Als Spitzensportlerin ist die Düdingerin Ursula Schwaller bekannt geworden. Mittlerweile fokussiert sich die Architektin vermehrt auf ihren angestammten Beruf und kann jetzt auch in diesem Bereich einen ganz besonderen Erfolg feiern.
«Ich hatte damals das Gefühl, meine ganze Welt sei zusammengebrochen. Oft sass ich in meinem Zimmer und blickte auf diese grüne Wiese hinaus. Schön, dass ich mit dieser Wiese jetzt etwas ganz anderes verbinde.» Ursula Schwaller sitzt in ihrem Architekturbüro in Düdingen und erinnert sich an die Zeit unmittelbar nach ihrem Unfall im Moléson-Gebiet vor rund 20 Jahren. Sie war mit ihren Schneeschuhen unterwegs, rutschte aus und verletzte sich schwer. Die Diagnose: Paraplegie. Die damals 26-Jährige musste nach Nottwil, um im Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) eine Reha zu machen.
Heute ist sie wieder regelmässig in Nottwil – aber meist aus einem ganz anderen Grund. Die Sensler Architektin baut aktuell die neue, 1000 Quadratmeter grosse Kindertagesstätte des SPZ. Genau auf der grossen grünen Wiese, die sie als junge Frau damals so oft anschaute, während sie gezwungen war, vieles in ihrem Leben komplett neu zu lernen.
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Ein emotionales Projekt
«Es ist ein sehr emotionales Projekt für mich», betont Ursula Schwaller. «Und der Druck ist entsprechend gross», sagt die Architektin und schmunzelt. «In Nottwil kennt man mich – es darf nichts schiefgehen.» Die Düdingerin sitzt an einem langen Tisch im Sitzungszimmer ihres Architekturbüros hb Architekten und zeigt auf ein dreidimensionales Modell. Zu sehen ist ein grosses, flaches Gebäude, geprägt von geschwungenen Linien und zahlreichen Rundungen. So soll sie aussehen, die neue Kindertagesstätte für die Schweizer Paraplegiker-Stiftung in Nottwil. «Kein Raum gleicht dem anderen», erklärt Schwaller. «Der Raum soll auf die Bedürfnisse der Kinder antworten und nicht vorgeben, was die Kinder machen sollen.»
Es ist das erste Mal, dass Schwaller explizit für Kinder geplant hat. Sie habe versucht, sich in ihre eigene Kindheit zurückzuversetzen, erinnert die Senslerin. «Ich hatte das Privileg, auf einem Bauernhof aufzuwachsen, kannte viele Freiheiten und unterstand nicht einer ständigen Kontrolle.» Ausserdem beschäftigte sich Ursula Schwaller intensiv mit den pädagogischen Theorien und Werten des italienischen Pädagogen Loris Malaguzzi. Seine Erkenntnisse hätten ihre Pläne für die neue Kita massgeblich beeinflusst, sagt die Architektin.
Ein Grossteil des Baus besteht aus Holz. Das war ein grosses Anliegen für Ursula Schwaller.
zvg/hb architektenDie verschiedenen Kita-Gruppen sollen sich in den neuen Räumlichkeiten austauschen können.
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Tiefere Fenster und eine Mini-Küche
Aber auch ihre persönlichen Erfahrungen, die sie während ihres Reha-Aufenthalts in Nottwil gemacht hatte, liess Ursula Schwaller in das Konzept für die neue Kita einfliessen. «Als ich meinen Unfall hatte, war es für mich sehr wichtig, hier Leute treffen zu können, die ebenfalls frisch verletzt waren, aber auch Menschen, die bereits seit längerem mit dieser Behinderung leben und so auch zu Vorbildern für mich wurden.»
Diese Form der Begegnung wollte Schwaller darum auch in der neuen Kita ermöglichen. Aus diesem Grund sind nicht nur die verschiedenen Räume teilweise direkt miteinander verbunden, auch der grosszügige Gang dient als Begegnungszone. Besonders kindergerecht sind ausserdem die tief gesetzten Fenster sowie Teile der Küche und WC-Anlagen, die Schwaller auf Kindergrösse angepasst hat.
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Sarah Neuhaus
Das gesamte Gebäude besteht zudem aus Holz. «Es wird der einzige Holzbau sein auf dem Areal, aber für mich ist nichts anderes infrage gekommen», betont Schwaller. Sie sah ihre Aufgabe bei der Planung der Kita vor allem darin, die Sicht der Kinder zu vertreten. «Holz hat eine natürliche Atmosphäre – die Kinder sollen sich wohl und gut aufgehoben fühlen.»
Diesen Frühling soll der Bau der neuen Kita abgeschlossen werden. «Ich kann es kaum erwarten, dass die Kinder das Gebäude in Beschlag nehmen», freut sich Ursula Schwaller. Erst dann werde sie erfahren, ob ihre theoretischen Konzepte und Überlegungen der Wirklichkeit entsprechen.
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zvg/Schweizer Paraplegiker-Stiftung
Ein solch umfangreiches Bauprojekt aus der Ferne zu planen, bringt ganz eigene Herausforderungen mit sich. «Aber bisher ist es sehr gut gelaufen», sagt die Senslerin. Regelmässig würden sie und ihr Partner freie Tage dazu nutzen, einen Ausflug nach Nottwil zu machen. «Durch meine Paraplegie ist Nottwil nicht mehr so weit weg für uns – es ist eine Art zweites Zuhause geworden.»
Umso dankbarer ist Ursula Schwaller, dass sie den Architekturwettbewerb für die neue Kita vor einigen Jahren gewann. Ein Herzensprojekt sei es für sie, sagt Schwaller:
Die Stiftung hat mir so viel gegeben und die Hoffnung auf ein neues, anderes Leben geschenkt – es ist schön, dass ich jetzt etwas zurückgeben darf.
So sieht es aktuell auf der Baustelle in Nottwil aus.
zvg/hb architektenDie Kita soll diesen Frühling fertig werden.
zvg/hb architektenDer Innenraum nimmt Form an.
zvg/Paul MetzenerImpressionen der Bauarbeiten.
zvg/Paul Metzener
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