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«Nawalny ist ein Vorbild für Widerstand»

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Der Tod des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny hat weltweit Erschütterung ausgelöst. Historiker Siegfried Weichlein von der Universität Freiburg ordnet das Ereignis ein und geht auf Fragen zur Sinnhaftigkeit von Widerstand ein.

Alexej Nawalny, ein prominenter Widersacher des russischen Präsidenten Wladimir Putin, ist am Freitag in einem Straflager am Polarkreis im Alter von 47 Jahren plötzlich gestorben. Zahlreiche westliche Politiker machen die russische Führung und Putin selbst für den Tod seines prominenten Widersachers verantwortlich.

Siegfried Weichlein, welche Gedanken gingen Ihnen durch den Kopf, als sie vom Tod Nawalnys erfahren haben?

Jetzt also der Nächste. Wer die Dinge ein bisschen verfolgt, sieht, das ist doch kein Zufall. Das Muster ist immer das Gleiche. Nawalny wurde bei seiner Rückkehr aus Deutschland, wo er nach seiner Vergiftung 2020 behandelt worden war, noch am Flughafen in Russland verhaftet, durch den Justizapparat malträtiert und später nach Sibirien verfrachtet. Wie so viele andere Oppositionspolitiker.

Und auf einer menschlichen Ebene, was hat die Nachricht bei Ihnen ausgelöst?

Das ist nicht nur betrüblich. Der menschenverachtende Umgang mit Dissidenten macht mich sprachlos.

Und obwohl das bekannt ist, riskierte Nawalny die Rückkehr aus dem sicheren Deutschland nach Russland. Von aussen her gesehen, schwer zu verstehen.

Meiner Meinung nach war er ein Vollblutpolitiker. Denn aus dem Exil Politik machen und zur Bevölkerung sprechen, das geht nicht. Da ist man ausserhalb der Seitenlinie. Nawalny hat aber auch daran geglaubt, etwas bewegen zu können.

Zu Recht?

Zum Teil. Als die russische Presse noch ein bisschen breiter und pluralistischer aufgestellt war – was in der Zwischenzeit nicht mehr der Fall ist –, war er doch breit wahrgenommen. Er war ein prominenter Politiker. Er war einer der letzten Vertreter aus der liberalen Jelzin-Ära, ein Vertreter der Rechtsstaatlichkeit verbunden mit einem nationalen Bekenntnis.

Gerade seine nationalistischen Äusserungen wurden in Teilen seiner potenziellen Anhängerschaft jedoch auch kritisch aufgenommen. War Nawalny tatsächlich ein Oppositionspolitiker?

Finden Sie einen russischen Politiker, der das nicht ist.

Können Sie Nawalnys Widerstand anhand der Definition des französischen Philosophen Michel Foucault verorten, der gesagt hat, dass Machtverhältnisse nur durch eine Vielfalt von Widerstandspunkten existieren, die im Machtnetz sowohl als Gegner als auch als Stützpunkte präsent sind, als Einfallstore oder Zielscheiben?

Foucaults Definition von Widerstand setzt eine grundsätzliche Loyalität zum System voraus. Das war nicht die Opposition von Nawalny. Er war gegen den Staatspräsidenten Putin, der den Justiz-, Meinungs- und Staatsapparat konsequent autoritär umgebaut hat. Mit dem System geteilt hat er einzig ein starkes russisch-nationales Bekenntnis.

Wäre Nawalny mit seinem Widerstand erfolgreich gewesen, wäre aber immer noch nicht klar gewesen, was man mit ihm bekommt?

Das würde ich so nicht sagen. Sein Widerstand war ja kein Selbstzweck, einfach um Putin abzulösen, um dann eine eigene Form von Herrschaft zu etablieren, die womöglich ähnlich ist. Es war eine liberale Opposition für Meinungsfreiheit, für wirtschaftliche Freiheit, rechtsstaatliche Garantien, auch von Privateigentum, für freie Gerichte, die den Rahmen für eine bürgerliche Gesellschaft bilden.

Es wird gesagt, dass mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der am 24. Februar 2022 begonnen hat, der Kampf Nawalnys gegen Putin definitiv aussichtslos wurde. Sehen Sie das auch so?

Eine Wahl zu gewinnen, war schon vor dem Krieg undenkbar. Es stimmt aber insofern, als dass Nawalny auf die Multiplikatoren gehofft hat, die er mit seiner Rückkehr ansprechen wollte. Er glaubte an die Macht des freien Wortes, an Publikationen, an Argumente und daran, dass die Multiplikatoren am Ende auf ihn hören. Denn Putin kann nur von innen heraus gestürzt werden. Während es zu Beginn des Ukraine-Krieges in Russland noch offene Proteste gab, auch in der Presse, wurden die Sagbarkeitsregeln aber alsbald derart radikal eingeschränkt, dass die Hoffnung auf einen Multiplikatoreneffekt zunichtegemacht wurden.

Hat sich das grosse Opfer Nawalnys, nämlich mit dem Leben zu bezahlen, «gelohnt»?

Hat sich das gelohnt? Wenn Sie nach dem Ergebnis fragen, nein. Aber das ist nicht der einzige Massstab. Das Beispiel Nawalnys und seiner Mitstreiter zeigt vielmehr, dass es möglich ist, unter schrecklichen Bedingungen Widerstand zu leisten. Es ist ein Leitbild, das sich nicht vergisst. 

Widerstand bis hin zum Opfern des eigenen Lebens als moralisches Gebot?

Ich sehe das nüchterner. Ich ziehe daraus keine Verhaltensanweisung für den Einzelnen. Ich nehme vielmehr wahr, dass Nawalny ein soziales Vorbild ist für Widerstand in extremis. Das Unbedingte daran interessiert mich, dass Widerstand in extremis möglich ist, dass man dem Bösen ins Auge schaut und sich ihm nicht beugt. Das ist eine andere Lesart.

Widerstand ist also nicht per se moralisch gut?

Natürlich ist es etwas Gutes, und wir bewundern diesen Mut. Doch Menschen, die Widerstand leisten, wie beispielsweise die Geschwister Scholl im Zweiten Weltkrieg, haben das ja nicht gemacht, um gut zu sein, sondern weil es richtig ist, weil es etwas Unbedingtes ist. Am Ende des Tages sind sie bereit, den Preis dafür zu bezahlen, und schauen nicht auf die Kosten.

Sie agieren also unabhängig vom Erfolg?

Ökonomisch gesehen, ticken wir Menschen ja auf Sieger. Aber Nawalny ist eine Opferfigur, die enorm einflussreich, prägend ist. Einflussreicher, als wenn er hie und da etwas gewonnen hätte, oder sogar als Sieger herausgegangen wäre. Wir sind nämlich auch resonant auf die Vorstellung von Opfern und nicht nur auf die grossen Sieger, die Erfolg produzieren müssen. Im Gegensatz zum Sieger ist das Opfer nicht resonant auf Erfolg. Gerade nicht.

Und in welchem Verhältnis stehen Widerstand und Macht?

Zuerst einmal ist Widerstand in unserem politischen System Opposition. Ist man im Generalrat anderer Ansicht, äussert man das. Das ist Widerstand. Das ist ja nicht mit dem Gewehr auf die Strasse gehen, sondern eine Form der politischen Mündigkeit in den Institutionen. Wenn die Institutionen aber unterwandert sind, wenn es keine Meinungsvielfalt gibt, dann geht es nicht bloss darum, im Parlament die Stimme zu erheben, sondern Fundamentalkritik zu üben.

Sie haben gesagt, Erfolg ist im Konzept des Widerstandes nicht so relevant, sondern vielmehr ein soziales Verhaltensmodell. Trotzdem die Frage, wie könnte der Widerstand in Russland erfolgreich sein?

Wir sind auf derselben Seite, verstehen sie mich richtig. Aber analytisch gesehen, muss gesagt werden: Was für den einen Widerstand ist, ist für den anderen oft Terror. Putin sieht sich selbst im Widerstand gegen die westliche Welt, gegen Amerika, gegen die Faschisten in der Ukraine und so weiter. Widerstand ist auch eine Mobilisierungsformel. Jeder will Widerständler sein, das ist positiv konnotiert. Sie haben einen starken inneren Willen, Sie widersetzen sich, das ist bewundernswert. Widerstand ist eine so attraktive Formel, dass sie von sehr unterschiedlichen politischen Richtungen in Anspruch genommen wird, auch von Putin.

Wenn wir Widerstand nun aber unter demokratischen Gesichtspunkten meinen, was hätte passieren müssen, damit Nawalny mit seinen Anliegen durchgekommen wäre?

Ihre Frage enthält schon den Kern der Antwort, warum das nicht möglich war. Denn Nawalny allein konnte ja nicht allein die Alternative sein. Es braucht eine Partei, eine Bewegung und Institutionen, die darauf resonant sind.

Und um eine Bewegung zu etablieren, hätte Nawalny eine breite Masse gebraucht, die über die urbanen Intellektuellenkreise hinausgeht. Deshalb hat er womöglich auch die nationalistische Karte gespielt. Stellte dieser Spagat ein Problem dar?

Vor allen Dingen war es nicht möglich, die breiten Massen zu erreichen, wenn es in Omsk und Tomsk nur einen Fernsehsender gibt, der die Meinung Putins wiedergibt. Diesen Sprung in die Breite der Gesellschaft über die urbanen Zentren hinaus hat Nawalny tatsächlich nicht geschafft.

Als Fazit kann man vermerken: Nawalny wird eine Randnote in der Geschichtsschreibung bleiben. Was bleibt zu erwarten, dass sich die politische Situation in Russland zum Positiven wendet?

Die Frage ist, was waren die guten Jahre? Die Jelzin-Jahre? Das waren auch keine guten Jahre. Da gab es mehr Meinungsfreiheit, aber es gab auch Gewalt und Verbrechen. Wo ist das russische Normalnull? Wir können Russland nicht an der Schweiz messen. Vor Jelzin war Gorbatschow. Gorbatschow ist für uns toll, aber die russische Lebensqualität war es nicht. Davor waren die langen Breschnew-Jahre, davor Chruschtschow und davor die schrecklichen Stalin-Jahre. Wo ist das Normalnull?

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