Lebenssinn durch soziale Vernetzung
Neujahrsansprachen der politischen und kirchlichen Behörden
Die hohe Selbstmordrate unter Jugendlichen fordert Behörden und Bürger in gleichem Masse heraus, stellte Staatsratspräsident Pittet am Neujahrsempfang fest. Für Bischof Genoud geht es darum aufzuzeigen, dass Freiheit nur auf der Grundlage fundamentaler Werte sinngebend sein kann, sonst führe sie zur Katastrophe.
Von WALTER BUCHS
Am offiziellen Neujahrsempfang der politischen, richterlichen und kirchlichen Würdenträger ging Staatsratspräsident Michel Pittet am Freitagnachmittag in den Räumen der Gebäudeversicherung in Freiburg schwergewichtig auf die Problematik der Selbstmordrate unter Jugendlichen ein. Er gab dabei zu bedenken, dass gemäss Aussagen von Fachleuten Jugendliche heute ihrem Leben ein Ende setzen, weil ihnen Halt und soziale Vernetzung fehlen.
Perspektiven schaffen
Angesichts der gravierenden Problematik stellte der Volkswirtschaftsdirektor fest: «Unsere Freiburger Wirtschaft soll nicht nur Arbeitsplätze und Reichtum, sondern auch Zärtlichkeit und Gastfreundlichkeit schaffen.» Er lud seine Gäste ein, sich dieser Herausforderung zu stellen. Dies werde ein wichtiger Beitrag dazu sein, am Aufbau einer gerechten und friedlichen Welt zu arbeiten, «die all ihren Bewohnern geistige und materielle Entwicklungsperspektiven bietet».
Als Sprecher der Kirchen ging Bischof Bernard Genoud ebenfalls auf diese Problematik ein, indem er einen falsch verstandenen Freiheitsbegriff kritisierte. Absolute Freiheit, welche sich von jeglicher objektiven Werteskala loslöse und den Menschen zum Mass aller Dinge mache, führe in die Sinnleere. Da wisse der Mensch mit der Freiheit nichts mehr anzufangen. Der Mensch brauche eben den Bezug zur Transzendenz, zu Gott. Er bat deshalb die Zuhörenden um Hilfe, dies den Menschen immer besser bekannt zu machen. Das werde auch die Stellung des Menschen stärken und nicht etwa erdrücken, wie einige meinten.
Anforderungen an das Bildungswesen
Bischof Genoud gab sich überzeugt, dass aus diesem Einsatz alle gesellschaftlich relevanten Gruppen ihren Nutzen ziehen können. Es sei deshalb an der Zeit, dass sich das ganze Bildungswesen – vom Kindergarten bis zur Universität – für die Förderung der grundlegenden Werte einsetzt, auf denen das gesamte gesellschaftliche Leben beruhen. Solche Werte seien beispielsweise: Bürgersinn, Respekt vor der Wahrheit, Solidarität, Gerechtigkeit, Achtung des Wertes jedes einzelnen Individuums, Sinn für den Dienst am Nächsten, Ankämpfen gegen überbordenden Konsumgeist usw.
Im gleichen Sinne setzte sich der Diözesanbischof entschieden dafür ein, dass die neue Kantonsverfassung mit einer Anrufung Gottes beginnt. «Ein Kanton, der seine Vergangenheit verleugnet, . . . der keine geistige Dimension hätte, wäre gar schwach, um die hohe Zielsetzung zu erreichen, die er sich gesetzt hat, nämlich den Aufbau eines Kantons, in dem sich alle und jeder wohl fühlen», betonte Bernard Genoud.
Für gemeinsame Geisteshaltung
Angesichts der tief greifenden gesellschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre ist es für Bischof Bernard Genoud aber wichtig, dass alle Bürger zum neuen Grundgesetz stehen können. Dies sei mit der im jetzigen Entwurf der Präambel vorgesehenen Formulierung möglich, die lautet: «Im Glauben an Gott oder an eine andere Quelle unserer Werte.»
Für den kirchlichen Würdenträger ist entscheidend, dass ein Bezug zu Gott und den grundlegenden Werten hergestellt wird. Dies erinnere an die Grenzen der menschlichen Macht, an die Verantwortung vor Gott, vor der Menschheit, der Schöpfung und der Geschichte. «Das ist keineswegs erniedrigend, sondern zeugt von echtem Realismus», unterstrich Bernard Genoud. Dabei erinnerte er die politischen Würdenträger daran, dass auch ihre Macht nicht absolut ist und dass sie nicht über die Fähigkeiten verfügen, alle Probleme zu lösen. In diesem Sinne sei die Botschaft der Kirchen auch als Angebot zur Zusammenarbeit zu verstehen, die auf Transparenz und gegenseitigem Respekt beruht.