Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on print

«Man hielt so gut wie möglich durch»

Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on print

Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

«Man hielt so gut wie möglich durch»

555 Schweizer Stimmen zum Zweiten Weltkrieg: Das Projekt Archimob ist jetzt als Ausstellung zu entdecken

Im Zeichen der Aufarbeitung der Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg war in den vergangenen Jahren oft die Rede von Verfehlungen und Mitschuld unseres Landes. Das Projekt Archimob hat einen etwas anderen Blickwinkel gewählt: Es lässt 555 Menschen zu Wort kommen, die die Zeit des Aktivdienstes miterlebt haben.

Von CAROLE SCHNEUWLY

«Heute ist es leider so, dass die Angehörigen der Kriegsgeneration praktisch als Versager hingestellt werden. Haben wir das wirklich verdient?»

Diese Frage stellt einer der 555 Zeitzeugen, die im Rahmen des Projektes Archimob interviewt wurden.

Die Frage wurde so oder ähnlich in den vergangenen Jahren von vielen Vertreterinnen und Vertretern jener Generation gestellt, die die Jahre zwischen 1939 und 1945 hautnah miterlebte. Diese Menschen fühlten sich ausgeschlossen, ungehört und unverstanden, als in den Neunzigerjahren eine breite öffentliche Debatte über die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg entbrannte.

Von nachrichtenlosen Geldern war damals die Rede, von vielfältigen wirtschaftlichen Verflechtungen, von abgewiesenen Flüchtlingen. Es ging um Verfehltes und Verpasstes, um Mitwissen und Mittäterschaft, um Schuld und Schuldanerkennung.

«Im Kontext der Zeit»

So berechtigt diese Aufarbeitung eines dunklen Kapitels unserer Geschichte gewesen sein mag, so schmerzhaft war die Vorgehensweise für viele Direktbetroffene: für die Männer im Aktivdienst, für die zurückgebliebenen Frauen, die zu Hause nach dem Rechten sehen mussten. Ihre Sicht der Dinge darzustellen und ihre wertvollen Erinnerungen zu bewahren, darin besteht das ehrgeizige Ziel von Archimob.

«Für mich als Historiker ist es wichtig, die Dinge im Kontext ihrer Zeit zu beurteilen. Und das wurde nicht gemacht.»

So lautet das Verdikt eines Historikers aus der Kriegsgeneration über die schweizerische Vergangenheitsbewältigung in Sachen Zweiter Weltkrieg.

«Wertvolle Zeugnisse archivieren»

Die Initiatoren von Archimob wollten das Versäumte nachholen. «Archimob» steht für «Archives de la Mobilisation», «Archive der (General-)
Mobilmachung», und ist eine Vereinigung, die sich dem Sammeln und Archivieren von Zeugnissen über die Zeit des Zweiten Weltkriegs in der Schweiz verschrieben hat.

Die Vereinigung wurde 1998 auf Initiative des Westschweizer Filmemachers Frédéric Gonseth gegründet, der dazu schrieb: «Wir wollen das, was zu jener Zeit in der Schweiz getan wurde, weder rechtfertigen noch denunzieren. Unsere Aufgabe besteht ganz einfach darin, die wertvollen Zeugnisse von Personen, welche die Ereignisse jener Zeit so oder anders erlebt haben, mit Hilfe von Bild und Ton zu sammeln und zu archivieren – Zeugnisse von einfachen Soldaten oder Offizieren, Frauen, Arbeitern, Flüchtlingen, Internierten, Menschen auf jeder Stufe der sozialen Leiter.»

«Wunden nicht vergessen»

Für die Umsetzung des Projektes fanden sich mehr als 40 unabhängige Historiker und Filmemacher aus der ganzen Schweiz zusammen. Die zahlreichen Reaktionen auf ihren Aufruf an interessierte Zeitzeugen machen deutlich, wie stark in der Kriegsgeneration das Bedürfnis ist, die eigene Sicht der Dinge darzustellen.

Über 1000 Personen unterschiedlichster geografischer, sozialer und politischer Herkunft stellten sich für ein Interview zur Verfügung; 555 wurden schliesslich ausgewählt. Mit all diesen 555 Männern und Frauen führten die Interviewer von Archimob zwischen 1999 und 2001 ein ausführliches, gefilmtes Gespräch in halb-standardisierter Form.

«Ich finde es gut, dass endlich gemacht wird, was Sie jetzt machen. Das Gedächtnis der Öffentlichkeit ist kurz. Man sollte alte Wunden nicht offen halten. Aber man darf auch nicht vergessen, dass Wunden da sind. Und dass die Wahrheit manchmal unangenehm sein kann.»

Solche und ähnliche Äusserungen gaben viele der befragten Zeitzeugen zu Protokoll. Ihre 555 subjektiven Wahrheiten, ihre Erinnerungen und Gedanken fügen sich zu einer einzigartigen Collage zusammen, die eine gerade für jüngere Generationen ungewohnte Perspektive auf das Leben in der Schweiz jener Jahre eröffnet.

«Man spürte doch die Folgen»

Um die Ergebnisse des Projekts einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wurden sie als multimediale Ausstellung aufgearbeitet (siehe auch Kasten). Diese ist seit kurzem in Lausanne und Genf zu sehen und wird bis Ende 2005 in verschiedenen Schweizer Städten gastieren.

Auch vom heimischen Bildschirm aus ist die Reise in die Vergangenheit möglich: Akribisch wurden sämtliche Zeugnisse in einer elektronischen Datenbank zusammengestellt, die via Internet allen Interessierten offen steht (www.archimob.ch).

«Man hielt so gut wie möglich durch. Aber am Ende spürte man doch die Folgen.»

555 Zeitzeugen, jeder von ihnen während rund zwei Stunden interviewt, insgesamt weit über 1000 Stunden erzählter Erinnerungen an eine Zeit, die oft hart und beschwerlich war, manchmal aufregend und beängstigend, bisweilen aber auch voller entspannter und fröhlicher Augenblicke: Der Fundus ganz persönlicher Kriegsgeschichten scheint grenzenlos, so vielfältig und facettenreich wie die 555 befragten Menschen selbst.

«Unsere Vaterlandsverteidiger»

«Da erst bekam man eine Ahnung, dass alles viel schlimmer war, als wir es uns vorgestellt hatten.»

So erinnert sich ein ehemaliger Soldat an den Flüchtlingsansturm von 1945, den er an der Schweizer Grenze hautnah miterlebte. Er erinnert sich, wie es Tag für Tag zu entscheiden galt, wen man einreisen liess und wen nicht. Und er erinnert sich an Einzelschicksale, erzählt die Geschichte eines jungen Franzosen, der selbst die Grenze passieren durfte, dafür aber seine schwangere ukrainische Freundin zurücklassen musste.

Genauso lebhaft sind die Erinnerungen der Frauen der Kriegsgeneration: an die Schwierigkeiten, eine Ausbildung zu machen; an verbotene Liebschaften und ungewollte Schwangerschaften; an die exotischen Internierten aus Polen und Russland oder gar aus Marokko und Tunesien, die ebenso anziehend wie Furcht einflössend waren. Und natürlich an die feschen Soldaten der eigenen Armee:

«Die Soldaten waren Helden: unsere Vaterlandsverteidiger.»

«Ich schäme mich nicht»

Immer wieder kommt die Frage zur Sprache, wer zu welchem Zeitpunkt was wissen konnte oder wissen wollte. Man habe lange mehr geahnt als gewusst, heisst es etwa. Die Bevölkerung habe keine Ahnung gehabt von Deportationen und Vernichtungslagern. Der Bundesrat habe wohl mehr gewusst, aber viel zu lange nicht gehandelt. Aber auch: Man habe Fotos und Filmaufnahmen aus Konzentrationslagern zu sehen bekommen, hätte aber niemals gewagt, über das Unaussprechliche zu sprechen.

Ehrliche Worte auch über die Faszination des Faschismus: Man habe dies

Meistgelesen

Mehr zum Thema