Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

«Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben», heisst es im berühmten Gedicht «Stufen» von Hermann Hesse. Es ist dieser eine Satz, der mir seit vielen Jahren immer wieder in den Sinn kommt, wenn es Veränderungen gibt im Leben. Sei es bei mir selbst oder bei Menschen, die mir vertraut sind. Wie bei einer Treppe geht es Stufe um Stufe weiter, um neue Räume zu entdecken und in die Weite zu gelangen. Abschied von Liebgewonnenen zu nehmen, gehört dazu. In diesem Gedicht wirft Hermann Hesse einen positiven Blick auf das ganze Leben. Jede Etappe ist wie ein Durchgang, ein Weiterschreiten hin bis zur Todesstunde, die uns noch neue Räume eröffnen kann.

Nun hat vor wenigen Tagen für unzählige Kinder die Schule begonnen, oder wieder begonnen. «Der Ernst des Lebens» beginne nun für Mädchen und Buben, wie manche schmunzelnd meinen. Strahlende Gesichter sind am ersten Tag in der Schule zu sehen. Die Freude ist nicht zu übersehen. Es fliesst aber auch die eine oder andere Träne, weil Neues, Unbekanntes und vielleicht auch Ungewisses auf die Jüngsten zukommt. Die Trennung aus der sicheren Geborgenheit von Mutter und Vater kann schmerzhaft sein. Für grössere Kinder und Jugendliche bedeuten diese Tage die Rückkehr an einen Ort, um sich nach den langen Ferien über die Erlebnisse des Sommers auszutauschen. Freunde und Freundinnen nach der langen Sommerpause wieder regelmässig zu sehen ist für viele wichtiger als der Unterrichtsstoff, den sie in den kommenden Wochen und Monaten durchnehmen werden. Es ist aber ein Start, der nicht allen nur Freude macht. Das Wissen um anstehende Prüfungen, Rangeleien und vielleicht sogar Mobbing lassen nicht an einen zauberhaften Anfang denken, der beschützt und hilft zu leben.

Um die Schule herum hüten Polizistinnen und Polizisten den Weg der Kinder, in den Klassen fangen die Lehrpersonen so manche Krise auf. Und unser Teil? Könnte unsere Aufgabe nicht darin bestehen, Kinder und Jugendliche im neuen Schuljahr, im noch unbekannten Lebensabschnitt, in ihren Stärken und Fähigkeiten zu unterstützen und vorzuleben, wie sie den Blick auf das richten können, was sie im Leben bestärkt, damit sie den Zauber des Anfangs lange spüren, der sie beschützt und hilft zu leben?

Siegfried Ostermann ist Theologe und arbeitet bei Missio, dem Päpstlichen Missionswerk mit Sitz in Freiburg.