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Von der Lust auf Häme

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Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

Vor einigen Jahren postete Christoph Mörgeli, Alt-Nationalrat und «Weltwoche»-Journalist, das Bild eines total überladenen Flüchtlingsschiffs. Darunter setzte er in grossen Lettern: «Die Fachkräfte kommen!» (Das von ihm gepostete Bild war in ähnlicher Form bereits auf der Website der rechtsextremen deutschen Partei NPD und dem offen rassistischen Forum Netzplanet aufgetaucht.)

Dass Mörgelis Lächerlichmachung flüchtender Menschen nicht schweizweit aufgenommen und nachgeplappert wurde, liegt daran, dass es zu diesem Zeitpunkt in unserem Land offenbar kein genügend grosses Bedürfnis gab, bestimmte Menschengruppen zu beleidigen. Hätte es dieses Bedürfnis gegeben, hätte Mörgelis Rechnung aufgehen können. Das heisst, aus einer persönlich vorgenommenen rassistischen Beleidigung hätte eine öffentlich wirksame Denunzierung werden können.

Szenenwechsel: Das letzthin veröffentlichte Bild von Angehörigen der Schweizer Armee, die vornübergebeugt Richtung Mekka beten, löste in rechtskonservativen Kreisen heftige Reaktionen aus. Dass den Armeeangehörigen muslimischen Glaubens dieselben von der Bundesverfassung garantierten Rechte zustehen wie allen anderen Religionen, ist aus Sicht der SVP ein Skandal. «Was kommt als Nächstes? Kinderehen, Scharia-Gerichte, Steinigungen?», empört sich die Partei medienwirksam auf Twitter und anderen sozialen Plattformen (selbstverständlich mit dem Aufruf, SVP zu wählen).

Zwischen Mörgelis Tweet und der populistisch inszenierten Empörung über die Gleichbehandlung der Religionen innerhalb der Armee liegen acht Jahre. Dass in diesen acht Jahren der Sud aus Hass und Hetze weiter köchelte, dafür sorgten Parteifreunde von Christoph Mörgeli. Zum Beispiel Nationalrat Andreas Glarner, der 2019 den Cybermob auf eine Lehrerin hetzte, weil sie Kinder im Ramadan unterstützt hatte. Oder der Fraktionsvorsitzende Thomas Aeschi, der im Parlament mit folgenden Worten für Schlagzeilen sorgte: «Es darf nicht sein, dass Nigerianer oder Iraker mit ukrainischen Pässen plötzlich 18-jährige Ukrainerinnen vergewaltigen!»

Es lohnt sich, etwas näher auf diese Beispiele einzugehen. Nicht um ihnen eine Plattform zu verschaffen, sondern um die Funktionsweise der öffentlichen Verunglimpfung besser zu verstehen. Indem man Angehörige bestimmter Rassen, Religionen oder Volksgruppen pauschal denunziert, beraubt man sie ihrer Individualität und entzieht ihnen so ihre Menschenwürde. Mörgeli unterstellt mit seinem zynischen Kommentar (ohne es wörtlich aussprechen zu müssen), dass Facharbeiter gegenüber Nicht-Facharbeitern nicht nur einen fachlichen, sondern auch einen ethischen Vorsprung haben, der von Letzteren nicht eingeholt werden kann. Indem er flüchtende Menschen als fachlich und moralisch minderwertig hinstellt, gibt er dem Leser, der Leserin die einzig mögliche Lesart seines Tweets vor: Wir riefen Facharbeiter und es kam bloss ein (unbrauchbarer) Flüchtlingshaufen…!

Dieselbe Geisteshaltung manifestiert sich in der Verunglimpfung von Armeeangehörigen muslimischen Glaubens, indem diese in eine pseudologische Verbindung mit Kinderehen, Scharia-Gerichten und öffentlichen Steinigungen gestellt werden. (Käme jemand auf die Idee, Armeeangehörige christlichen Glaubens mit Inquisition, Scheiterhaufen und der weltweiten Missionierung durch das Schwert zu assoziieren!)

Es ist eine Binsenwahrheit, dass die Lust auf Häme meistens auf Kosten von Minderheiten geht. Aber es gibt noch einen anderen Grund, warum wir uns ihr widersetzen sollten: Wir alle wissen, wie sehr wir als einzelne Menschen unter individuellen Defiziten leiden, die uns öffentlich denunzierbar machen. Unser Unbehagen entsteht durch die quasi im Innern vorweggenommene Furcht vor einer Demütigung, die manifest werden kann, sobald wir auf entsprechend gesinnte Menschen treffen. Der Schriftsteller Wilhelm Genazino schreibt dazu: «Die Kränkung, die zum Nachsprechen für andere erfunden wird, erzeugt ein Klima aus höhnischer Lust, die keinen Urheber mehr braucht, weil sie zu einem bestimmten Zeitpunkt an jeder Ecke von jedermann nachgeplappert werden kann. Wir wissen, dass wir alle, jeder von uns, auf gefährliche, nämlich faschistoide Weise diskriminierbar sind.»

Aus der konkreten Erfahrung unserer eigenen öffentlichen Verwundbarkeit (oder auch bloss der latenten Angst davor) müsste der Absolutheitsanspruch der Menschenwürde allen und jedem, also auch den Herren Mörgeli, Glarner und Aeschi, zwingend einleuchten: Gerade dort, wo wir der Häme am schutzlosesten ausgeliefert sind, sind wir darauf angewiesen, dass die Gegenseite angesichts unserer Schwäche auf ihre Stärke verzichtet. Wo das Gegenteil zutrifft, geschieht der erste Schritt in die Barbarei.

Hubert Schaller ist Autor der Gedichtbände «Trommelfellschläge» (1986), «Drùm» (2005) und «Federleicht» (2016). Bis zu seiner Pensionierung unterrichtete er Deutsch und Philosophie am Kollegium St. Michael. Als FN-Gastkolumnist schreibt er regelmässig über selbst gewählte Themen.

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