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Wort zum sonntag

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 Innerhalb der Bibel oder ausserhalb

Jesus wirft den Pharisäern und Schriftgelehrten vor, sich in ihrer religiösen Praxis nicht an Gottes Gebot, sondern an die Überlieferung von Menschen zu halten. Das trifft Judentum und Christentum bis heute. Der jüdische Religionswissenschaftler Jacob Neusner hat geschrieben, Judentum und Christentum hiessen deshalb «biblische Religionen», weil man sich in ihnen gerade nicht an die Bibel halte. Im Judentum ist der Talmud im konkreten Leben wichtiger als die Bibel. Die Kirchen folgen menschlichem Kalkül, etwa wenn es um das Schwören oder den Kriegsdienst geht. Beides wird von Jesus ausdrücklich abgelehnt (Matthäus 5,34; 26,52), aber in den 39 Artikeln der anglikanischen Kirche erlaubt–von den Eiden, die in der katholischen Kirche vorgeschrieben sind, ganz zu schweigen.

Überlieferung steht als religiöse Quelle neben der Bibel. Das ist schon deshalb so, weil die Bibel selbst gefrorene Überlieferung ist. Die Bibel entstand in einer Art Labor, in dem Generationen von Glaubenden damit Experimente machten, wie sie ihre Erfahrungen mit Gott in menschliche Sprache giessen konnten. Die Experimente gerannen zu Erzählungen, Liedern, Formeln, Geboten. Jahrhunderte lang war es erlaubt, dass die Schreiber, die diese Glaubenszeugnisse abschrieben, um sie den nächsten Generationen zu erhalten, anpassten und ergänzten. Doch dann wollte die Glaubensgemeinschaft dem Eindringen privater Ansichten ins Reden über Gott Einhalt gebieten. Die sogenannte «Kanonformel» entstand: «Ihr sollt dem Wortlaut dessen, worauf ich euch verpflichte, nichts hinzufügen und nichts davon wegnehmen …» (Deuteronomium 4,2).

So schützt Mose den Wortlaut seiner Thora. Oder besser gesagt: Ein Lehramt, das Mose für sich sprechen lässt, schreibt eine Gestalt des Redens über Gott als unveränderbar fest. Die Glaubensgemeinschaft drückt sich in Überlieferung, Lehramt und Gottesdienst aus. Was Bibel ist, bestimmt ein Lehramt; egal ob das Lehramt von Rabbinern, von einer Synode oder von Martin Luther ausgeübt wird. Für ihn waren jene Bücher des Alten Testaments, die er nur auf Griechisch kannte, ausserhalb der Bibel. So schuf er eine protestantische Tradition, die gilt, obwohl seitdem teils hebräische Originale aufgetaucht sind. Innerhalb der Bibel sind jene Bücher, die im Gottesdienst vorgelesen werden.

 Die Bibel ist als geronnene Gottesbegegnung unserer Vorfahren das verbindliche Erbe, mit dem Gottes Geist Überlieferung korrigiert, das Lehramt kritisiert und im Gottesdienst mit den glaubend Hörenden kommuniziert.

Der DominikanerHans Ulrich Steymansist Professor für Altes Testament und Biblische Umwelt an der Universität Freiburg (Schweiz) und lebt im Kloster St. Hyazinth in Freiburg.

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