglichte, den Menschen, die ihm die besten Jahre seines Lebens gestohlen hatten, wenige Tage nach seiner Freilassung ein Friedensangebot zu machen. Niemand von uns ist ein Nelson Mandela, aber immerhin könnten wir etwas von ihm lernen.

Zu einem der wenigen Erziehungsgrundsätze meiner Mutter gehörte der Satz: «Tue doch omi amau as Öpferli bringe!» Wie ich als Kind diese Aufforderung hasste! Was meinte sie überhaupt mit dem idiotischen Wort «Öpferli». Ich hörte immer nur «Öpfeli» und wusste beim besten Willen nicht, was ich mit all diesen doofen Äpfelchen anfangen sollte. Ich ahnte bloss, dass ein Wurm in ihnen steckte, und dieser Wurm hiess «Verzicht»!

Erst viel später konnte ich ihrer Redensart einen Sinn abgewinnen und dass es manchmal angebracht ist, Verzicht zu üben; und sei es auch nur der zeitweilige Verzicht, in die bequeme Rolle des Opfers zu schlüpfen.

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