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Wie ein Bürgerkrieg die moderne Schweiz begründet hat

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Mit dem Ende des Sonderbundskriegs, des letzten Krieges auf Schweizer Boden und des letzten kriegerischen Konflikts zwischen den Kantonen und Konfessionen, schuf am 12. September 1848 die erste Schweizer Bundesverfassung das Fundament für den Bundesstaat. Dieser trat fortan an die Stelle des Staatenbunds aus souveränen Kantonen. Das Ereignis gilt heute als Beginn der modernen Schweiz und als Grundstein für die direkte Demokratie. Im Gespräch mit den FN erklärt der Freiburger Historiker Volker Reinhardt, inwiefern diese Deutung zutrifft und was die Schweizer Demokratie zu einem europäischen Sonderfall machte und macht.

Volker Reinhardt, in diesem Jahr wird das 175-jährige Bestehen der Schweizer Bundesverfassung gefeiert. Warum ist dieses Ereignis wichtig für die Schweizer Nationalgeschichte? 

Für die Schweizer Geschichte und das Selbstverständnis der Schweizerinnen und Schweizer ist diese erste Bundesverfassung von zentraler Bedeutung, weil sie den Anbruch einer neuen Form von Staatlichkeit symbolisiert: 1848 wurde aus einem lockeren Konglomerat von souveränen Kantonen ein Bundesstaat. Dabei wurden politische Institutionen wie der Bundesrat und das Parlament mit den beiden Kammern geschaffen, und wichtige demokratische Grundlagen wie die Gewaltenteilung und das allgemeine Wahlrecht für Männer wurden eingeführt. Das heisst aber nicht, dass die Kantone von nun an keine Mitsprache mehr hatten: Sie waren in vielen Belangen weiterhin souverän, und der Bund griff nur subsidiär ein.

War die Schweiz mit der Errichtung eines Bundesstaats ein europäischer Sonderfall?

In vielerlei Hinsicht waren die Geschehnisse auf dem Boden der heutigen Schweiz keine Ausnahme: Überall auf dem europäischen Kontinent gab es in dieser Zeit föderale Gebilde, wie zum Beispiel den sehr dezentralen Deutschen Bund. Europaweit wurde im 19. Jahrhundert der Wunsch nach zentralen Nationalstaaten laut, und in den bürgerlichen Eliten grassierte ein ausgeprägter Nationalismus. Auch die Tatsache, dass in der alten Eidgenossenschaft der Sonderbundskrieg ausbricht, ist im damaligen europäischen Umfeld nichts Ungewöhnliches: Es herrschte vielerorts grosse Unzufriedenheit, und es gab zahlreiche revolutionäre Erhebungen. Man kann diesen Krieg daher nicht losgelöst vom europäischen Gesamtkontext betrachten. Trotzdem hebt sich der Sonderbundskrieg von anderen Konflikten ab.

Inwiefern?

Eine Besonderheit des Sonderbundskriegs ist die starke Betonung seiner religiösen Dimension. Es handelte sich in hohem Masse um einen konfessionellen Konflikt, also um die Feindschaft zwischen Katholiken und Protestanten. Die übergeordnete Rolle der Konfession im Krieg ist für diese Zeit untypisch.

Der Sonderbundskrieg war sozusagen der letzte Religionskrieg Europas.

Volker Reinhardt 
Historiker

Aber das bedeutendste Quasi-Alleinstellungsmerkmal dieses Konflikts und der daraus resultierenden Bundesverfassung war die Einführung des allgemeinen Wahlrechts für Männer.

Mit der ersten Bundesverfassung wurde in der Schweiz also die Demokratie begründet?

Gewissermassen stimmt das, ja. Die in der Schweiz eingeführte Staatsform der Demokratie war 1848 europaweit ziemlich einzigartig. Vor diesem Hintergrund war die Einführung des allgemeinen Wahlrechts für Männer demokratiegeschichtlich ein wichtiger Schritt. Man sollte aber nicht vergessen, dass sich diese Frühform der Schweizer Demokratie nicht mit der direkten Demokratie, wie sie heutzutage praktiziert wird, gleichsetzen lässt. Bis 1971 war die Schweiz ohnehin nur eine halbe Demokratie, da die Frauen vom allgemeinen Stimm- und Wahlrecht ausgeschlossen waren. Im 19. Jahrhundert war der Zugang zur politischen Partizipation noch beschränkter: So verfügten nebst den Frauen auch Bettler und öffentlich versorgte Personen über kein Wahlrecht, und Geistliche konnten nicht gewählt werden. Die Teilnahme am politischen Leben stand zudem nur einem relativ kleinen privilegierten Kreis offen. Denn für eine politische Tätigkeit wurde man nicht entlöhnt, sodass es sich nur Wohlhabende überhaupt leisten konnten, ein politisches Amt auszuüben. Ausserdem war die Gesellschaft noch sehr hierarchisch organisiert. Geburt und Besitz waren die zentralen Faktoren, die die Stellung einer Person in der Gesellschaft bestimmten. Heute sind im Gegensatz dazu nahezu alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens demokratisiert. Trotzdem herrscht in der Schweiz noch immer eine ziemlich solide Elitenkontinuität.

Sozialprestige, Einfluss und Reichtum erhalten sich nach wie vor in kleinen Zirkeln.

Volker Reinhardt 
Historiker

Was macht die Schweizer Demokratie so besonders?

Die direkte Demokratie, die seit 1848 in der Schweizer Verfassung keimhaft angelegt und durch die zusätzlichen Bestimmungen von 1874 und 1891 geschaffen wurde, ist eine wichtige Errungenschaft der Schweiz. In einer direkten Demokratie thront der Wille der Stimmbevölkerung als oberste Instanz über allen staatlichen und politischen Organen. Dies ist ein zentraler Unterschied gegenüber der repräsentativen Demokratie, wie sie in den meisten anderen Ländern Europas vorherrscht. Für den Genfer Philosophen Jean-Jacques Rousseau sind parlamentarische Herrschaftssysteme keine Demokratien, sondern Oligarchien. In vielen Ländern Europas lässt sich derzeit ein fortschreitender Rückgang der Wahl- und Stimmbeteiligungen beobachten. Das mag auch damit zusammenhängen, dass ein parlamentarisches System anonymer ist, sodass viele Menschen den Bezug zur Politik verlieren. Ausserdem geben viele Politikerinnen und Politiker im Wahlkampf leere Versprechen, sodass Wählerinnen und Wähler den Eindruck haben, dass die gewählten Parlamentarierinnen und Parlamentarier ihre Interessen nicht vertreten. Was der Schweiz sicherlich auch zugutekommt, ist ihre politische Kleinräumigkeit. Grundsätzlich gilt: Ein grösserer Staat hat auch grössere Probleme. Das trifft heute noch genauso zu wie vor 175 Jahren. 

Zur Person

Volker Reinhardt, Kenner der Schweizer Geschichte

Volker Reinhardt war seit 1992 bis zu seiner Pensionierung im Sommer 2023 Professor für Allgemeine und Schweizer Geschichte an der Universität Freiburg. In seiner Forschungstätigkeit beschäftigt er sich unter anderem mit der Geschichte des Papsttums, der Kulturgeschichte Italiens in der Neuzeit sowie mit der Geschichte der Schweiz. 2011 erschien sein Buch «Die Geschichte der Schweiz. Von den Anfängen bis heute». mbe

Wie gelang es den damaligen Eidgenossen, mit der Bundesverfassung geeint aus dem Sonderbundskrieg hervorzugehen?

Dieser innere Krieg zwischen den konservativ-katholischen und den liberal-protestantischen Kantonen war die letzte blutige Auseinandersetzung auf dem Gebiet der heutigen Schweiz. Bereits ab dem 16. Jahrhundert, als Huldrych Zwingli in Zürich das Gedankengut der Reformation verbreitete, waren die Eidgenossen tief gespalten. Mit der Bundesverfassung vermochten sie es aber, diese Zerrissenheit zu überwinden. Dies gelang insbesondere durch die stark ausgeprägte Kompromissfähigkeit, welche im politischen und gesellschaftlichen Leben noch heute etwas fundamental Schweizerisches ist. Obwohl die liberal-protestantischen Kantone siegreich aus dem Sonderbundskrieg hervorgingen, nahmen sie bei der Ausarbeitung der Bundesverfassung Rücksicht auf die Verlierer und berücksichtigten die Interessen der katholischen Kantone. Sie waren auf Versöhnung, nicht auf Unterwerfung ausgerichtet. Die Konservativen brauchten zwar einige Zeit, um sich in die neue Ordnung einzufügen: So dauerte es 1848 noch gut vier Jahrzehnte, bis es einen konservativen Bundesrat gab, und die Zeitungen waren damals allesamt liberal ausgerichtet. Auch an den Hochschulen herrschte – bis auf die katholische Universität Freiburg – lange Zeit eine Hegemonie der Reformierten und Liberalen. Aber durch gegenseitiges Entgegenkommen und die Bereitschaft, Kompromisse einzugehen, liessen sich diese konfessionellen Konflikte mit der Zeit überwinden.

In diesem Jahr wird in der Schweiz das 175-jährige Bestehen der Bundesverfassung gefeiert. Halten Sie es für angebracht, dieses historische Ereignis öffentlich zu zelebrieren? 

Solche Anlässe können sinnvoll sein, da sie im besten Fall das Geschichtsbewusstsein in der Bevölkerung erweitern. Als Historiker begrüsse ich es natürlich, wenn die Menschen über ein Verständnis für die eigene nationale Geschichte verfügen. Vor dem Hintergrund, dass dem Geschichtsunterricht an den Schulen eine immer geringere Bedeutung zukommt, ist dies umso wichtiger. Andererseits bin ich prinzipiell skeptisch gegenüber Jubelfeiern:

«Staatliche Jubiläen bergen immer auch die Gefahr, dass Dinge beschönigt werden.

Volker Reinhardt
Historiker

Dabei hat es die Schweiz gar nicht nötig, die eigene Geschichte zu verklären, da gerade die Bewältigung von Konflikten das ist, was dieses Land auszeichnet. In diesem Sinne hoffe ich, dass im Rahmen der Festlichkeiten nicht vergessen geht, dass vom politischen System der Schweiz vor 1798 beziehungsweise 1848 immer auch beträchtliche Teile der Bevölkerung ausgeschlossen waren und dass die Gesellschaft an sich lange Zeit nicht demokratisch war. Erst vor diesem Hintergrund gewinnt die Lösung von 1848 ihr Gewicht.

Jubiläum

175 Jahre Bundesverfassung

Am 12. September wird in der Schweiz das 175-Jahr-Jubiläum der Bundesverfassung gefeiert. Zu diesem Anlass hat das Parlament über das Jahr verteilt verschiedene Anlässe organisiert. So stellte es die Fotoausstellung «Session» im Kornhausforum auf die Beine. Es zeigte das Werk von vier Fotografinnen und Fotografen aus unterschiedlichen Ländern, die das politische Leben im Parlament während der Sommersession 2023 dokumentiert haben. Oder die Offene Bundesmeile: eine Veranstaltung, die der Öffentlichkeit Anfang Juli einen Einblick hinter die Mauern von Bundesbauten gewährte. Am 12. September wird die Fassade des Parlamentsgebäudes zudem mit einem Kunstwerk der Basler Künstlerin Renée Levi verziert. Auch der Kanton Freiburg organisierte anlässlich des Verfassungsjubiläums zwei Veranstaltungen (die FN berichteten). mbe

Sonderbundskrieg

Der letzte Krieg in der Schweiz

Im Jahr 1845 schlossen sich die sieben katholisch-konservativen Kantone Freiburg, Wallis, Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern und Zug zum sogenannten Sonderbund zusammen. Dabei handelte es sich um ein Separatbündnis, mit den Zielen, die katholische Religion und die Souveränität der Kantone zu verteidigen. Die liberalen Kantone strebten hingegen einen liberal geführten Zentralstaat an. Die Streitigkeiten mündeten 1847 schliesslich im Sonderbundskrieg, der letzten kriegerischen Auseinandersetzung auf dem Boden der heutigen Schweiz. Mit rund 100 Toten und etwa 500 Verletzten forderte der Krieg für einen derartigen Konflikt relativ wenige Opfer. Die Liberalen unter der Leitung des Generals Guillaume Henri Dufour gingen siegreich aus dem Konflikt hervor. Die Tagsatzung, die Versammlung von Vertretern der Kantone, arbeitete nach dem Ende des Kriegs die neue Bundesverfassung aus und legte sie den Kantonen zur Abstimmung vor. Die Kantone stimmten der neuen Verfassung mehrheitlich zu. Die radikale Freiburger Regierung liess übrigens nicht das Volk, sondern den Grossen Rat abstimmen. So war Freiburg der einzige Kanton des früheren Sonderbunds mit einer «Mehrheit» für die Vorlage. In der Folge löste die liberal dominierte Tagsatzung den Bundesvertrag von 1815 auf und führte die neue, zentralistisch organisierte Bundesverfassung ein. Die Totalrevision von 1874 korrigierte einige Kinderkrankheiten der Bundesverfassung. mbe

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