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Wann werden wir endlich wieder nüchtern?

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Gastkolumne

Hubert Schaller

Wann werden wir endlich wieder nüchtern?

Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich mich mit 16 Jahren zum ersten Mal so richtig betrunken. Dass ich die obligatorische Schulzeit hinter mich gebracht hatte und mich nun zu den Erwachsenen zählen durfte, musste schliesslich gefeiert werden. Sich betrinken zu dürfen war damals in meinen Augen das Vorrecht der Erwachsenen. Vor allem der männlichen Erwachsenen, wie ich vier Jahre später in der Rekrutenschule erfuhr, als im Ausgang die leer getrunkenen Bierflaschen in Einerkolonne aufgereiht wurden, als zählbarer Beweis männlicher Trinkfestigkeit. Etwas anderes als Biertrinken wäre einem Landesverrat gleichgekommen.

Heute gehören Alkoholexzesse offenbar immer noch und immer mehr zum Unterhaltungsrepertoire von Jungen und auch nicht mehr ganz so jungen. Sinnloses Betrinken – so belehren uns die Statistiken – beginnt schon in der U-12. Manch einer (es könnte auch ein Mädchen sein), der im Krankenhaus aus dem Komatrinken erwacht, kann sich das als Ehrenabzeichen an die Brust heften. Erst als vor kurzem ein 17-jähriger Zürcher Lehrling via Internet zum öffentlichen Besäufnis einlud und Tausende dem Aufruf Folge zu leisten versprachen, ging eine Welle der Empörung durchs Land.

Diese moralische Entrüstung ist ebenso nachvollziehbar wie verlogen. Nachvollziehbar, weil hier der provokative Missbrauch einer Droge zum Kult erhoben wird, verlogen, weil dieser Kult ja schon längst praktiziert wird und sich der öffentlichen Zustimmung erfreut, sei dies am Feldschiessen, in Sportstadien, an der Street Parade, an Openairs oder an beliebigen anderen Massenveranstaltungen. Mit dem Unterschied vielleicht, dass Massenbesäufnisse bei diesen akzeptierten Anlässen angeblich in ein sinnvolles Ganzes integriert sind. Im Grunde folgt aber beides der gleichen Logik: Je mehr Leute das Gleiche tun, desto mehr wird es zur Norm, desto normaler kann sich jeder Einzelne dabei vorkommen.

Die Verbrüderung mit der Masse als verzweifelter Versuch, der Langeweile und Leere des Einzeldaseins zu entkommen? Warum also nach dem Massenbesäufnis nicht auch ein organisiertes Massenfressen, ein Massenprügeln oder – wer’s gerne friedlicher hat – eine organisierte Massenehe oder Massensex? «Dummheit», hat Bertolt Brecht einmal notiert, «macht sich unsichtbar, indem sie sehr grosse Ausmasse annimmt.»

Hubert Schaller unterrichtet Deutsch und Philosophie am Kollegium St. Michael. Er ist unter anderem Autor der Gedichtbände «Trommelfellschläge» (1986) und «Drùm» (2005). Als Kulturschaffender ist er in einem FN-Kolumnistenkollektiv tätig, das in regelmässigem Rhythmus frei gewählte Themen bearbeitet. Der Inhalt braucht sich nicht zwingend mit der Meinung der Redaktion zu decken.

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