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Zeit zum Aufstehen

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Zeit zum Aufstehen

Gedanken zu Ostern 2004

Was man schon lange festgestellt hat: Die Erzählungen vom leeren Grab geben für die Rekonstruktion der Ereignisse am Ostermorgen nichts her. Jede dieser Erzählungen bietet für sich allein schon gewaltige Schwierigkeiten. Der älteste

Von HERMANN-JOSEF VENETZ

«Bericht», der des Markus (16,1-8), lässt uns mit vielen Fragen zurück. Was sollen die Frauen den Leichnam Jesu salben, wenn er doch schon beerdigt ist? Warum kommt ihnen erst unterwegs in den Sinn, dass ihr Unternehmen völlig aussichtslos ist, wenn das Grab doch mit einem grossen Stein verschlossen ist? Wer hat eigentlich diesen grossen Stein vom Grab weggewälzt? Warum erschrecken die Frauen so sehr, wenn ihnen doch der Mann im weissen Gewand eine so freudige Botschaft überbringt? Von den Frauen heisst es, sie seien voll Furcht und grossem Entsetzen vom Grab geflohen und hätten niemandem etwas gesagt – woher weiss dann der Evangelist von all diesen Dingen?

Die ganze Sache wird kaum erhellt, wenn wir die anderen Evangelisten zu Rate ziehen. Als einziger spricht Matthäus (28,1-
10) von einem grossen Erdbeben und vom Engel des Herrn, der vom Himmel herabsteigt, den Stein vom Grabe wälzt und sich – etwas burschikos – auf den Stein setzt. Matthäus ist auch der einzige, der eine Wache am Grab aufstellt; offenbar braucht er für das ungeheuerliche Geschehen, an das niemand so recht glauben will, das unwillige Zeugnis von römischen Soldaten. Im Unterschied zum Bericht des Markus verlassen die Frauen nicht voll Furcht und Entsetzen das Grab, sondern voll Furcht und mit grosser Freude, und sie eilen hin, um den Jüngern davon Kunde zu geben.

Der Evangelist Lukas (24,1-11) lässt gleich zwei Männer in strahlendem Gewand auftreten. Was sie den Frauen als Erstes zu sagen haben, klingt wie ein Vorwurf: Was sucht ihr den Lebenden unter den Toten? Von sich aus verkünden dann die Frauen die Botschaft den Aposteln, von denen es heisst: Ihnen kamen diese Worte wie leeres Gerede vor, und sie glaubten ihnen nicht.

Der Evangelist Johannes (20,1-
18) erzählt die Geschichte vom Ostermorgen wieder ganz anders. Da findet sich Maria von Magdala als einzige am frühen Morgen am leeren Grab. Zwei Jünger, die zum Grab eilen, kehren nach der Bestandesaufnahme ziemlich hilflos wieder nach Hause zurück. Die beiden weiss gekleideten Gestalten richten keine Auferstehungsbotschaft aus, sondern fragen die unglückliche Maria lediglich: Warum weinst du? Und dann kommt es zu der beinahe mystisch anmutenden Begegnung zwischen Maria und dem Auferstandenen.

Die junge Kirche hat die Ostererzählungen der Evangelisten nicht mit Noten zensuriert. Sie hat alle vier Berichte sehr ernst genommen. Sagen wir ja nicht, die ersten Christinnen und Christen seien eben naiv gewesen und sie hätten die Widersprüche in den Erzählungen gar nicht erst bemerkt. Was die ersten Christen uns voraus hatten, war das Gespür für die Wirklichkeit, für die tragende und rettende Wahrheit, die sich nicht in einem Polizeirapport wiedergeben lässt. Sie haben die Geschichte vom leeren Grab als ihre eigene Geschichte gelesen und darin eine Antwort gefunden auf die Grundfragen ihrer eigenen Existenz. Ihnen ging es nicht darum, das leere Grab und die Botschaft des Engels so oder anders zu interpretieren, als ob man über dieses Geschehen verfügen und es nach Lust und Laune ausdeuten könnte. Sie liessen sich selbst von diesem Geschehen deuten.

Und wir? Wir haben es immer noch nicht gelernt. Immer wieder fallen wir über diese Geschichten her, anstatt dass wir uns von ihnen überfallen lassen. Wir fordern die Engel auf, klipp und klar zu sagen, was an jenem ersten Ostermorgen geschehen ist, anstatt dass wir uns sagen lassen, was mit uns und unserem Leben zu geschehen hat. Wir unterziehen die Sprechweise der Evangelisten einer harten Kritik, anstatt dass wir uns kritisieren lassen von dem, was sie uns zu künden haben. Wir bezweifeln das Erdbeben, von dem Matthäus uns berichtet, und merken nicht, dass unsere Welt es ist, die aus den Fugen gerät. Wir meinen, Auferstehung sei ein Faktum längst vergangener Zeit und verstehen nicht, dass sie eine Verheissung ist, die uns gilt, die Verheissung, dass wir IHM im Galiläa unseres heidnischen Alltags begegnen werden . . .

Die Geschichten vom leeren Grab wollen in Wirklichkeit unsere Geschichte deuten. Wir halten unseren Blick gebannt auf den grossen Stein der Unwiderruflichkeit des Todes geheftet. Wir finden uns ab mit der von Hunger und Krieg und Tod gezeichneten Welt. Wir sind ratlos und bezeichnen jeden Funken Optimismus als leeres Geschwätz.
Aber an unserem Grab, am Trümmerhaufen unseres Lebens, an den Ruinen dieser hungernden und terrorisierten Welt, am Totenbett unserer Wälder und Seen, am Grab unserer Resignation steht der Engel. Und er verkündet heute von neuem: Ihr könnt neu anfangen. Ihr braucht nicht an euren Gräbern stehen zu bleiben. Eine neue Welt erhebt sich. Ihr könnt aufstehen. Ihr könnt über euren Schatten springen. Ihr könnt den Aufstand wagen – gegen Hunger und Unterdrückung, gegen die Diktate der Moden und der Ideologien und gegen die Lügenpropaganda. Denn das Grab zählt nicht mehr. ER lebt. Er geht euch voraus nach Galiläa. Er wird euch dort begegnen, wo ihr ihn am wenigsten erwartet. Und wie Maria von Magdala wird er euch beim Namen nennen . . .

Hermann-Josef Venetz ist emeritierter Professor für Exegese des Neuen Testaments an der Universität Freiburg.

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