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«Sprache war schon immer politisch»

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Seit mehr als 50 Jahren erforschen Wissenschaftlerinnen, wie die Sprache mit unserer Wahrnehmung von Geschlechterstereotypen zusammenhängt. Ein Sprachpsychologe klärt über den aktuellen Forschungsstand auf.

Bis vor einigen Jahrzehnten war es gang und gäbe, die Frauen in der Sprache schlichtweg zu ignorieren. Seither hat sich viel getan. Behörden, Vereine, Organisationen und Unternehmen haben die inklusive Sprache als Standard definiert. Dennoch schleicht sich das generische Maskulinum immer wieder ein, sei dies in Büchern, Zeitungen, offiziellen Mitteilungen, Gesetzestexten und besonders oft in der gesprochenen Sprache.

Pascal Gygax ist Sprachpsychologe an der Universität Freiburg und erklärt im Interview, was die Nutzung des generischen Maskulinums für einen Einfluss auf die Gesellschaft hat. Er kennt sich in der Thematik aus: Gemeinsam mit Sandrine Zufferey und Ute Gabriel hat er vor zwei Jahren ein Buch geschrieben, in dem er über die Zusammenhänge zwischen Sprache, Denken, sozialen Konstruktionen und unserer Perspektive auf Geschlechter aufklärt.

Heute verwenden wir in den FN zum Internationalen Frauentag das generische Femininum. Mit den weiblichen Begriffen schliessen wir also auch Männer ein. Normalerweise ist das Gegenteil der Fall. Pascal Gygax, ist unser Gehirn imstande, einen männlichen Begriff als generisch zu interpretieren?

Die Frage ist eher, ob unser Gehirn in der Lage ist, mit der Mehrdeutigkeit eines Begriffs umzugehen. Die erste und einfachste Bedeutung, die Kinder schon früh lernen, ist die spezifische. Also: Wenn ein Begriff männlich ist, handelt es sich um Männer. Dann kann man einen Begriff auch als generisch interpretieren, was wieder diverse Möglichkeiten eröffnet. Wenn man das Geschlecht einer Person nicht kennt oder offenlässt, ist er neutral. Im Plural kann man das Maskulinum als gemischt interpretieren. Das kann alles heissen, egal, ob eine Gruppe aus einer Frau und 50 Männern, einem Mann und 50 Frauen oder aus einer Frau, einem Mann, und 50 nicht-binären Personen besteht. All diese Interpretationen eines männlichen Begriffs sind theoretisch möglich. Praktisch hat das Gehirn aber nicht die Zeit oder die Ressourcen, jedes Mal alle Interpretationen in Betracht zu ziehen. Stattdessen nimmt es immer die einfachste und schnellste, also hier: männlich gleich Männer. Die Forschung der letzten 50 Jahre belegt das.

Die Forschung basiert oft auf Assoziationstests. Nur, weil ich zuerst an einen Mann denke, heisst das nicht, dass ich mir grundsätzlich keine Frauen als Teil eines Begriffs vorstellen kann.

Das ist interessant, denn dann würde man davon ausgehen, dass man den ersten Gedankengang einfach überschreiben kann. Diese sogenannte erste Assoziation ist jedoch nicht so harmlos, wie sie scheint. Gehen Sie auf die Strasse und fordern Sie jemanden auf, Ihnen drei bekannte Sänger zu nennen. Lassen Sie der Person alle Zeit der Welt, den Begriff zu überdenken und sich zu fragen, ob er generisch gemeint ist. Dennoch werden Ihnen die meisten fast nur männliche Sänger nennen. Die erste Assoziation, also männlich gleich Männer, beeinflusst den weiteren Gedankengang. Man kann sich kaum davon lösen, das ist wichtig. Wenn man jemandem zuhört oder einen Text liest, hat man zudem sowieso keine Zeit, die erste Assoziation zu hinterfragen.

Repräsentiert die Sprache nicht einfach die Realität? Es gibt aktuell mehr männliche Musiker, so wie das Pflegepersonal im Spital meistens weiblich ist.

Das ist ein Teufelskreis, bei dem niemand sagen kann, wo der Ursprung liegt. Tatsache ist, dass man vom Glauben ausgeht, dass Frauen besser für Pflegeberufe geeignet sind. Dieser Glaube schafft ein Stereotyp, das dazu führt, dass mehr Mädchen sich für den Beruf der Krankenpflegerin interessieren. Das hat zur Folge, dass es tatsächlich mehr Frauen in diesem Beruf gibt. Dadurch wird der Glaube genährt, dass Frauen für diese Art von Beruf besser geeignet sind, was wiederum dazu führt, dass mehr Mädchen in diesem Beruf arbeiten. Und so weiter.

Wie kann die Sprache dabei helfen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen?

Bei einer Studie zeigen wir, dass man mit Paarbildung, also der Erwähnung sowohl der männlichen als auch der weiblichen Form, Stereotype reduzieren kann. Wir haben mit Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren getestet, ob sie einen Beruf als typisch männlich oder weiblich einschätzen. Wenn wir «Krankenpflegerin und Krankenpfleger» geschrieben haben, haben die Jugendlichen den Beruf als weniger stereotypisch weiblich eingeschätzt, als wenn wir nur «Krankenpflegerin» geschrieben haben. Einen Einfluss hat die Sprache ebenfalls auf die Berufswünsche von Kindern. So zeigten Mädchen und junge Frauen mehr Interesse an männertypischen Berufen und trauten sich diese eher zu, wenn sie die Bezeichnungen auch in der weiblichen Form präsentiert bekommen haben. Bei der Formulierung von Stellenausschreibungen ist der gleiche Effekt zu beobachten: Wenn das Stellenangebot nur männlich ausgeschrieben ist, fühlen sich die Frauen weniger angesprochen, als wenn die Ausschreibung neutral formuliert ist.

Wie können Sie sich erklären, dass die inklusive Sprache dennoch so umstritten ist?

Die meisten sind mit der Gleichstellung der Geschlechter einverstanden. Jedoch nur, solange sie nichts dafür ändern müssen. Bei der Sprache ist es kompliziert. Wir reden und schreiben jeden Tag. Die inklusive Sprache erfordert also eine zusätzliche Anstrengung im Vergleich zu anderen Dingen, bei denen man sagt «ja, ja, man muss etwas tun», ohne etwas zu unternehmen. Zudem ist Sprache identitätsstiftend. Viele Menschen fühlen sich in ihrer Identität angegriffen, wenn jemand die Sprache ändern will.

Inklusive Sprache

Nicht nur ein Gendersternchen

«Inklusive Sprache wird oft mit verkürzten Formen gleichgesetzt», erklärt Pascal Gygax. Diese werden zum Beispiel mit dem Gendersternchen oder dem Gendergap dargestellt. Sie seien jedoch nur ein kleiner Teil der inklusiven Schreibweise. Um beim Reden und Schreiben Menschen sichtbar zu machen, die sich nicht als Mann identifizieren, gebe es diverse Möglichkeiten. Einerseits könne man darauf abzielen, die Sprache wieder zu feminisieren. Das gelinge zum Beispiel mit Paarbildungen bei Personenbezeichnungen, wie «die Ärztinnen und Ärzte». «Hier ist die Reihenfolge der Nennung wichtig», so Pascal Gygax. Denn die weibliche Bezeichnung wird als wichtiger empfunden, wenn sie zuerst genannt wird.

Eine weitere Möglichkeit ist, Formulierungen zu nutzen, die nicht vom Geschlecht der Person abhängig sind. Das Mitglied, der Mensch oder die Lehrperson sind Beispiele für die sogenannte Geschlechtsneutralisation. Im Deutschen bietet sich im Plural die Nominalisierung an. So kann man von den «Studierenden» reden statt von den «Studentinnen und Studenten». Die direkte Anrede sowie die gelegentliche Formulierung im Passiv sind ebenfalls Teil der Neutralisation der Sprache. mes

Einige Politikerinnen wollen den Behörden die Nutzung inklusiver Sprache verbieten oder haben es schon getan, zum Beispiel im Bundesland Thüringen in Deutschland. Was sagen Sie dazu?

Sprache war schon immer politisch. Sie war schon immer ein Machtobjekt. Nehmen wir schon nur die französische Grammatik und Rechtschreibung. Sie sind unglaublich schwierig, mit teilweise willkürlichen Regeln. Diese haben sich durchgesetzt, um einer gewissen Elite eine Beherrschung der Sprache zu ermöglichen, die andere niemals haben werden. Ein gutes Beispiel dafür ist die Anpassung der Endungen des vergangenen Partizips mit dem französischen Verb «avoir». Diese ist enorm kompliziert, und niemand kennt den Grund dafür. Wenn man ein Programm schreibt mit Codes, die weder Funktion noch Sinn haben, dann ist das kein gutes Programm und muss geändert werden.

Am meisten kritisiert wird die Lesbarkeit der inklusiven Sprache. Gibt es Studien dazu?

Lesbarkeit ist relativ und hängt immer davon ab, wie gewohnt wir uns etwas sind. An Abkürzungen wie «300 Fr.» stört sich beispielsweise niemand. Studien zur Lesbarkeit der inklusiven Sprache zeigen, dass sich Menschen sehr schnell darauf einstellen. Wir haben die Lesegeschwindigkeit beim Lesen von Paar- und Kurzformen gemessen. Sie zeigte, dass der Lesefluss nach den ersten Erwähnungen in inklusiver Sprache nicht mehr unterbrochen wurde – selbst wenn die Personen von sich selbst sagten, dass sie diese Schreibweise als störend empfinden.

Wie ist das bei Personen, die an einer Lesestörung leiden?

Das ist eine andere Frage. Dazu gibt es noch keine Untersuchungen. Da es viele verschiedene Arten von Lesestörungen gibt, ist es nicht einfach, passende Forschungshypothesen aufzustellen. Wir arbeiten aktuell hier in Freiburg daran.

Zur Person

Sprachpsychologe mit Fokus auf inklusiver Sprache

Pascal Gygax leitet das Team für Sprachpsychologie und angewandte Sozialpsychologie an der Universität Freiburg. Sein Forschungsschwerpunkt liegt darauf, wie unser Gehirn die männlich geprägte Sprache verarbeitet. Der 48-Jährige leitet Workshops zur inklusiven Sprache und tritt im Zusammenhang mit dem Thema regelmässig in den Medien auf. Gemeinsam mit seinen Kolleginnen Sandrine Zufferey und Ute Gabriel hat er 2021 ein Buch mit dem Titel «Le cerveau pense-t-il au masculin? Cerveau, langage et représentations sexistes» (»Denkt das Gehirn männlich? Gehirn, Sprache und sexistische Darstellungen») geschrieben. Es richtet sich an die breite Öffentlichkeit und fasst den aktuellen Forschungsstand zum Thema Sprache und Geschlechterwahrnehmung zusammen. Es ist angereichert mit Alltagsexperimenten, die Leserinnen selbst durchführen können. mes

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